US-Vizepräsident Cheney, das unbekannte Wesen
Dick Cheney, bislang im Ausland eher zurückhaltend, tritt nun ins Blitzlichtfeuer
Wird statt des vor der laufenden Kamera schon mal Unsinn plappernden und für spontane Interviews deshalb ungeeigneten George W. Bush zukünftig öfter Vizepräsident Dick Cheney einspringen, der ohnehin hinter vielem steht, das offiziell Bush verantwortet?
Richard (Dick) B. Cheney gilt zusammen mit dem Kriegsstrategen Paul Wolfowitz und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als treibende Kraft hinter dem Irak-Krieg und war zuvor Präsident des Halliburton-Konzerns, der die Ölindustrie ausrüstet und nun von ebendieser Regierung beim Wiederaufbau des zerbombten Irak großzügig mit Aufträgen bedacht wird (Verschleierte Beltway-Banditen), was natürlich schwer nach Vetternwirtschaft riecht.
Doch diese Nähe zu den Energiekonzernen ist nichts wirklich Neues, Dick Cheney stützt seit Jahren die US-Ölindustrie und die Auffassung, dass für unverändert billiges Benzin und Öl kein Preis zu hoch ist (Die Bush-Regierung und das irakische Öl). Die Folge: Der Durchschnittsamerikaner ist auch heute noch begeistert von spritfressenden Pickup-Trucks und SUVs, geht ungern zu Fuß und schaltet den Motor noch nicht einmal zum Besuch und Ratsch beim Nachbarn ab - außer die Gegend ist so unsicher, dass ein Diebstahl des Wagens zu befürchten ist.
Cheneys Festhalten an einer ölgestützten Politik der billigen Energie führt auch dazu, dass Amerikaner Lichtschalter und Netzschalter an Geräten für überflüssige Spielereien halten und Monitore nach stundenlanger Nichtbeachtung bestenfalls in Standby gehen. Auch jedes Gesetz gegen Umweltverschmutzung prallte am US-Vize ab: Schließlich hatten die Energiekonzerne ja Bushs Wahlkampf finanziert.
Die Enron-Cheney-Taliban-Connection
Mit dem Zusammenbruch des Enron-Konzerns Ende 2001 fiel Cheney diese Konzernnähe schließlich auf die Füße - viel zu lange hatte er den Konzern und seine Machenschaften gedeckt. Dessen bodenlose Finanzmanipulationen waren unter anderem 2001 Ursache der Stromknappheit in Kalifornien. Enron ließ etwa auch federführend ab 1992 in Dabhol in Indien ein Gaskraftwerk bauen, das mit Flüssiggas betrieben werden sollte, das aus dem pakistanischen Hafen Quatar mit Tankern herangeschafft werden sollte. Doch daraus wurde nichts und das Gaskraftwerk verbrannte stattdessen teures Benzin.
Eine seit 1990 geplante Gaspipeline quer durch Afghanistan und Pakistan ans indische Gasnetz anzukoppeln, war die nächste Idee, von der auch Halliburton wieder profitiert hätte - doch in Afghanistan waren die Taliban am Ruder, mit denen von 1997 bis August 2001 trotz erster Attentate von Bin Laden kontinuierlich verhandelt wurde. Im Mai 2001 ging das Kraftwerk in Dabhol vom Netz, weil Indien den teuren Benzin-Strom nicht mehr zahlen wollte. Enron wollte es nun teuer an die indische Regierung verkaufen, um die drohende Pleite abzuwenden, doch diese spielte trotz Drohungen von Lay, dass die USA andernfalls Indien nicht mehr unterstützen würden, nicht mit. Über die Gespräche mit Enron-Chef Kenneth Lay schweigt Cheney bis heute, über die Idee, nach der Entmachtung der Taliban doch noch die große Gaspipeline zu bauen, dagegen nicht.
Dick Cheney, US-Regierungsfunktionär seit Nixon
Dick Cheney, geboren 1941 in Nebraska und aufgewachsen in Wyoming, hat bereits eine lange Wirtschafts- und Politkarriere hinter sich, die 1969 unter Richard Nixon begann, wo er im Wirtschaftsministerium und im Weißen Haus beschäftigt war. Als Nixon wegen des Watergate-Skandals abdanken musste und Gerald Ford 1974 die Präsidentschaft übernahm, konnte sich Cheney im Team halten und sich bis zum Assistenten des Präsidenten und Chef des Teams im Weißen Haus hocharbeiten. Ab 1977 kehrte er als Kongressabgeordneter nach Wyoming zurück, wo er fünf Mal wiedergewählt wurde und ab 1981 auch höhere Positionen innerhalb der republikanischen Partei besetzte. 1989 wurde er dann Verteidigungsminister unter Bush senior und führte die Kriege gegen General Noriega 1989 in Panama und den ersten Golfkrieg 1991.
US-Präsident George W. Bush gilt als Marionette, der sich bei Informationen und zu treffenden Entscheidungen voll auf seine Berater und Mitarbeiter verlässt. Zu diesen gehört sein Vize Richard (Dick) B. Cheney, der gemeinsam mit Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dessen Vize Paul Wolfowitz die Strategie der heutigen US-Regierung bestimmt. Im Gegensatz zu letzteren war von Cheney bislang jedoch eher wenig zu hören, er blieb außerhalb der USA mehr im Hintergrund und hielt sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb der jetzigen Regierungsspitze seit der Enron-Pleite 2001 offiziell eher die Bälle flach (Bush plante Invasion in den Irak schon zu Beginn seiner Amtszeit).
Doch damit ist es nun urplötzlich vorbei: Innerhalb weniger Tage führt Cheney, der zuvor auch innerhalb der USA oft nur zwei, dreimal im Monat öffentlich auftrat, etliche Presseinterviews mit US-Zeitungen, lässt die Presse auch an Bord der Airforce Two, hält eine Rede vor dem World Economic Forum in Davos in der Schweiz und besucht anschließend Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi sowie auch noch den Papst, obwohl er als guter Amerikaner erst das zweite Mal seit seinem Amtsantritt unter Bush Jr. überhaupt sein Land verlassen hat.
Reise- und interviewfreudig: Der neue Cheney?
Was ist in Dick Cheney gefahren? Will er in den dieses Jahr anstehenden Wahlen statt Bush neuer US-Präsident werden? Will er sein Image aufpolieren? Oder will die US-Regierung sich nicht mehr nur mit dem sich öfters mal schwer verplappernden Bush in der Öffentlichkeit präsentieren? Beim iranischen Präsident Mohammed Chatami ist Cheney bereits abgeblitzt - der reiste in Davos kurz vor Cheneys Ankunft ab und erklärte auf die Frage, warum er den von ihm gewünschten Dialog der Kulturen nicht mit Cheney führen wolle: "Ich sprach von einem Dialog der Gesellschaften, zwischen gelehrten und weisen Männern." Dass Chatami dabei sich selbst als ungelehrt und nicht weise betrachtet, ist wohl kaum anzunehmen.
Auch Cheneys Rede in Davos kam bei den über 1.500 Zuhörern aus Politik und Wirtschaft nicht so gut an: Cheney rief zur Unterstützung im Kampf gegen den Terror auf. Obwohl er versuchte, gemäßigte Töne anzuschlagen, wurden seine Forderungen ("Wir sind noch nicht sicher und wenn wir dies nicht durch Gespräche erreichen können, müssen wir darauf vorbereitet sein, unsere Verantwortung wahrzunehmen und Gewalt anzuwenden, wenn es nötig wird") teils als militaristisch bezeichnet und der Applaus war nur verhalten - anders als vor einem Jahr, als die USA an sich unbeliebter waren als jetzt und Außenminister Colin Powell auf derselben Veranstaltung sprach, der momentan mit Dick Cheney absolut nicht einer Meinung ist:
Hat es gar keine geheimen Waffenlager gegeben?
Cheney ist sich nämlich absolut sicher, im Irak noch die Lager mit Massenvernichtungswaffen zu finden, wegen denen der Krieg angeblich geführt wurde. Doch kann er sich dabei lediglich auf zwei Anhänger berufen, die nach dem Krieg gefunden wurden und die Existenz eines irakischen Biowaffenprogramms belegen sollen. Ansonsten bezieht er sich auf Vorfälle, die zeitlich deutlich vor dem Irak-Krieg liegen,
Powell steht dagegen gerade vor dem Dilemma, dass David Kay, oberster US-Waffeninspekteur im Irak, nach monatelanger ergebnisloser Suche nach Massenvernichtungswaffen nicht mehr daran glaubt, dass es solche Waffenlager gibt oder nach 1991 existiert haben, weswegen er zurückgetreten ist. Kay erklärte, es habe wohl auch in den 90er Jahren nie ein größeres "Programm" für Massenvernichtungswaffen gegeben. Vor einem Jahr hatte Powell noch die Existenz von Chemiewaffenlagern mit 100 bis 500 Tonnen im Irak vermutet, nun sagte er dagegen zu Reportern auf dem Weg in die ehemalige Sowjetrepublik Georgien, es sei fraglich, ob der Irak überhaupt die bewussten Lager von Massenvernichtungswaffen besessen habe. Mittlerweile ist also selbst die US-Regierung - mit Ausnahme von Dick Cheney - dabei, zu akzeptieren, dass womöglich alle vormals existenten Massenvernichtungswaffen bereits zerstört oder aufgebraucht waren, bevor der Irak-Krieg bekann. Damit ist der offizielle Kriegsgrund hinfällig.
In Chur, ebenfalls in der Schweiz und nur knapp 75 Kilometer von Davos entfernt, wurden währenddessen von protestierenden Demonstranten, die kritisierten, dass die Konferenz elitär ist und wirtschaftliche Interessen auf Kosten von Umwelt und Menschen vertritt, Farbbeutel geworfen, Schaufenster eingeworfen und Bush-Puppen verbrannt. Nächstes Jahr haben sie sicher auch Cheney-Puppen parat...