USA: Fake News gelten als "sehr großes Problem", das bekämpft werden müsse
Die seit Jahren auch aus politischen und militärischen Interessen hochgespielte Angst vor Desinformation und Lügenmedien hat vor allem die älteren Menschen angesteckt
Die fortgesetzte Dämonisierung von "Mainstreammedien", die Fake News verbreiten, wie sie Donald Trump massiv seit dem Wahlkampf 2016 fast täglich betreibt, ist - Stichwort: "Lügenpresse" - ein wichtiger Baustein der meist rechten oder rechtspopulistischen Ideologie. Auf der anderen Seite schüren Politiker, Militärs und Medien ebenfalls Ängste vor Fake News, die von ausländischen Medien und Trollen stammen, von Rechten und Rechtspopulisten verbreitet und vor allem in der medialen Konkurrenz der Sozialen Netzwerke verortet werden.
Während die einen von Manipulation und Beeinflussung sprechen, sehen die anderen schon die nationale oder auch die kognitive Sicherheit auf dem Spiel, geht es um hybride Kriegsführung oder Cyberwar. Es werden Propaganda-Abwehrmaßnahmen, angebliche Aufklärungsaktionen und -programme oder Faktenchecks finanziert, während der offene Medienraum stärker reguliert wird oder Zensurmaßnahmen durch etwa durch Filter zum Einsatz kommen.
Beide interessengeleiteten Strömungen - die einen wollen mehr Aufmerksamkeit und sehen sich benachteiligt, die anderen fürchten um ihre Macht - untergraben weniger das Vertrauen in den Informationsfluss, wo immer Skepsis erforderlich ist, sie haben aber es leichter gemacht, den Lügenvorwurf zu instrumentalisieren, so dass nun jeder freie Hand hat, auch unbegründet alles als Fake News zu verurteilen, was ihm nicht passt. Der Medienraum ist politisch ebenso gespalten wie die Gesellschaft. Dabei wird auch gerne unterstellt, dass die breite Bevölkerung im Kern dämlich ist und wehrlos Fake News, Propaganda, einseitigen und verzerrten Informationen, Gerüchten etc. anheimfällt, wenn sie nicht durch Gatekeeper geschützt werden.
Viren des Geistes
Vor 20 Jahren hat man noch nicht von Fake News gesprochen, sondern in Analogie zu Genen von Memen, die Informationen an den kognitiven Schutzsystemen vorbei in die Gehirne injizieren. Vorbilder dazu waren biologische oder Computerviren, die sich rasant verbreiten können, indem sie sich in die Körper oder Computer einnisten und sich dort reproduzieren (Die Evolution der Meme). Wenn man sich anstecken kann, braucht man eine Impfung oder ein Virenschutzsystem. Aber die Analogie ist natürlich falsch, denn Demokratien setzen einen souveränen Bürger voraus, der selbst imstande sein sollte, Fake News zu erkennen, zumal der Kampf gegen die Desinformation auch neue Desinformation erzeugt.
Eine aktuelle Pew-Umfrage zeigt, dass das hochgespielte Thema die Menschen zu beeinflussen scheint. Gefragt, was sie als "sehr großes Problem" in den USA betrachten, kommen zwar das Drogenproblem (70%) und der Zugang zu einer bezahlbaren Gesundheitsversorgung (67%) an erster Stelle, aber werden "erfundene Geschichten/Informationen (made-up news) von 50 Prozent schon gleich nach dem "politischen System" (52%) und die Kluft zwischen Arm und Reich genannt. Gefragt wurden über 6000 erwachsene Amerikaner Ende März bis Anfang April.
Fake News werden offenbar als bedrohlicher erlebt als Gewalttaten, Klimawandel oder Rassismus. Auch die von Trump hochgespielte Angst vor illegaler Einwanderung kommt nur auf 38 Prozent. Und Terrorismus, lange ein Dauerbrenner, erzielt nur noch 34 Prozent.
Politiker und Aktivisten werden vor allem verantwortlich gemacht
68 Prozent sagen, Fake News hätten einen großen Einfluss auf das Vertrauen in Regierungsinstitutionen. 54 Prozent meinen sogar, sie beeinflussen das wechselseitige Vertrauen, und 51 Prozent glauben, die Politiker hätten deshalb Schwierigkeiten, ihre Arbeit zu leisten. Man weiß allerdings nicht, wie viele davon beispielsweise Trump-Anhänger sind, die damit auf die vom Präsidenten als Fake News bezeichneten Medien wie CNN, Washington Post oder New York Times verweisen, oder aber Trump-Gegner, die den Präsidenten, seine Umgebung, die rechten Medien oder die Russen als Fake-News-Quellen sehen.
Anstatt auf die eigene Urteilskraft oder die der Mitmenschen zu vertrauen, sagen 79 Prozent, dass Maßnahmen gegen Fake News ergriffen werden sollten. Die werden mit 36 Prozent weniger Journalisten zur Last gelegt, sondern vor allem Politikern (57%) und politischen Aktivisten (53%) , aber Medien seien in der Pflicht, das Problem, das noch schlimmer werden wird, zu beheben. Das sagen 53 Prozent, als Regierungsaufgabe sehen es nur 12 Prozent.
Interessant dabei ist, dass die Amerikaner nur zu 35 Prozent das Ausland verantwortlich machen - mehr Anhänger der Demokraten als der Republikaner -, obgleich die russischen Beeinflussungskampagnen von Geheimdiensten, Politik und Medien als besonders bedrohlich präsentiert wurden. Anhänger der Republikaner machen Medien sehr viel öfter für Fake News verantwortlich als Anhänger der Demokraten, was zeigt, dass sie im Fahrwasser von Trump schwimmen. Sie behaupten auch, dass sie auf mehr Fake News stoßen.
Die Hälfte sagt, sie würden gelegentlich oder oft über Fake News stolpern. Vierfünftel erklären, sie hätten auch schon die Fakten in Nachrichten selbst überprüft - was ja eigentlich nur vernünftig ist. Das Vertrauen in welche Medien auch immer wäre schließlich höchst irrational, auch wenn sich diese um hohe Objektivität bemühen, die in Nachrichten schon alleine wegen der Kürze gar nicht wirklich realisierbar ist.
Viele haben angeblich ihren Nachrichtenkonsum reduziert
Dass über 60 Prozent wegen Fake News ein bestimmtes Medium nicht mehr nutzen oder die Hälfte mit Sozialen Medien anders umgeht, ist weniger aussagend. Bedeutsamer könnte schon sein, wenn 43 Prozent sagen, sie hätten ihre Nachrichtenrezeption reduziert, was auch heißen würde, dass sie sich ein Stück weiter aus der Welt zurückziehen, zumindest wenn man der These des Soziologen Niklas Luhmann (1995) folgt: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."
Natürlich müssten dazu Online-Medien und Soziale Netzwerke hinzugenommen werden. Allerdings lässt Luhmann auch deutlich werden, dass der heutige Hype über Fake News ein letztlich uraltes Thema ist und weit in die Geschichte auf das Verbreiten und Zirkulieren von Gerüchten in den analogen Sozialen Netzwerken zurückgeht. Luhmann fährt fort:
Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und der Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur. Was wir über die Stratosphäre wissen, gleicht dem, was Platon über Atlantis weiß: Man hat davon gehört. Oder wie Horatio es ausdrückt: So I have heard, and do in part believe it. Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, daß wir diesen Quellen nicht trauen können. Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge zusammenschließt.
Niklas Lumann
Die (inszenierte) Hysterie über Fake News und deren angeblich neue und gefährliche Beeinflussung der Gesellschaft könnte aber auch eine Generationenfrage sein. Die befragten 18-29-Jährigen sind deutlich weniger besorgt als die älteren Amerikaner. Sie machen auch weniger stark Politiker, Aktivisten, Prominente oder ausländische Akteure dafür verantwortlich und sehen die weitere Entwicklung auch nicht so pessimistisch. Die Generationenkluft ließ sich auch hierzulande beim Thema Upload-Filter feststellen.
Und wenn trotzdem die jungen und die älteren Amerikaner vor allem die Politiker und dann die politischen Aktivisten für Fake News verantwortlich machen, dann zeugt das von größerem Realismus als die meisten angeblichen Aufklärungskampagnen, die ausländische Akteure und rechte/rechtspopulistische Parteien und Akteure dafür verantwortlich machen, aber die "normalen" politischen Parteien, Politiker und Organisationen unbeachtet lassen. Besonders ins Auge fiel das im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, in dem die von den Wahlkampfmaschinen Trumps und Clintons 2,1 Milliarden US-Dollar ausgegeben wurden (Russische "Einmischungsoperation" wird zu einem Monstrum aufgeblasen).