USA spähten für Assange-Anklage Veranstaltungen in Deutschland aus
Erweiterte Anklageschrift gegen Julian Assange verweist auf drei Events in Berlin zwischen 2013 und 2015. WikiLeaks-Mitarbeiter sind wieder im Visier
US-Behörden haben im Zuge der Anklage gegen den Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, netzpolitische Veranstaltungen in Deutschland observiert. Das geht aus der erweiterten Anklageschrift gegen Assange vom Juni dieses Jahres hervor, die Telepolis ausgewertet hat. Demnach wird Assange und mehreren WikiLeaks-Mitarbeitern vorgeworfen, in Deutschland versucht zu haben, Informanten für die Plattform zu rekrutieren, um geheime Informationen zu "stehlen".
Die Nennung von drei Events zwischen den Jahren 2013 und 2015 ist nicht nur beachtlich, weil die netzpolitische Szene in Deutschland von US-Stellen beobachtet wurde. Die erweiterte Anklageschrift weist vor allem darauf hin, dass die US-Justiz die Strafverfolgung neben Assange offenbar auf weitere WikiLeaks-Mitarbeiter ausweiten will.
Genannt werden in den Punkten 86 bis 91 der Kongress des Chaos Computer Clubs Ende Dezember 2013, die netzpolitische Konferenz re:publica Anfang Mai 2014 und eine Diskussionsveranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Juni 2015. Auf seiner Website habe der CCC für die Präsentation geworben, indem er schrieb: "Es gab noch nie eine höhere Nachfrage nach politisch engagierten Hacker-Aktivitäten", so das US-Justizministerium. Assange und eine als WLA-3 bezeichnete Person würden "diskutieren, was getan werden muss, wenn wir gewinnen wollen". Der Abgleich mit der Dokumentation der Veranstaltung zeigt, dass mit WLA-3, einer Abkürzung für "WikiLeaks-Associate", der Assange-Vertraute und US-Journalist Jacob Appelbaum gemeint ist.
Assange habe den Zuhörern gesagt, es sei "jetzt sogar für einen einzigen Systemadministrator möglich, (...) [Organisationen] (...) nicht nur zu zerstören oder ausschalten, sondern vielmehr Informationen aus einem Informationsapartheidsystem (...) publik zu machen", heißt es in dem US-Dokument weiter. Der WikiLeaks-Gründer habe die Zuhörer zudem aufgefordert, im US-Auslandsgeheimdienst CIA aktiv zu werden, "um Informationen zu stehlen und WikiLeaks zur Verfügung zu stellen".
Auch im Fall der re:publica im Mai 2014 und der Diskussionsrunde der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung wird Appelbaum sowie der als WLA-4 bezeichneten britischen WikiLeaks-Mitarbeiterin und Journalistin Sarah Harrison vorgeworfen, Whistleblower rekrutiert haben zu wollen.
Appelle für Snowden und Aufrufe zum Leaken
Auf der re:publica hatte 2014 der Fall des US-Whistleblowers Edward Snowden eine wichtige Rolle gespielt. Snowdens Leaks hatten nach 2013 das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten enthüllt, vor allem der USA und Großbritanniens.
Vor rund 6.000 Gästen der re:publica hatte der Journalist und Mitinitiator der Konferenz, Markus Beckedahl, die Bundesregierung damals aufgefordert, Snowden Asyl zu gewähren. Beckedahl argumentierte, die Bundesregierung sei nach dem Grundgesetz zum Schutz des Whistleblowers verpflichtet. Harrison hatte in ihrer Rede kritisiert, dass zahlreiche Staaten sich weigerten, Snowden Schutz zu bieten. Der Grund dafür liege offenbar in der Dominanz der Vereinigten Staaten in den internationalen Beziehungen. Später fand Snowden Zuflucht in Russland, wo er bis heute politisches Asyl genießt.
Assange hatte auf dem 30. Chaos Communication Congress bereits Ende 2013 mit einem Appell aus der Botschaft von Ecuador in London für Aufsehen gesorgt - inhaltlich und wegen der Kritik an seiner Person.
Gemeinsam mit Appelbaum und Harrison rief der WikiLeaks-Gründer Hacker auf, Geheimdienste und andere Institutionen zu infiltrieren und wie Edward Snowden geheime Informationen über illegale Machenschaften öffentlich machen. Dies sei die "enorme Macht" der System-Administratoren, so Assange in der Videoübertragung. Sie verwalteten Netzwerke und kennen daher die Struktur der Systeme.
Harrison betonte auf der Bühne, Wikileaks arbeite ungeachtet der massiven Drohungen der damaligen US-Regierung weiter. "Wir setzen unsere Veröffentlichungen fort", bekräftigte sie. Aus Angst vor Strafverfolgung sah sie damals jedoch davon ab, nach Großbritannien zurückkehren. Auch wenn die US-Justiz später vor allem Assange, Snowden und die US-Whistleblowerin Chelsea Manning ins Visier nahm: Die neue Anklageschrift gegen Assange zeigt, dass nun auch wieder andere WikiLeaks-Journalisten mit der Rache der USA rechnen müssen.
"Kann man als Angriff auf die Pressefreiheit interpretieren"
Gegenüber Telepolis übte Appelbaum nun harsche Kritik an dem Vorgehen der US-Justiz gegen Assange und an der Erweiterung der Anklageschrift auf WikiLeaks-Mitarbeiter. Das knapp 50-seitige Dokument des US-Justizministeriums sei "nichts als Lawfare und Teil einer umfassenderen Strategie politischer Angriffe auf WikiLeaks, auf Personen im Umfeld von WikiLeaks und auf den investigativen Journalismus als Ganzes", so Appelbaum.
Die Behauptungen des US-Justizministeriums seien für die darin Genannten sowie für alle Journalisten weltweit mit Blick auf wesentliche Funktionen der Berichterstattung äußerst gefährlich. "Immerhin werden die in der Anklageschrift namentlich genannten und nicht namentlich genannten Personen politischer Verbrechen bezichtigt", fügte der US-Journalist an. Das US-Regierungsdokument erwecke daher den Eindruck, dass sich effektiver und investigativer Journalismus im öffentlichen Interesse nicht von krimineller Spionage unterscheide (Jacob Applebaum: Die Anklageschrift erweckt den Eindruck, dass sich investigativer Journalismus nicht von krimineller Spionage unterscheidet).
Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung gab man sich verhalten. Man habe die Erwähnung einer Stiftungsveranstaltung in der US-Anklageschrift zur Kenntnis genommen, hieß es auf Anfrage. "Dass öffentliche Veranstaltungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung im In- und Ausland registriert und beobachtet werden, ist bekannt, hat jedoch keinen Einfluss auf unsere Aktivitäten und die Planungen unserer Angebote zur politischen Bildung", so Sprecherin Jannine Hamilton.
"Wir waren überrascht und irritiert, einen Auftritt von Sarah Harrisson auf der re:publica 2014 in der Anklageschrift gegen Julian Assange gefunden zu haben", sagte Markus Beckedahl gegenüber Telepolis. Vor allem, weil das von Harrison wiedergegebene Zitat ein Plädoyer für einen aufgeklärten und investigativen Journalismus beinhalte. "Wenn man Julian Assange und Wikileaks daraus einen Strick drehen will, kann man das als Angriff auf die Pressefreiheit interpretieren", so Beckedahl. Im Übrigen bringe die re:publica viele Themen und Perspektiven auf eine sich entwickelnde digitale Gesellschaft auf die Bühne: "Auch US-Behörden können von unseren Inhalten noch etwas lernen, wir bieten viele weitere Inhalte auf unserem Youtube-Kanal an."
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