Überraschender Fallout
Mikroplastik kann entlegene, weit von der Emissionsquelle entfernte Gegenden erreichen - auf dem Luftweg
Die beim Abbau von Konsumprodukten aus Plastik entstehenden mikroskopisch kleinen Kunststoffteilchen haben sich mittlerweile zum globalen Problem gemausert. Sie sind beispielsweise in den Weltmeeren zu finden, im Eis der Polargebiete und in den Sedimenten der Meeresböden der Tiefsee. In diese vom Ort ihrer Herstellung und hauptsächlichen Nutzung weit entfernten Gegenden gelangen sie vor allem über die Wasserläufe. Eine im Fachblatt Nature Geoscience vorgestellte Studie fügt dem Verteilungsbild nun eine weitere Facette hinzu: Die Forscher konnten nachweisen, dass selbst in entlegenen Gebieten mit einem nicht zu vernachlässigenden Eintrag aus der Atmosphäre zu rechnen ist.
Branchenkenner schätzen den Umfang der weltweiten jährlichen Kunststoffherstellung gegenwärtig auf 335 Millionen Tonnen. Davon werden allein in Europa 60 Millionen Tonnen produziert (Stand 2016). 27 Millionen Tonnen Plastik wiederum werden dort jedes Jahr als wiederverwerteter, verbrannter oder deponierter Müll erfasst. Für die Autoren der vorliegenden Studie werfen diese Zahlen Fragen zum Verbleib der restlichen Menge von 33 Millionen Tonnen auf: Einige Kunststoffe mit Langzeitanwendung von bis zu einem halben Jahrhundert könnten zumindest einen Teil der Diskrepanz in dieser europäischen Massenbilanz von Kunststoffen erklären, wie auch die schätzungsweise 10 Prozent der erzeugten Kunststoffmenge, die jährlich in die Weltmeere gelangen soll.
Große Mengen makroplastischer Abfälle würden in der terrestrischen Umgebung leicht zu beobachten sein. Auf mikroskopisch kleine Partikel heruntergebrochen entziehen sie sich jedoch einer einfachen Erkennung: etwa Mikroplastik, mit Partikelgrößen zwischen fünf Millimetern und einem Mikrometer - unterhalb dieser Ausmaße hat man es mit noch schwieriger wahrnehmbaren Nanokunststoffen zu tun.
Der Ursprung von Mikroplastik ist vielfältig: Sie bilden sich zum Beispiel beim mechanischen Verschleiß größerer Kunststoff-Gegenstände wie Autoreifen. Oder sie finden sich als faserige Schuppen im Flusensieb von Wäschetrocknern oder Waschmaschinen wieder: Ein durchschnittlicher Waschgang mit sechs Kilogramm Kunstfaser-Wäsche kann über 700.000 Fasern aus den Garnen der Gewebe lösen. Andere stammen aus absichtlich in Umlauf gebrachten Quellen, wie z. B. mikroplastische Scheuermittel in Reinigungs- und Kosmetikprodukten. Mikroplastik-Teilchen sind persistent in der Umwelt: Bis zu ihrem vollständigen Abbau brauchen sie teilweise hunderte von Jahren.
Kürzlich durchgeführte Studien hatten Mikroplastik im Sediment von Flüssen und Seen identifiziert. In großen Städten sind sie Bestandteil des Aerosols. Mit Niederschlägen können sie den Boden erreichen und sich dort ablagern. Über welche Strecken sie transportiert und wie weit sie über Stadtgrenzen hinaus weiterverbreitet werden können, ist derzeit unklar, dafür sind quellen-spezifische Messprogramme mit Probenahme an entfernten Orten durchzuführen.
Neue Untersuchung zum Ferntransport in der Luft
Um Anhaltspunkte zu finden, wie weit Mikroplastik mit der Luft transportiert werden kann, hatten Umweltforscher in den französischen Pyrenäen regelmäßig in einem Zeitraum von fünf Wintermonaten die vom Himmel herabfallenden Partikel gesammelt, die im Verein mit Staub, Regen oder Schnee niedergingen.
Die meteorologische Station Bernadouze ist rund 100 Kilometer von Toulouse im Norden und 120 Kilometer von Perpignan im Osten entfernt und liegt in einer Höhe von 1425 Metern über dem Meeresspiegel. Die spanische Grenze ist keine 15 Kilometer entfernt, Andorra 35 Kilometer. Der höchste Berg der Pyrenäen, der Pico de Aneto, liegt 65 Kilometer südwestlich im Rücken der Station. An der Messwarte werden sonst über die Ablagerung in Torfvorkommen andere atmosphärische Verschmutzungen erfasst, wie etwa Blei und Quecksilber.
Die Autoren fanden zu ihrer Überraschung vorwiegend Kunststoffreste aus Einwegverpackungen, die im Versand verwendet wird, hauptsächlich aus Polystyren (PS) und Polyethylen (PE). 40 Prozent der in Europa hergestellten Kunststoffe dient kurzlebigen Verpackungszwecken, die dominierende Anwendung beider Sorten. Weitere Bestandteile des Plastik-Fallouts: Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET).
Aus ihrer Beprobung schließen sie, dass auf den Quadratmeter bezogen jeden Tag durchschnittlich 365 Kunststoffpartikel in der Auffangvorrichtung der Station ausgesiebt wurden. Das ist in der Größenordnung vergleichbar mit den Mengen, die bei den wenigen bisher untersuchten Mikroplastik-Niederschlägen über Großstädten gefunden wurden. Die Wissenschaftler haben das zur Veranschaulichung der Dimension hochgerechnet: Würden über dem gesamten Land vergleichbare Mengen an Mikroplastik aus der Luft niedergehen, müsste jedes Jahr mit ungefähr 2000 Tonnen Plastik gerechnet werden, die sich wie eine Plastikhülle über die französische Landschaft legen.
In einer Weiterführung ihrer Arbeit wollen die Wissenschaftler nun das angetroffene Mikroplastik in der Luft bis zu ihrer Quelle zurückverfolgen. Computersimulationen unter Berücksichtigung von vorherrschenden Windrichtungen, Windgeschwindigkeiten und Niederschlagsereignissen sollten erste Anhaltspunkte zur Lokalisierung der Emissionsquellen liefern. Dafür kommen laut Autoren vor allem Kleinstädte in mittleren Entfernungen von der Station in Frage - für eine Quellenortung herantransportierten Materials von weiter weg ist die gewählte Methode ungeeignet.
Wenn es um die Herkunft von Luftmassen in so komplexem Terrain wie im vorliegenden Fall geht, ist ein deutlich höherer Aufwand vonnöten. Transportmodelle für größere Entfernungen existieren, erfordern jedoch zum Beispiel eine ereignisspezifische Probenahme, um das Ausmaß des Transports realistisch simulieren zu können. Zum Verständnis der Kopplung an Niederschläge empfehlen die Wissenschaftler außerdem eine detailliertere Überwachung und Analyse der atmosphärischen Deposition, zum Beispiel mit separaten Probenahme-Anordnungen für die Trocken- und Nassabscheidung der Partikel.
In der Studie wird eine vergleichbar hohe Anzahl von Mikroplastikpartikel-Abscheidungen aus der Atmosphäre wie in früheren, ähnlich gelagerten Untersuchungen zu Großstädten präsentiert. Das legt nahe, dass es sich angesichts dieser dünn besiedelten Gegend vorwiegend nicht um lokale Quellen handelt. Die gesammelten Mikroplastikteilchen könnten vor allem in größeren Städten entstanden sein, was darauf hindeutet, dass sie mindestens 100 Kilometer in der Atmosphäre mitreisten, bevor sie hier wieder zu Boden gingen. Doch die winzigen Teilchen könnten sich noch viel weiter bewegen: In den Pyrenäen werden beispielsweise auch Staubpartikel aus der Sahara gefunden, die doppelt so groß und schwer sind wie die in der Studie gefundenen Kunststoff-Fragmente. Auch Vulkanstaub kann über weite Strecken transportiert werden.
Das eigentliche Problem: Mikroplastik - Material mit unbekannten Nebenwirkungen
Zwar wird sich der Mensch der Gegenwart von Mikroplastik in der Umgebung zunehmend bewusst, trotzdem ist das Wissen gering darüber, wenn es um die Dimension des Problems geht und darum, welche Auswirkungen das ganze auf das Wohlbefinden von Umwelt, Mensch und Tier hat.
Denn die winzigen Plastikteilchen können auch vom Menschen über den Verdauungstrakt oder die Atmung aufgenommen werden. Bei einigen Meeresbewohnern werden sie bereits mit Fortpflanzungsproblemen in Zusammenhang gebracht. Neben der Anreicherung in der Nahrungskette gibt es noch andere, weniger offensichtliche Wege der Verbreitung in der Umwelt.
Wären diese Kunststoff-Fragmente inert, würden sie vermutlich keine akute Bedrohung darstellen, doch das ist nicht gesichert: Die mit ihnen verbundenen Risiken bleiben vorerst im Dunkeln.
Neben den Problemen, die mit der versehentlichen Einnahme großer Mengen Plastik ohne jeglichen Nährwert verbunden sind, gibt es zumindest erste Hinweise auf einige versteckte Gefahren. Mikroplastik könnte über ihre relativ große Oberfläche möglicherweise Stellen für Oberflächenreaktionen bereitstellen und als Träger für organische Schadstoffe dienen. Die Tatsache, dass Mikroplastik in Trinkwasser und Lebensmitteln angetroffen wird, ohne dass der Mensch die Konsequenzen abschätzen kann, macht eins klar: Die Erforschung von Mikroplastik in der Umwelt steht erst am Anfang.
Dahin sollten sie idealerweise gar nicht erst gelangen. Hier sind neue Wege bei Müllvermeidung und in der Wiederverwertung gefragt. Die Recyclingrate bei Plastikverpackungen in Europa liegt bei rund 40 Prozent; 3,4 Millionen Tonnen wandern jährlich auf Müllkippen. Kunststoffteilchen, die mit fortschreitendem Abbau klein genug werden, um in die aquatische Umwelt überzugehen oder in die Atmosphäre aufzusteigen, sind praktisch nicht mehr einzufangen. Die einzige praktikable Lösung: von vornherein weniger davon produzieren.