Überwachungsunion Europa - Teil II
Die Pläne der EU-Arbeitsgruppe "Polizeiliche Zusammenarbeit" für den paneuropäischen Lauschangriff
Damit nichts dem Zufall überlassen bleibt, haben die Europolizisten im Registerteil des Papiers "Enfopol 98" bereits einen Terminus technicus für einen internationalen Abhörstandard definiert. Dieser trägt den wenig klingenden Namen "International Users Requirements for Interception" (IUR). Die Umsetzung der darin festgehaltenen Anforderungen wirft zahlreiche rechtliche Fragen und Probleme auf, allein schon deshalb, weil die Netzbetreiber "ihre Netzarchitektur auf der Grundlage von technischen und finanziellen Fragen" planen und nicht so, wie es der Europolizei am liebsten wäre.
Schon der grenzüberschreitende Verkehr (Roaming) der GSM-Systeme nimmt es mit politischen Grenzen nicht so genau. Die Weitergabe eines Mobiltelefons an ein ausländisches Netz kann aus technischen Gründen entweder vor oder nach dem physischen Grenzübertritt erfolgen. Die Architektur des satellitengestützten Iridium- Systems sieht überhaupt vor, dass "mehrere Staaten von einem einzigen terrestrischen Gateway aus" bedient werden, welches die Gespräche an die terrestrischen Netze weiterleitet. Hier könne es zu heiklen "Fragen bezüglich nationaler Verfahrensweisen und Souveränität für die betroffenen Staaten" kommen, halten die Enfopol-Verfasser fest:
"Es kann sein, dass der Zugriff der Exekutive auf ein Telekommunikationssystem in einem Staat beschränkt sein muss" (§ 1.1).
Das wiederum macht für die Europolizisten die Ausforschung des "möglichst genauen geographischen Standorts innerhalb des Netzes" erforderlich. Angesichts der technischen Gegebenheiten bei Mobilen Satellitengestützten Systemen (MSS), die "einen hohen Grad an Granularität für den Teilnehmerstandort" aufweisen, trägt dies Sprengstoff in sich. Die Forderung nach genauer geographischer Ortbarkeit kann in der Praxis nur bedeuten, dass Betreiber wie Iridium dazu verpflichtet werden sollen, Zielpersonen regelrecht anzupeilen. Das würde den Paralleleinsatz von zwei oder mehreren Satelliten erfordern, womit für die Betreiber ein kaum abschätzbarer Mehraufwand verbunden wäre.
Im Falle, "dass nur ein Teil des Teilnehmerprofils am Roaming-Gateway zur Verfügung steht", benötige man "ein Mittel... um die restliche Information vom Heimatgateway...zu erhalten." Damit ergibt sich für Europol die Notwendigkeit, "Überwachungsanordnungen von einem Staat an einen anderen Staat weiterzugeben, damit der Diensteanbieter Überwachungen aktivieren kann."
Für unbescholtene EU-Bürgerinnen und -Bürger, die mit einer im Ausland befindlichen Zivilperson mobil telefoniert haben, kann das bedeuten, dass ihre Daten an Behörden eines Drittstaats weitergegeben werden. Dem Wortlaut des Papiers nach ist diese Praxis nicht auf EU-Staaten eingeschränkt.
Im Enfopol-Papier, in dem zwar unablässig von "gesetzlich ermächtigten Behörden" und "rechtmässiger Überwachung des Kommunikationsverkehrs" die Rede ist, steht absolut nichts über rechtliche Grundlagen der Überwachung - den Beschluss eines ordentlichen Gerichts. Nicht zuletzt, weil die Abfassung des Enfopol-Papiers zeitlich in die EU- Präsidentschaft Österreichs fällt, drängt sich hier eine Parallele zu aktuellen Bestrebungen des Österreichischen Innenministeriums auf. Ein mittlerweile etwas entschärfter Entwurf für ein Polizeibefugnisgesetz enthielt einen Passus über vorbeugende "Gefahrenerforschung". Darunter fiel der Zugriff auf alle Vermittlungsdaten fast willkürlich zu definierender Telefonate. Das hätte die Erstellung von Bewegungsprofilen ohne richterlichen Befehl legalisiert. Ganz offensichtlich haben die selben österreichischen Beamten auch an der Erstellung des Wunschkatalogs "Enfopol 98" mitgewirkt.
Von dem durch das Enfopol-Papier hauptsächlich betroffenen MSS-Anbieter Iridium traf bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme ein.