Ukraine: Korruptionswächter im Zwielicht
Die grassierende Korruption gilt Haupthindernis für eine Visa-Erleichterung von Seiten der EU
Serhij Leschtschenko galt als der erste Aufklärer der Nation, als "Oligarchenjäger", der undurchsichtige Geschäfte ans Licht brachte.
Darunter gehört auch die Finanzierung des Trump-Beraters Paul Manafort durch die Partei des Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch aus schwarzen Kassen. Doch nun steht der ehemalige Journalist und Abgeordnete in der Ukraine selbst unter Erklärungszwang.
Woher die Einkünfte für eine 300.000 US-Dollar teure Wohnung in der Stadtmitte von Kiew kommen, will die ukrainische Öffentlichkeit wissen. Einen Teil des Geldes soll er sich von der Online-Zeitung "Ukraijnska Pravda" geliehen haben.
Korruption gilt als eine der größten Geisel der Ukraine nach Transparency international befindet sich das Land auf Platz 130 von 167 Ländern. Nach Umfragen des Soziologischen Instituts in Kiew glauben 91 Prozent der Bevölkerung nicht daran, dass sich etwas daran ändert. Die Korruption gilt auch als Haupthindernis für eine Visa-Erleichterung von Seiten der EU. Anfang Oktober soll das EU-Parlament über eine mögliche Aufhebung der Visapflicht entscheiden.
Das Land ist auch schwer unter Druck. Der Südosten wurde 2014 von prorussischen Rebellen für unabhängig erklärt, täglich kommt es weiterhin an der Grenzzone zu Gefechten, die Umsetzung des Minsker Abkommens wird von beiden Seiten blockiert. Durch die Annexion der Krim und die Kämpfe muss das Land knapp zwei Millionen Binnenflüchtlinge versorgen. Gerade mal 8,7 Prozent der Bevölkerung verdienen mehr als 3720 Griwna monatlich, umgerechnet 126 Euro.
Auf der anderen Seite stehen millionenschwere Oligarchen, die einen großen Teil der ukrainischen Wirtschaft kontrollieren, genaue Zahle gibt es nicht. Staatspräsident Petro Poroschenko, selbst Oligarch, war 2014 angetreten, die Macht der Wenigen zu brechen. Der Schokoladenfabrikant hat Anfang 2015 eine "De-Oligarchisierung" angekündigt, bei der vor allem die Energiemonopole aufgeteilt werden sollten.
Doch Leschtschenko warf Poroschenko vor, er würde die Oligarchen nicht zurückdrängen, sondern zwingen, mit seiner "Familie", also seinen Interessenssphären, Kompromisse zu schließen . Zu Petroschenkos "Clan" gehörten auch wichtige Juristen in der Staatsanwaltschaft. Poroschenko würde wieder in die alten Muster seiner Vorgänger zurück fallen.
Auch die Netzzeitung Ukraijnska Prawda hat ihren Nimbus verloren. Die Zeitung, die bereits zwei leitende Journalisten durch ungeklärte Morde verloren hatte, deckte mehrere politische Skandale auf. Im Westen wurde sie durch die Unterstützung der Majdan-Bewegung bekannt. Doch nun wird ihr unterstellt, unter dem Einfluss des offiziell wegen Steuervergehen aus Russland geflohenen Oligarchen Konstantin zu stehen. Allerdings gibt es für diese Behauptung keine Belege.
Antikorruptionsbehörde im Krieg gegen die Generalstaatsanwaltschaft
Als offizielle Waffe gegen die Korruption gilt das "Nationale Büro für eine Ukraine ohne Korruption" (NABU). Die Institution, die auf Druck des Internationalen Währungsfonds gegründete wurde und seit Anfang 2015 agiert, nimmt vor allem korrupte Richter und Staatsanwälte unter die Lupe. Dabei knallt es auch mal, nicht ohne Grund steht ein schwerer Panzerwagen vor dem Hauptgebäude.
Bis vor kurzem lieferte sich die Behörde eine regelrechte Schlacht mit der Generalstaatsanwaltschaft, wobei sich die Beamten gegenseitig verhafteten. Gipfel des Konflikts war die Inhaftierung und Misshandlung zweier NABU-Offiziere durch Beamte der Staatsanwaltschaft, worauf die Antikorruptionsbehörde ihre beiden Mitglieder mittels Spezialkräften befreien ließ.
Artem Syntnik, Chef der Behörde, verwies in einem Interview in der letzten Woche jedoch auf die Erfolge der Behörde - so seien die Ermittlungen gegenüber dem Oligarchen Oleksandr Onyschchenko wegen Betrugs bei Gasgeschäften mit Russland ein Beweis, dass es in der Ukraine "keine unberührbaren" Personen mehr geben. Der Oligarch hat mittlerweile in Großbritannien Asyl beaantragt.
Kritiker wie die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko und andere Unternehmer glauben jedoch, dass Onyschchenko als Konkurrent von Petroschenkos Interessen attackiert wurde.
Die EU setzt weiterhin auf die ukrainische Exekutive im Kampf gegen die Korruption. Der EU-Erweiterungs-Kommissar Johannes Hahn hat der Behörde und weiteren Behörden bei einem Besuch Mitte September in Kiew 16 Millionen Euro zugesprochen. Und der einflussreiche "Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres" des EU-Parlaments hat bereits dafür plädiert, die Visa-Pflicht aufzuheben.
Serhij Leschtschenko will nun mit der Antikorruptionsbehörde NABU eng kooperieren und alle Papiere offen legen, wie er gegenüber den Medien ankündigte, um seine Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen. Bereits 16 Jahre habe der 1980 Geborene nach eigenen Angaben den Anti-Korruptionsaktivitäten gewidmet. Sollten weitere Unregelmäßigkeiten ans Licht kommen, wäre der bislang Unbequeme als "Oligarchenjäger" nicht mehr glaubwürdig. Was die Lethargie angesichts der Verhältnisse in der Ukraine noch verschlimmern würde.