Ukraine-Krieg: Helsing revolutioniert Drohnenkrieg

Kampfdrohne HX-2. Bild: Helsing
Deutsches Software-Unternehmen liefert 4.000 KI-gestützte Kampfdrohnen. KI-System ermöglicht Schwarmtaktik. Das Spitzenmodell wartet auf den Einsatz.
Die russische Lancet-Drohne, entwickelt vom Kalashnikow-Konzern, spielt im Ukraine-Krieg eine bedeutende Rolle. Nach Angaben der russischen Webseite Lost Armour wurden über 2.600 Einsätze der Drohne auf Video dokumentiert.
Dabei sollen vom X-Flügler zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge sowie strategische Ziele, etwa Komponenten des Iris-T-Luftabwehrsystems und Himars-Werfer, getroffen worden sein.
Jetzt gibt ein deutsches Rüstungs-Start-up an, Tausende Lancet-Kopien pro Monat fertigen zu wollen. Zusätzlich will das Unternehmen mehrere Tausend Kamikaze-Drohnen an die Ukraine liefern.
Helsing, so der Name des Unternehmens, wurde erst im Jahr 2021 gegründet und hat dennoch bereits eine Marktkapitalisierung von knapp fünf Milliarden Euro erreicht. Damit ist es derzeit das wertvollste europäische Rüstungs-Start-up.
Helsing startete als reines Software-Unternehmen. Im Zentrum der Unternehmensentwicklung standen KI-Systeme für militärische Anwendungen.
Im September dieses Jahres vereinbarte Helsing einen Liefervertrag mit der ukrainischen Regierung über bewaffnete Drohnen. Die Finanzierung der Lieferung erfolgt durch das deutsche Bundesverteidigungsministerium – im Rahmen der sogenannten "Ertüchtigungsinitiative".
Deutschland liefert bereits Drohnen an die Ukraine, doch handelte es sich bisher lediglich um unbewaffnete Aufklärungsdrohnen.
Billige Kamikaze-Drohne
Nun aber sollen Kamikaze-Kampf-Drohnen geliefert werden. Im Auftrag und auf Rechnung des deutschen Verteidigungsministeriums ist geplant, 4.000 Kamikaze-Drohnen in der Ukraine startklar zu machen.
Laut Informationen des Spiegel geht es nicht um das Spitzenmodell der Firma, die Lancet-Kopie HX-2, sondern um eine in der Ukraine zugekaufte Billig-Drohne aus Sperrholz, die AQ100 Bayonet des Herstellers "Terminal Autonomy".
Die AQ100 Bayonet hat optisch nichts mit der russischen Lancet-Drohne gemeinsam. Statt eines X-Flügel-Layouts hat die AQ100 eine Tiefdecker-Konfiguration mit groß geratenen Canard-Flügeln am Bug. Von der Anmutung her gleicht sie einem groß geratenen Modellbau-Flugzeug.
Allerdings weist die Drohne ähnliche technische Charakteristika auf wie die russische Lancet, wobei der Preis mit 4.000 US-Dollar deutlich niedriger geschätzt wird als der Preis der Lancet mit 35.000 US-Dollar.
Terminal Autonomy gibt eine Reichweite von bis zu 150 Kilometern an und einen Sprengkopf von 4,5 Kilogramm. Das sind sehr ähnliche Werte, wie sie auch die Lancet aufweist, die es mittlerweile in verschiedenen Versionen gibt.
KI-Software ist das Herzstück
Helsing lässt den Billig-Drohnen-Entwurf in der Ukraine von "Terminal Autonomy" fertigen. Diese dann in HF-1 umbenannte Drohne wird mit der Helsing-eigenen Steuerungssoftware versehen. Und diese Software ist das Herzstück der Helsing-Technologie.
Hier wird deutlich, dass das Unternehmen als Softwareschmiede gestartet ist, denn die Software basiert auf einer eigens entwickelten KI. Diese soll zwei Hauptfähigkeiten ermöglichen: Zum einen soll sie einen hohen Grad an Autonomie erreichen. Und zum anderen soll sie in der Lage sein, zu Hunderten als Schwarm zu agieren.
Beide Kriegsparteien arbeiten fieberhaft an einer Autonomisierung der Drohnentechnologie, die die Waffe unempfindlich gegen die Störversuche machen würde. Auch die russische Lancet-Drohne scheint seit einiger Zeit dazu befähigt worden zu sein, den terminalen Zielanflug autonom zu bewältigen.
Eine Autonomisierung der Drohnen würde das Hauptproblem der heutigen Drohnenkriegsführung lösen. Die Drohnensteuerung wird in der Regel über Funk realisiert, ein Drohnenoperator steuert die Waffe fern, ähnlich wie bei einem Modellflugzeug.
Und hier liegt die Achillesferse der bisherigen Drohnentechnologie: Die Funkverbindung kann gestört werden, 60 bis 90 Prozent aller Drohnen gehen aufgrund von Maßnahmen der elektronischen Kriegsführung (Eloka) verloren.
Genaue Zahlen liegen nicht vor, aber es ist klar, dass Eloka zu einer hohen Ausfallrate bei den Drohnen führt.
Der Steuerungsimpuls
Schon heute gibt es einen Hardware-Workaround gegen die Mittel der elektronischen Kriegsführung: Beide Seiten setzen zunehmend Drohnen mit sehr langen Glasfaserkabeln ein. Die Drohnen bleiben steuerbar, weil eine physische Verbindung mit dem Operator besteht, die nicht durch Eloka gestört werden kann.
Trotz AI und Autonomisierung würde es auch bei der Helsing-Drohne einen Funkverkehr zwischen der Drohne und dem Operator geben. Denn die finale Zielentscheidung soll immer noch von einem Menschen und nicht von der KI getroffen werden. Dazu benötigt es eine Verbindung zu einem Menschen über Funk.
Die könnte potenziell gestört werden, wobei es für eine solche finale Zielentscheidung weit weniger Daten braucht als für die vollständige Steuerung durch einen Menschen. Es würde reichen, wenn von der Videoübertragung der Drohne nur einzelne Standbilder den Operator erreichen.
Der dann nötige Steuerungsimpuls, also die Zielfreigabe, besteht nur aus extrem kleinen Datenpaketen. Deshalb kann das System auch mit "Human-in-the-loop" (HITL) Technologie als weitgehend manipulationssicher durch Eloka gelten.
Auch die beworbene Schwarmtechnologie würde eine Kommunikation der Drohnen untereinander erfordern, die prinzipiell durch Eloka störbar wäre.
Sättigungsangriff
Bei einem Schwarm von Drohnen würde es sich um einen klassischen Sättigungsangriff handeln, bei dem eine Vielzahl von Drohnen eine möglicherweise vorhandene Drohnenabwehr durch die schiere Masse der zum Einsatz gebrachten Drohnen überwältigen würde.
So zum Beispiel die vielversprechenden autonomen Waffenstationen auf Fahrzeugen, eine Art Mini-Flugabwehr, meist auf Basis eines Maschinengewehres oder einer Maschinenkanone.
Würde ein derart ausgestattetes Fahrzeug mit zehn oder 20 Schwarmdrohnen angegriffen werden, und das noch aus verschiedenen Richtungen und Winkeln, würde die Abwehrwaffe vermutlich überfordert sein.
Die neue HX-2-Drohne und der Einsatz in der Ukraine
Trotzdem Helsing jetzt die ukrainische "Terminal Autonomy"-Drohne als technische Basis für die eigene Software verwendet, ist man nach Angaben der FAZ schon sehr weit fortgeschritten bei der Entwicklung der eigenen Lancet-Kopie, die Produktion soll noch im Januar beginnen.
Auf der Herstellerseite von Helsing sind bereits Flugtests mit der neuen HX-2 zu sehen.
Zum Start solle die Produktion bis zu 1.000 Stück im Monat betragen und mittelfristig würde eine Kapazität von Zehntausenden Drohnen im Monat angestrebt, so die FAZ. Die Produktion solle an einem geheimgehaltenen Ort in Süddeutschland stattfinden.
Die Entscheidung, zuerst die Terminal Autonomy Drohne in die Ukraine zu schicken, kann zwar auch mit der schnelleren Verfügbarkeit der Drohne des ukrainischen Partners zu tun haben.
Doch kann die Entscheidung für die Billig-Drohne auch damit zu tun haben, die neue, eigene Hightech-Drohne nicht in die Hände russischer Ingenieure fallen zu lassen, denn unweigerlich werden Fragmente oder ganze Drohnen verloren gehen.
Die Helsing-Drohne gleicht vom Design her fast bis aufs Haar der Izdeliye 55 von Zala, einer neuen, AI-gesteuerten Lancet-Variante, die bereits im Januar diesen Jahres durch die Kalaschnikow-Tochter Zala angegkündigt wurde, wie Forbes damals berichtete.
Ein entscheidender Unterschied
Einen entscheidenden Unterschied hat die Helsing-Kopie aber noch gegenüber ihrem noch nicht über der Ukraine gesichteten Original: Die Autonomisierungs-Software ist eingebettet in ein größeres Software-Framework und prinzipiell offen für die Integration auch anderer Wirkmittel.
"Altra" nennt Helsing diese eigens entwickelte Softwareplattform. Es handelt sich dabei um eine sogenannte "Recce/Strike-Plattform", ein softwarebasiertes Verbundsystem zur Zielidentifikation und -bekämpfung.
In diese Software-Plattform könnten auch andere Waffen eingebunden und gesteuert werden, beispielsweise etwa Haubitzen. Diese Softwareplattform agiert aber lediglich auf taktischer Ebene und ist nicht dazu gedacht, ein strategisches Lagebild zu vermitteln.
Eine Recce/Strike-Plattform kann aber in ein noch größeres Framework eingebunden werden, zum Beispiel in ein "Battlefield Management System" (BMS).
Einschätzung
Das Konzept kann militärisch aufgehen, Tausende gelieferte Mittelstreckendrohnen könnten mit ihrer im Vergleich zur FPV großen Reichweite von vermutlich über 100 Kilometern Bereitstellungsräume und kleinere, frontnahe Logistikzentren wirkungsvoll bekämpfen.
Schon die Produktion von 1.000 Drohnen pro Monat wäre ein vergleichsweise großes Produktionsvolumen.
Die Drohne adressiert das größte Problem der Ukraine, nämlich einen Mangel an Soldaten. Durch den hohen Grad an Autonomisierung wäre vergleichsweise wenig Personal nötig, um das Waffensystem einzusetzen.
Deutschland lässt sich damit tiefer in den Ukraine-Krieg hineinziehen, sollte sich das System als performant erweisen. Denn die bisherigen Waffenlieferungen hatten weder eine Qualität noch eine Quantität, die für die russische Seite besorgniserregend wäre.
Die neue Drohne von Helsing könnte dies ändern.