Ukraine-Krieg: Russisches Abwehrsystem setzt auf Mini-Raketen gegen Drohnen

Archivfoto von 2007: Waffensystem Pantsir-S1 mit Verfolgungsradar, Flugabwehrkanonen und abschussbereite Raketenbehälter

Archivfoto von 2007: Waffensystem Pantsir-S1 mit Verfolgungsradar, Flugabwehrkanonen und abschussbereite Raketenbehälter. Bild: Vitaly V. Kuzmin / CC BY-SA 4.0 deed

Moderne Kriegsführung: Pantsir-SMD-E verzichtet auf Kanonen. Ein riskanter Paradigmenwechsel der russischen Luftverteidigung. Die Entscheidung überrascht.

Im Zuge der sich rapide entwickelnden Drohnenbedrohung hat Russland eine grundlegende Neuentwicklung seines bewährten Pantsir-Luftabwehrsystems vorgestellt.

Paradigmenwechsel: Weg von der Kanone, hin zur Rakete

Das auf der Militärmesse Army-2024 in Moskau enthüllte Pantsir-SMD-E markiert einen Paradigmenwechsel in der russischen Luftverteidigungsstrategie und reagiert direkt auf die Herausforderungen moderner Kriegsführung.

Die auffälligste Neuerung des Pantsir-SMD-E ist der vollständige Verzicht auf die bisher charakteristischen 30mm-Maschinenkanonen. Stattdessen setzt das System ausschließlich auf Raketen verschiedener Größenordnungen.

Das neue Pantsir-SMD-E ist darauf ausgelegt, stationäre Objekte vor Luftangriffswaffen zu schützen, einschließlich massiver Drohnenangriffe. Um diese Ziele zu bekämpfen, kann das System 48 Kurzstreckenraketen tragen. Dies sind effektive und kostengünstige Munition, die zuverlässig vor kleinen Drohnen schützen und es bildlich gesprochen erlauben, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Bekkhan Ozdoyev, Rostec

Die Modularität des neuen Systems steht im Vordergrund der Entwicklung. Vladimir Artyakov, stellvertretender Leiter von Rostec, betont, zitiert nach Army Recognition:

Das Pantsir-SMD-E ist mit Modularität im Sinn entworfen worden, was seine Einsetzbarkeit auf verschiedenen Plattformen, einschließlich stationärer Aufbauten, ermöglicht.

Vladimir Artyakov, Rostec

Diese Flexibilität soll eine Anpassung an unterschiedlichste Einsatzszenarien erlauben, von der Verteidigung kritischer Infrastruktur bis hin zur mobilen Luftabwehr. Die Kompaktheit des Systems ermöglicht auch eine potenzielle Installation auf Dächern staatlicher Gebäude, wie dem Verteidigungsministerium in Moskau.

Radar: Verbesserte Drohnendetektion

Ein Hauptmerkmal des Pantsir-SMD-E ist sein verbessertes Radarsystem. The War Zone berichtet, dass auch das SMD-E wie vorherige Versionen des Pantsir über zwei integrierte Radare verfügt, eines zur Zielerfassung und -verfolgung und ein Feuerleitradar zur Steuerung der ferngelenkten Raketen.

Das System nutzt nun ein J- oder Ka-Band-Erfassungsradar mit Active Phased Array Radar (Afar) Technologie, welches speziell kleine Drohnen mit extrem geringer Signatur auf Entfernungen von fünf bis sieben Kilometern und größere Ziele wie 122mm-Raketen auf bis zu zehn Kilometer detektieren kann.

Das Radar kann damit Ziele mit einem Radar-Querschnitt (RCS) von nur einem Quadratmeter auf eine maximale Entfernung von 45 Kilometern erfassen.

Mini-Raketen zur Drohnenabwehr

Die Bewaffnung des Pantsir-SMD-E umfasst eine Mischung aus verschiedenen Raketentypen. Laut dem Fachmagazin Army Recognition kann das System bis zu zwölf 57E6-Serie Kurzstrecken-Boden-Luft-Raketen, bis zu 48 TKB-1055 Kurzstreichweiten-Abfangraketen oder eine Kombination davon tragen.

Diese neuen TKB-1055 Mini-Raketen sind eine der bemerkenswertesten Innovationen des Pantsir-SMD-E. Wie das Fachmagazin notiert, sind diese speziell für die Bekämpfung kleiner Drohnen konzipiert. Die Mini-Raketen werden in fünf neu entwickelten Vierfach-Containern startbereit untergebracht. 24 weitere Mini-Raketen können anscheinend mitgeführt werden, müssten aber nachgeladen werden.

Sie haben eine Einsatzreichweite zwischen 500 und 7.000 Metern und können Ziele in Höhen von 15 bis 5.000 Metern bekämpfen.

The War Zone ergänzt, dass diese Mini-Raketen im Vergleich zu den größeren 57E6-E Raketen, die eine Reichweite von fast 20 Kilometern haben, kostengünstiger sind.

Dies ermöglicht einen effizienteren Einsatz gegen kleinere und kostengünstigere Ziele wie kommerzielle Drohnen. Die Kombination aus diesen Mini-Raketen und den Standard-Raketen verleiht dem Pantsir-SMD-E eine größere Flexibilität in der Bekämpfung verschiedenster Luftziele, von kleinen Drohnen bis hin zu größeren Flugkörpern.

Gerade die Reichweite der neuen Mini-Raketen ist mit sieben Kilometern beachtlich. Die bisher verbauten zwei doppelläufigen 30-mm-Maschinenkanonen "2A38M" haben dagegen lediglich eine effektive Kampfreichweite von 4.000 Metern und eine Zielhöhe von maximal 3.000 Metern.

Bis zu 40 Ziele gleichzeitig

Ein weiteres bemerkenswertes Feature ist die Fähigkeit des neuen Systems, bis zu 40 Ziele gleichzeitig zu verfolgen und zu bekämpfen.

Dies wird durch ein fortschrittliches Feuerleitsystem ermöglicht, das ein Überwachungsradar, ein multifunktionales Radarsystem und ein elektrooptisches System umfasst.

Gegenläufige Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg

Die Entscheidung, auf Maschinenkanonen zu verzichten, steht im Kontrast zu den Erfahrungen der Ukraine aus dem Konflikt. Das Fachportal Defence Blog merkt kritisch an:

Die Entscheidung des russischen Militärs, den Einsatz von 30mm-Geschützen zur Drohnenabwehr aufzugeben, basiert auf der berichteten Ineffektivität dieser Kanonen gegen unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs).

Diese Begründung steht jedoch in starkem Kontrast zu Beweisen vom Schlachtfeld. Zum Beispiel hat das von der Ukraine eingesetzte Gepard-Flugabwehrkanonensystem eine außergewöhnliche Wirksamkeit gegen Drohnen gezeigt, mit hoher Genauigkeit und geringem Munitionsverbrauch.

Defence Blog

Das deutsche Unternehmen Rheinmetall hat mit dem MK3-Geschützturm eine Neuentwicklung der kanonengestützen Drohnenabwehr vorangetrieben, die ganz auf eine einzige 35 Millimeter-Kanone setzt. Es kann als eine Weiterentwicklung des Gepard angesehen werden.

Dieser MK3-Geschützturm wird in verschiedenen Konfigurationen angeboten, stationär, auf einem Radpanzer oder auf einem LKW, wie Telepolis berichtete.

Verschiedene dieser Systeme sind bereits in der Ukraine im Einsatz, jetzt soll der Geschützturm sogar auf alten Leopard-1-Wannen montiert und in die Ukaine geliefert werden, so der Stern.

Veränderung in der russischen Strategie

Russland hat sich anscheinend auf eine andere Technologie konzentriert, besonders um die wachsende Bedrohung durch die neuen Langstreckendrohnen der Ukraine abzuwehren, die besonders die russischen Ölraffinerien im Visier haben. Diese Angriffe haben in den letzten Monaten deutlich zugenommen. The War Zone kommentiert:

Die explizite Fokussierung auf den Einsatz des Pantsir-SMD-E zur Punktverteidigung kritischer Infrastruktur gegen Drohnen unterstreicht, wie real die Gefahr durch ukrainische unbemannte Angreifer für hochwertige Einrichtungen tief im Inneren Russlands geworden ist.

The War Zone

Die Einführung des Pantsir-SMD-E ist Teil einer breiteren Strategie zur Verstärkung der russischen Luftverteidigung. Diese Maßnahmen zeigen deutlich die wachsende Besorgnis Russlands über die Verwundbarkeit seiner kritischen Infrastruktur gegenüber Drohnenangriffen.

Ein interessanter Aspekt ist die mögliche Exportfähigkeit des Systems. The War Zone spekuliert:

Es ist nicht schwer, eine maritime Rolle für Pantsir-SMD-E oder eine weitere auf Drohnenabwehr fokussierte Version davon zu sehen. [...] All dies könnte auch das Exportinteresse an einem System wie Pantsir-SMD-E in Ländern wecken, die sich nicht von der Aussicht auf westliche Sanktionen abschrecken lassen.

The War Zone

Vorteile der Maschinenkanonen

Abschließend kann gesagt werden, dass das Pantsir-SMD-E ein wichtiger Schritt in der Evolution der russischen Luftverteidigung ist. Ob sich der Verzicht auf Maschinenkanonen zugunsten einer reinen Raketenbewaffnung bewähren wird, bleibt abzuwarten.

Die Entscheidung überrascht, zumal es Rheinmetall mit seinem MK3-Geschützturm anscheinend gelungen ist, einen erfolgreichen Drohnenschutz mittels einer Maschinenkanone zu entwickeln.

Allerdings hat die Rheinmetall-Lösung nur eine Reichweite von maximal 4.000 Metern im Vergleich zu 7.000 Meter der neuen Pantsir-Mini-Raketen.

Bei der Bekämpfung ganzer Drohnenschwärme, wie sie in Zukunft zu erwarten sind, könnte sich jedoch zeigen, dass eine Maschinenkanone gegenüber Raketen Vorteile hat. Vielleicht gelingt den russischen Ingenieuren die anspruchsvolle Aufgabe der Zielbekämpfung mit einer Maschinenkanone nicht.

Die Erfahrungen aus dem Ukraine-Konflikt werden zweifellos weitere Anpassungen und Verbesserungen des Pantsir-Systems nach sich ziehen.

Interessant wird sein, ob das neue System das bisherige Pantsir ersetzen oder lediglich ergänzen wird. Sicher ist, dass die Bedrohung durch Drohnen die Entwicklung von Abwehrsystemen weltweit weiter vorantreiben wird.