Ukraine-Krieg: Russland droht mit "stärkeren militärischen Mitteln"
Russland erhöht den Druck im Ukraine-Konflikt. Die USA stehen vor einem möglichen Kurswechsel. Treffen zwischen Trump-Vertrauten und Ukrainischer Delegation.
Der Krieg in der Ukraine steuert auf eine neue Phase zu. Nach den US-Zwischenwahlen, die den Republikanern die Mehrheit im Repräsentantenhaus brachten und einen bevorstehenden Machtwechsel im Weißen Haus einleiten, könnte sich die Position der USA in dem Konflikt ändern.
Zugleich schließt Russland eine weitere militärische Eskalation nicht aus, sollte der Westen weiterhin Waffen an die Ukraine liefern.
Spannungen größer als im Kalten Krieg
In einem exklusiven Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN erklärte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow am Mittwoch, Russland werde zu "noch stärkeren militärischen Mitteln" greifen, wenn die USA und ihre Verbündeten nicht einsähen, dass man Moskau nicht unbegrenzt unter Druck setzen könne.
Die derzeitigen geopolitischen Spannungen seien selbst "auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges" nicht zu beobachten gewesen, so Rjabkow. Er beklagte mangelnden "gesunden Menschenverstand und Zurückhaltung im Westen, insbesondere in den USA", wo die Entschlossenheit Russlands, seine Kerninteressen zu verteidigen, unterschätzt werde.
Einen Tag zuvor hatte die scheidende Regierung von US-Präsident Joe Biden ein weiteres Militärhilfepaket von 725 Millionen US-Dollar für die Ukraine auf den Weg gebracht, um Kiew "in die stärkstmögliche Position" zu versetzen, bevor der designierte Präsident Donald Trump in weniger als zwei Monaten sein Amt antritt.
Westen könnte Russlands "Entschlossenheit unterschätzen"
Laut Rjabkow sollte das Risiko einer militärischen Eskalation nicht unterschätzt werden. Diese hänge von Entscheidungen in Washington ab, wobei er eine "sehr offensichtliche Unfähigkeit" der US-Regierung sehe, zu erkennen, dass Moskau "nicht unbegrenzt unter Druck gesetzt werden kann".
Es werde ein Moment kommen, an dem Russland "keine andere Wahl sehen wird, als zu noch stärkeren militärischen Mitteln zu greifen", sagte er. Eine Eskalation sei zwar nicht "sofort" zu erwarten. "Aber der Trend ist da."
Mit Blick auf die scheidende Biden-Regierung kündigte Rjabkow an, Russland werde auf jede Provokation reagieren und "einen Weg finden, unseren starken Willen durchzusetzen". Moskau drohte auch, die Ukraine erneut mit der nuklearfähigen ballistischen Rakete "Oreshnik" anzugreifen, die es Ende November bei einem großflächigen Angriff auf kritische Energieinfrastruktur eingesetzt hatte.
Laut Rjabkow ist der "Oreshnik" "keine strategische ballistische Rakete, sondern eine Mittelstreckenrakete, die im Kampf getestet wurde".
Die Entscheidung von Ex-US-Präsident Donald Trump, die USA 2019 aus dem INF-Vertrag zurückzuziehen, einem jahrzehntealten Rüstungskontrollabkommen zwischen den USA und Russland, habe den Weg für die Entwicklung des neuen russischen ballistischen Arsenals geebnet, so Rjabkow.
Friedensgespräche: Positionen "unvereinbar"
Direkte Kontakte zwischen Russland und dem Team des designierten US-Präsidenten Trump bezüglich dessen früherer Aussagen, den Ukraine-Krieg innerhalb eines Tages zu beenden, habe es bislang nicht gegeben, sagte Rjabkow. "Wir werden da sein, wenn sie mit Ideen kommen […] aber nicht auf Kosten unserer nationalen Interessen."
Zur Möglichkeit von Friedensgesprächen mit der Ukraine erklärte der stellvertretende Minister, die Positionen der beiden Länder seien unvereinbar. "Die Chancen für einen Kompromiss sind im Moment gleich Null. In dem Moment, in dem die Menschen in Kiew verstehen, dass Russland auf keinen Fall den von ihnen vorgeschlagenen Weg einschlagen wird, könnten sich Möglichkeiten und Chancen ergeben".
Am Mittwoch traf sich in Washington bereits eine hochrangige ukrainische Delegation mit Mitgliedern aus Trumps innerem Kreis, darunter Vizepräsident JD Vance, ein prominenter Kritiker der US-Militärhilfe für die Ukraine, sowie Trumps designierter Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz und Ex-General Keith Kellogg, der künftige Sonderbeauftragte für die Ukraine und Russland.
Das Treffen diente dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Aufbau persönlicher Beziehungen im Vorfeld von Trumps Amtsübernahme, hieß es. Laut Teilnehmern verlief das ausführliche Gespräch mit Waltz und Vance zur Zufriedenheit der ukrainischen Seite.
Angeführt wurde die ukrainische Delegation von Andrij Jermak, dem Leiter des Präsidialamts von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Weitere Teilnehmer waren Vizeverteidigungsminister Serhij Bojew, Präsidentenberaterin Darja Sariwna und Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko.
Dramatische Kursänderung durch Trump befürchtet
Jermak traf sich am Rande auch kurz mit der designierten Stabschefin des Weißen Hauses, Susie Wiles, in Mar-a-Lago. Derartige Treffen zwischen ausländischen Delegationen und künftigen US-Regierungen sind nicht unüblich.
Dennoch waren die Erwartungen diesmal besonders hoch, da Trump einen dramatischen Kurswechsel in der Ukraine-Politik Washingtons einleiten könnte – mit weitreichenden Folgen für den andauernden Krieg gegen die russische Invasion.
Vertreter der Biden-Regierung halten Russland aktuell nicht für ernsthaft an Friedensgesprächen interessiert. Verhandlungen würden von Moskau nur als Verzögerungstaktik genutzt, um sich neu zu formieren und aufzurüsten, heißt es. Währenddessen setzt die Regierung weiterhin auf stetige Waffen- und Hilfslieferungen an die Ukraine.
Trump dagegen hat angekündigt, umgehend Friedensgespräche zwischen den beiden Ländern anzustoßen und den Krieg schnell zu beenden. In seiner Regierung will er sowohl als pro-Nato und Russland-kritisch geltende Politiker wie Waltz und Senator Marco Rubio (Außenminister) versammeln, als auch Nato-Skeptiker und lautstarke Gegner weiterer Militärhilfe für die Ukraine wie Vance.
In einem Strategiepapier vom April schlugen der designierte Ukraine-Sonderbeauftragte Kellogg und der Trump-nahe Sicherheitsexperte Fred Fleitz vor, weitere Waffenlieferungen an eine Teilnahme Kiews an Friedensgesprächen zu knüpfen.
Die USA sollten demnach "im Gegenzug für einen umfassenden und überprüfbaren Friedensvertrag mit Sicherheitsgarantien anbieten, einen NATO-Beitritt der Ukraine für einen längeren Zeitraum aufzuschieben".
Offiziell zeigt sich die Ukraine zuversichtlich und spricht von produktiven ersten Treffen mit der neuen US-Führung. Hinter den Kulissen fürchten manche jedoch, Trump könnte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ihre Köpfe hinweg einen schlechten Deal aushandeln – mit dem vorrangigen Ziel, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.