Ukraine-Krieg: Warum geht dem Pentagon eigentlich die Munition aus?
Seite 2: Lieferengpässe überall, mit System
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Insgesamt erscheint das Pentagon in den Vereinigten Staaten, immer ineffektiver zu wirtschaften. So nimmt die Zahl der großen Militärgüter trotz wachsenden Pentagonbudgets stetig ab. Für immer weniger Kriegsschiffe und Kampfjets müssen also die US-Büger:innen immer mehr bezahlen.
Die Ineffizienz ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Teil eines größeren Problems, das insbesondere die US-Ökonomie seit Jahrzehnten aufzehrt. Es lautet auf den Namen Finanzialisierung. Diese eroberte Schritt für Schritt alle Bereiche der Gesellschaft. Und schließlich erreichte sie auch den heiligen Gral des militärisch-industriellen Komplexes.
Mit der Finanzialisierung kamen dann auch die neoliberalen Marktdoktrinen von Kapazitätsreduktion, Personalabbau, "schlanken Beständen" und Kosteneinsparungen, wo es nur geht. Sie sind die eigentlichen Treiber der heute überall grassierenden Lieferengpässe. Mike Lofgren bringt es derart auf den Punkt:
Es ist eine allgemein verbreitete Ansicht, dass Wall Street und Pentagon eine Art symbiotische Beziehung – wenn nicht sogar eine verschwörerische Verbindung – unterhalten, von der beide profitieren. Indem die Militärbürokratie die Moden der klassischen Ökonomie nachahmt – null Bestände, Just-in-Time-Lieferungen, Auslöschung kleiner Produzenten zum Abbau angeblicher Überkapazitäten, Behandlung von Arbeitskräften als Belastung und nicht als Wert – betreibt sie eine Art unilaterale Abrüstung, während die Aktien der Rüstungskonzerne in die Höhe schießen.
Sicherlich ist Abrüstung an sich wünschenswert und notwendig, hauptsächlich in den USA. Denn militärische Interventionen und Kriege sollten keine Antwort mehr sein auf Konflikte im 21. Jahrhundert. Auch der Ukraine-Krieg wird am Ende diplomatisch gelöst. Besser früher als später.
Doch Abrüstung im Geist des Marktradikalismus führt nicht zu einer Verkleinerung des militärisch-industriellen Komplexes, sondern macht ihn vielmehr zu einem ökonomischen Subsystem der neoliberalen Gesellschaft, in der auch Militärgüter als finanzielle Investmentvehikel funktionieren.
So ist das Pentagon zu einer wuchernden, hoch ineffizienten Steuergeld-Verschwendungsmaschine mutiert – abgesehen von den an sich unsinnigen und astronomischen Summen fürs US-Militär, die den amerikanischen Wohlfahrtstaat und die öffentliche Infrastruktur aushöhlen, weil dafür dann kein Geld mehr vorhanden ist.
Jenseits des Pentagon, einem eher späten Opfer, hat die neoliberale Logik längst seine Desaster-Spuren überall in den USA hinterlassen. Sie zeigen sich in kaputten und dysfunktionalen Infrastruktur wie dem öffentlichen Verkehr, der Stromversorgung, Krankenhäusern und Schulen.
Von den ständigen Zugentgleisungen mit zum Teil verheerenden Folgen, von denen ich an anderer Stelle berichtet habe, bis zu den fehlenden Krankenhausbetten, die zu Gesundheitskatastrophen in der Covid-Pandemie führten, überall sind die künstlich erzeugten Lieferengpässe zu spüren.
Sie wurden durch die Pandemie-Maßnahmen und die Russland-Sanktionen, die eine fossile Energiekrise erzeugten, verstärkt, aber die Wurzeln der stotternden Versorgungslagen in Überflussgesellschaften wie den USA liegen tiefer. Sie reichen in eine neoliberale Politik, die die materielle Befriedigung elementarer Bedürfnisse zum nachrangigen Anhängsel transformiert hat.
Die Munitions-Lieferschwierigkeiten des Pentagon sind also kein Einzel- oder Zufall, sondern haben System und verweisen auf ein System. So wird Unterversorgung und partieller Versorgungskollaps zum neuen gesellschaftlichen Normalen. Lofgren sieht darin die Ideologie eines kapitalistischen Realismus am Werk. Er habe sich …
auf so unterschiedliche Formen menschlicher Aktivitäten gestürzt wie den Betrieb der Eisenbahn, die Lagerung von Speiseöl im Regal von Safeway [dem größten Einzelhändler der USA], die Versorgung der ukrainischen Front oder die Rettung von Menschenleben in einer Notaufnahme. Ist es da verwunderlich, dass Themen wie der Klimawandel so schlecht behandelt werden?