Umfrage zur Europawahl: Macron gewinnt, Le Pen verliert

Kreisverkehr Vesoul (Haute-Saône) zu Anfang der Proteste der Gelbwesten, Acte I, 17 November 2018. Foto: Obier / CC BY-SA 4.0

Frankreich ist auf der Suche nach einer neuen politischen Formation. Umfragen zeigen, dass die nationale Debatte zwar gut ankommt, aber auch, dass die Mehrheit skeptisch gegenüber der Regierung ist

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Es lassen sich in Frankreich keine einfachen politischen Rechnungen aufstellen. War es zu Beginn der Proteste der Gelbwesten so, dass Umfragen die Nachfolgepartei des Front National (FN) vorne sahen, fühlten sich Anhänger der neuen Le Pen-Partei Rassemblement national (RN) wie auch Gegner der Rechtspopulisten darin bestätigt, dass es Überschneidungen zwischen ihnen und den Gilets Jaunes gebe, die politisch vor allem dem "neuen" rechten Lager nützen.1

Wenig beachtet wurde dabei, dass die Umfrage auch dem linken Lager Zugewinne bescheinigte. Bei der Fixierung auf die Polarisierung "Macron versus Rechtspopulisten" wurde dieser Effekt nicht gesehen. In der jüngsten Umfrage - die im Sender BMTV erscheint, dem besonders von Kritikern innerhalb der Gelben Westen übergroße Nähe zu Macron vorgeworfen wird - liegt nun Macron vorne. Seine Partei La République en Marche (LaReM) hat zusammen mit dem Koalitionspartner MoDem relativ viel zugelegt, nämlich vier Prozentpunkte, und käme bei der Europawahl auf 23, 5 Prozent.

Damit hätte sie einen verhältnismäßig großen Vorsprung vor der Partei Marine Le Pens. Der Rassemblement national käme auf 20 Prozent. Eine Erklärung für den Zugewinn an Gunst für Macron, der sich vor ein paar Tagen in einer anderen Umfrage zeigte und nun für seine Partei LaReM, wird nun darin gesehen, dass die lancierte "große landesweite Debatte" allen Unkenrufen und aller Kritik zum Trotz ein Erfolg ist, den die Regierung auf ihr Konto verbuchen kann. Allerdings ist fraglich, ob sich die Regierung diesen relativen Erfolg tatsächlich auf die eigenen Fahnen schreiben kann und wie lange er trägt.

Zwar zeigt sich in einer aktuellen Umfrage eine beachtliche Unterstützung für Le grand débat. Aber mit einer Einschränkung.

69 Prozent halten sie für "eine gute Sache". Am meisten natürlich unter den Anhängern der Regierungspartei (94%), aber auch unter den Anhängern der Sozialdemokraten (74 Prozent) und den Republikanern (71 Prozent). Bei den Anhängern der linken Sammelbewegung La France insoumise ("Frankreich, das sich nicht unterwirft") sind es dagegen nur 58 Prozent und bei den Sympathisanten der Partei Marine Le Pens sind es 54 Prozent.

Allerdings ist die Mehrheit, was nicht unwichtig ist, offenkundig der Auffassung, dass die große Debatte keine politischen Effekte haben wird. Womit man wieder beim ersten Satz des Beitrags wäre. Lediglich 36 Prozent glauben, dass sich Macron politisch an die Ergebnisse der Debatte halten wird.

Mehr Macht der Provinz

Eine sehr große Mehrheit, 79 Prozent, wünscht sich mehr politische Macht für die Provinz, die Gebiete außerhalb von Paris, und weniger für den Staat; 72 Prozent wären für eine Veränderung der Wirtschaftspolitik und 64 Prozent für die Einführung einer Obergrenze für Migranten.

Bislang gibt es noch keine ausführlichen und fundierte Erst-Analysen zur großen Debatte. Aber ein paar Entwicklungen oder Eigenheiten lassen sich schon erkennen. Nach Einschätzung des Autors laufen sie darauf hinaus, dass der fixierte Blick auf die Polarisierung "Grand Débat versus Gilets jaunes" - die sich nicht zuletzt aus der Absicht der Regierung aufdrängt, der Protestbewegung mit der nationalen Debatte den Schwung zu nehmen -, einiges übersieht, was in der politischen Wirklichkeit eine wichtige Rolle spielt.

In einer TV-Sendung, die gestern von LCI ausgestrahlt wurde, und die sich mit der großen Debatte befasste, zeigte sich, dass es eben nicht nur die prominenten Veranstaltungen gibt, bei denen Macron stundenlang mit Bürgermeistern redet - nach einer Art "scripted reality", wie ihm Kritiker auch vonseiten der Gelbwesten vorwerfen ("alles abgesprochen", "die Bürgermeister sind instruiert, welche Fragen sie stellen dürfen" usw.).

Am vergangenen Wochenende soll es landesweit weit über tausend andere Veranstaltungen zum grand débat gegeben haben. Mit geschätzten Teilnehmerzahlen zwischen 20 und über Hundert pro Veranstaltung, wie in der Sendung aufgezeigt wurde. Das wären zwischen 20.000 und 100.000 Teilnehmer im ganzen Land.

Die Zahlen geben nur einen Einblick wieder, sie sind nicht empirisch gesichert oder repräsentativ. In der Sendung wurden dennoch "Hochrechnungen" angestellt, wonach man dann landesweit auf eine Dimension käme, die nicht gerade Welten von den Teilnehmerzahlen der Proteste der Gelben Westen entfernt ist. Wie bei den Demonstrationen der Gilets jaunes zeigt sich auch hier, dass es besonders darauf ankommt, dass das ganze Land dabei ist. Das ist das Neue.

Ein größeres Frankreich

Es zeigt sich ein Frankreich, dass nicht nur aus Paris und ein paar der bekannten großen Städte besteht, sondern auch aus Orten, die bisher völlig aus dem Blickfeld gedrängt waren. Touristische Attraktionen bieten sie nicht und den französischen TV-Schauern boten sie auch keine Glanzbilder, also hat man sie ausgelassen. In den Medien zeigt sich nun ein anderes, größeres Frankreich, eben nicht nur die bekannten gestanzten Bilder. Das sich selbst "Fremd gewordene Land", wie ein Buchtitel heißt, entdeckt sich neu. Dieses Element hat sich das Team von Macron von den Gelbwesten sehr schnell abgeschaut und will es abkupfern.

Es sitzen, worauf die Kameras des Fernsehsenders natürlich erpicht waren, auch Personen mit gelben Westen unter den Teilnehmern. Das eine schließt das andere nicht aus, wäre ein naheliegender Schluss, der prompt auch vom einem interviewten Gilet-jaune-Träger bestätigt wurde. Man ist neugierig, was sich da entwickelt, ohne unbedingt große Erwartungen zu haben. Bei den Gelbwesten ist man auch stolz darauf, dass man diese Entwicklung angeschoben hat.

Die Sympathie, die dem Projekt der landesweiten Debatte entgegenbracht wird, hat damit zu tun, dass dies durchaus als Öffnungsprozess wahrgenommen und ernstgenommen wird. Sollte sich aber zeigen, dass die sowieso niedrige Erwartungshaltung von der Regierung unterlaufen wird und dies in einer arroganten Weise, wie dies beim Amtsinhaber Macron naheliegt, so wird mehr kaputt gehen als nur der gegenwärtige Sympathiegewinn Macrons und seiner Partei.

Eine neue Partei in Planung

Die Umfrage bestätigt wie andere zuvor, dass eine Partei, die aus den Reihen der Gelben Westen hervorgeht, wie sie auch in Planung ist, aus dem Stand auf beachtliche 13 Prozent kommen würde, was die politische Landschaft in Frankreich ziemlich verändern würde.

Anschaulich wird damit, dass die französischen Wähler eine dritte Kraft begrüßen würden. Sehr oft wurde in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass Macron bei seiner Wahl zum Präsidenten keine echte Mehrheit unter den Franzosen hatte wegen der Wahlenthaltungen und der Proteststimmabgaben mit dem "weißen Wahlzettel".

Seltener wurde darauf hingewiesen, dass diese vielen Nichtwähler auch nicht Le Pen wählen wollten. Es gab keine Mehrheit für Marine Le Pen. Wie in der Umfrage zu sehen ist, würde ihr mit einer Partei aus den Reihen der Gelben Westen Konkurrenz entstehen. Allerdings ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt vieles vage, da nicht klar ist, wie sich eine Parteigründung auf die politische Stärke der Gelbwestenbewegung auswirkt, die ja damit verbunden ist, dass sich die Gilets jaunes nicht in vertrauten Formen unterkriegen lässt.

Denkbar ist auch, dass durch die Aufstellung einer Kandidatenliste, wie sie für die anstehenden Europawahlen vorbereitet wird, ein Prozess in Gang gesetzt wird, der die Gilets jaunes in verschiedende Lager aufteilt (Nachtrag: Reaktionen am 24. Januar auf die Kandidatenliste waren alles andere als begeistert, da die Partei/Bewegung von Ingrid Levavasseur "opportunistisch auf der Welle schwimmen will" und dem Selbstverständnis der Gilets Jaunes quer entgegensteht. Dazu kommt, dass sich ausgesprochene politische Trittbrettfahrer, wie z.B. ein früheres Mitglieder der Partei Macrons, für die Liste beworben haben).

Die traditionellen Parteien in Schwierigkeiten

Was sich jetzt schon bemerkbar macht, ist, dass die "traditionelle Rechte", gemeint sind damit die Konservativen in der Partei Les Républicains, zu den Verlierern gehört. Ganz so, wie sie es befürchten und beklagen, stehen sie im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit, die sich Macrons Kampf mit der außerparlamentarischen Opposition zugewandt hat. Die große Debatte, die den Gilet Jaunes politische Wirkung entziehen soll, nutzt Macron als Wahlkampfbühne für die Europawahlen.

Die Republikaner, deren Vertreter sich zu anfangs kurz mit den Gelben Westen zeigten, sehen wenig Land (12,5 Prozent in der BMTV-Umfrage). Die Sozialdemokraten sind noch immer am Boden (6 % für den PS und 2 Prozent für die Parteiabspaltung Génération.s). Lediglich Le Pens Rassemblement national liegt in der Umfragen gut im Rennen, auch Mélenchons France Insoumise hat nur mehr 9,5 Prozent. Beide Politiker gaben in den letzten Wochen Erklärungen zur politischen Situation ab, in denen sie Verständnis und Unterstützung für die Gelbwesten deutlich machten.

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