Umverteilung bewegt die Massen
- Umverteilung bewegt die Massen
- Der große Unterschied zu den Querdenken-Demonstrationen
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Die Kundgebungen und Demonstrationen der letzten Tage zeigen, dass trotz Corona die Protestbereitschaft gestiegen ist. Die sozialen Fragen kommen mit neuer Wucht. Kommentar
Es ist wohl einmalig in Deutschland, dass am Tag der Pressefreiheit, die eigentlich ein Schutzrecht gegen den Staat ist, über Gesetzesverschärfungen diskutiert wird. Im Diskurs der Staatsapparate und der ihr nahestehenden Nichtregierungsorganisationen wird es nicht als Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland gesehen, dass das staats- und machtkritische Onlineportal Indymedia-Linksunten abgeschaltet und die vermeintlichen Verantwortlichen kriminalisiert wurden.
Auch die häufigen Angriffe auf Polizisten auf Journalisten bei linken Demonstrationen kommen an diesen Tag kaum zur Sprache. Vielmehr werden als größte Bedrohung der Pressefreiheit in Deutschland Angriffe auf Journalisten durch verschiedene Protestszenen gesehen. Dabei geht es wahlweise um linke oder rechtsoffene Demonstrationen, beispielsweise der Gegner der Corona-Maßnahmen.
Schon wird ein neues Gesetz gegen die "Störung der Tätigkeit der Presse" vom Bundesland Hessen in die Diskussion gebracht.
Es soll demnächst im Bundesrat vorgelegt werden. Dass es sich hier um eine weitere Einschränkung des Versammlungs- und Demonstrationsrechts handelt, wird aus dem in der FAZ vorgestellten Katalog der Strafverschärfungen klar, die von der hessischen CDU-Justizministerin Eva Kühne-Hörmann genannt werden.
Da soll es schon justiziabel sein, wenn eine Personengruppe durch laute Sprechchöre oder Trillerpfeifen ein Interview verhindert, Fahnen und Transparente vor eine Kamera hält, so dass keine Filmaufnahmen mehr gemacht werden können. Ein anderes Szenario könnte dem Ministerium zufolge sein, dass Demonstranten einem Übertragungswagen mit Reportern den Weg versperren.
"Auch gewaltlose Störungen können die freie Berichterstattung durch die Presse massiv behindern", sagt Kühne-Hörmann. "Zum Schutz der überragend wichtigen Pressefreiheit muss beides jedoch wirksam verhindert werden."
Hier könnte mal von den Journalisten Haltung eingefordert werden, indem sie sich dagegen verwahren, für die weitere Verschärfung von Gesetzen herzuhalten. Schließlich können Journalisten es auch verschmerzen, wenn sie irgendwo gerade nicht erwünscht sind. Das gilt übrigens für linke und rechte Demonstrationen und Veranstaltungen.
Daher ist es umso erstaunlicher, wenn Linke in den Chor derer einstimmen, die im Namen der Pressefreiheit weitere Verschärfungen bei Demonstrationen von Querdenkern und Co. einstimmen. Sie können sicher sein, dass solche Einschränkungen auch linke Demonstrationen treffen.
Infektionsschutz gegen Demonstrationsrecht
Das zeigte sich am diesjährigen 1. Mai besonders deutlich. In Hamburg wurden gleich mehrere linke Demonstrationen und Kundgebungen im Vorfeld mit Verweis auf den Infektionsschutz verboten und die Gerichte bestätigten diese massiven Einschränkungen der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit.
So hatte die Polizei in der Hansestadt freie Hand. Im Schanzenviertel wurden Wasserwerfer gegen Menschen eingesetzt, sobald sie sich nur auf Plätzen versammeln wollten. Das sind Szenen, wie man sie eher in der Türkei vermutet. Der Protest der Zivilgesellschaft in Deutschland wäre dann sicher gewesen.
Auch in Berlin nutzte die Polizei den Infektionsschutz, um eine linke Demonstration schon kurz nach dem Start zu behelligen. Der autonome Block wurde eingekesselt, ohne dass davon nur die geringste Provokation ausging. Alle Beobachter sehen die Begründung, wonach gegen den Infektionsschutz verstoßen wurde, als offensichtlichen Vorwand. Denn natürlich trugen alle Demonstrationsteilnehmer eine Maske.
Das taten viele der Demonstranten bereits vor Corona. Damals wurden linke Versammlungen aufgelöst, weil mindestens ein Teil Schal und Brillen trug. Da es aktuell nicht möglich ist, Demonstration wegen Vermummung zu behindern, wurde die Einkesselung eines ganzen Blocks mit fehlenden Abständen begründet.
Dabei suchte sich die Polizei die Stelle in der Demonstrationsroute raus, wo eine große Baustelle es gar nicht ermöglichte, dass die Demonstranten die Abstände einhalten konnten. Dennoch wurde diese Route trotz der Baustelle genehmigt und nicht, wie sonst häufiger geschehen, eine Ersatzroute vereinbart. Das Demonstrationsbündnis kam zu dem Fazit:
Das Bündnis und die Versammlungsleitung wollten die Situation deeskalieren und Demonstration ohne Repression durch die Polizei mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fortsetzen. Doch Verbindungsbeamte und Einsatzleitung waren für die Versammlungsleitung bis zur Beendigung der Demonstration nicht mehr erreichbar.
Aus der Erklärung des Demonstrationsbündnisses
Tatsächlich fiel auch bürgerlichen Zeitungen auf, dass in diesem Jahr von dem Bündnis für die 1. Mai-Demonstration betont wurde, dass es nicht um Eskalation gehe, sondern darum, politische Kritik zu formulieren und dabei auch die Teile der Bevölkerung zu erreichen, die sich von Straßenschlachten abgeschreckt fühlen.
Besonders auffallend war der Anteil von migrantischen Gruppen, die sich nach oft erst nach den rassistischen Anschlägen der letzten Jahre besonders in Hanau politisiert haben. Rednerinnen und Redner riefen auch nach der polizeilichen Eskalation immer wieder dazu auf, sich nicht auf Straßenschlachten einzulassen.
Mehrmals wurden die Demonstrationsteilnehmer daran erinnert, dass es sich hier nicht um eine Party, sondern um eine politische Kundgebung handele. Auch die Linkspartei, in Berlin immerhin Regierungspartei, konnte am Rande der Demonstrationen ihre Materialien verteilen.
Mobilisierung für soziale Fragen
Genau diese Politisierung konstatierten kritische Medien zum diesjährigen 1. Mai. "Umverteilung bewegt die Massen", titelte die Taz. Tatsächlich waren sämtliche Demonstrationen und Aktionen rund um den 1. Mai in Berlin gut besucht.
Schon am 30. April beteiligten sich über 2.000 Menschen auf einer Stadtteildemonstration durch den Wedding, die schon im Motto "Von der Krise zur Enteignung" ihren politischen Charakter ausdrückte. Daran beteiligten sich viele Mieter, die sich in den letzten Jahren mobilisierten, weil die Häuser, in denen sie wohnten, von Investoren aufgekauft wurden.
Am Vormittag des 1. Mai beteiligten sich abermals 2.000 Menschen an einer gewerkschaftlichen Kundgebung unter dem Motto "Nicht auf unseren Rücken". Die Organisatoren waren über die große Resonanz positiv überrascht, weil sie nur wenige Wochen Zeit zur Mobilisierung hatten, nachdem der Deutsche Gewerkschaftsbund pandemiebedingt in Berlin die alljährliche Kundgebung abgesagt hatte.
Nun zeigte sich, dass es möglich ist, auch ohne Großorganisationen Tausende für sozialen Fragen zu mobilisieren. So wurden auch Beispiele bekannt, wie sich Beschäftigte unter Corona-Bedingungen erfolgreich gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen wehren können.
Hier ein kleines Exempel. Da hatten es die Berliner Verkehrsbetriebe als Rückkehr in die Normalität verkauft, dass ab 3. Mai Fahrgäste wieder an der Vordertür in die Busse steigen müssen. Dagegen wandte sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die dadurch gesundheitliche Gefahren für die Busfahrer unter Corona-Bedingungen befürchtete. Der Protest hatte Erfolg, die vorderen Türen der Busse bleiben vorerst weiterhin geschlossen.
Die Protestagenda der letzten Tage zeigte auch, dass zumindest in Städten wie Berlin niemand mit der Begründung, es gebe keine linken Proteste, bei rechtsoffenen Veranstaltungen mitlaufen muss. Es war auch in den letzten Tagen für jedes Spektrum etwas dabei.