Umweltproteste in der Westtürkei
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Aus den lokalen Protesten könnte sich eine landesweite Umweltbewegung entwickeln
Der Amazonas brennt seit Wochen. In Island verschwindet ein Gletscher. In Sibirien schmelzen die Permafrostböden. In Rumänien wird der letzte europäische Urwald gerodet. Weltweit entwickelt sich Widerstand gegen den Raubbau an der Natur. Auch in der Türkei mehren sich trotz der staatlichen Repressionen die Umweltproteste. Steht der Türkei ein "neues Gezi" bevor?
Zur Erinnerung: Im Jahr 2013 begannen die Gezi-Proteste ebenfalls mit der Empörung der Istanbuler Bevölkerung. Die Bäume des am Taksim-Platz angrenzenden Gezi-Parks sollten einem Bauprojekt weichen. Das brutale Vorgehen der Polizei führte zu landesweiten Protesten, die blutig niedergeschlagen wurden. Noch heute sitzen viele Gezi-Aktivisten wegen "versuchten Staatsstreichs" oder "Terrorpropaganda" im Gefängnis.
Nun gibt es wieder lokale Proteste gegen Waldrodungen und Brandrodung. Raubbau an der Natur gibt es in der ganzen Türkei. Aus den lokalen Protesten könnte sich eine neue, landesweite Umweltbewegung entwickeln.
Goldmine im Ida-Gebirge
Das Ida-Gebirge liegt in der Westtürkei im Hinterland des historischen Trojas, nahe der Stadt Canakkale. Das Gebiet gilt als die wichtigste grüne Lunge des Landes. Ein Drohnen-Video, das Ende Juli in den Sozialen Medien kursierte, zeigt in mitten einer der schönsten Naturlandschaften der Westtürkei ausgebaggerte Täler und kahlgeschlagene Bergzüge.
Hier schürft ein kanadischer Bergbau-Konzern nach Gold. Die türkische Regierung hat der kanadischen Firma Alamo Gold Inc. für 90 Millionen Dollar das Gelände und die Schürfrechte übertragen. Der türkische Staat wird mit 4,5% an dem Goldertrag beteiligt. Die kanadische Firma rechnet mit Milliardengewinnen, denn das zuständige Ministerium hat noch weitere 29 Abbaulizenzen in dem Gebirge vergeben.
In den letzten zwei Jahren wurden auf einem Gebiet von 1.540 Hektar nach Angaben des Forstwirtschaftsprofessor Doganay Tolunay von der Universität Istanbul bereits rund 200.000 Bäume gefällt. Umweltschützer sprechen von 600.000 illegal gerodeten Bäumen, ein Vielfaches der genehmigten 45.000 Bäume. Das Erdreich wurde bis auf das blanke Gestein abgetragen.
Die staatlichen Medien berichteten kaum über diese Zerstörungen, wohl um Proteste kleinzuhalten. Mehrere hundert Umweltschützer haben nun im Ida-Gebirge ein Protestcamp mit über 300 Zelten aufgebaut. Via Facebook, Instagram und Twitter wurde über diesen Umweltskandal berichtet und zu einer Großdemo mobilisiert. Zehntausend Menschen aus allen Gesellschaftsschichten folgten dem Demoaufruf, an der sich auch Kommunalpolitiker der CHP und HDP beteiligten.
Selbst Meral Aksener, Vorsitzende der nationalistischen IYI Parti, einer Abspaltung der faschistischen MHP, pflanzte am Bauzaun ein Bäumchen. Ülgür Gökhan, der CHP-Bürgermeister der Provinzhauptstadt Çanakkale empört sich: "Für eine Handvoll Gold erlaubt der Staat die Zerstörung eines gesamten Ökosystems und gefährdet auch noch die Trinkwasserversorgung unserer Stadt. Wir werden uns mit aller Kraft dagegen wehren."
Auf einem nahegelegenen Waldgrundstück nahe der Goldmine lud der türkische Star-Pianist und Komponist Fazil Say zu einem großen Open-Air-Konzert ein. Vor Tausenden Zuschauern spielte er ein eigens für diesen Anlass komponiertes Stück. Pflanzen und Tiere müssten geschützt werden, wenn für zukünftige Generationen noch etwas zurückbleiben sollte, sagte er nach dem Konzert. "Wir müssen für das Leben sein."
Die Umweltaktivistin Sevgi Koç erinnert in dem Protestcamp, dass die Zerstörung der Natur überall stattfindet: "Es gibt in der Türkei nicht nur im Ida-Gebirge einen Angriff auf die Natur. Überall, vom Munzur bis Hasankeyf, wird die Natur zerstört. Wir müssen die Ida-Berge als Symbol für all das betrachten und die Kämpfe vereinen. Das hier ist ein neuer Aufbruch…"
Die Kaz Dağları Berge sind ein wichtiger Wasserspeicher in der Region und speisen den Atikhisar-Staudamm, der nur 14 Kilometer vom Goldabbaugebiet entfernt ist. Er ist das Trinkwasserreservoir für 180.000 Menschen. Der Agraringenieur Hicri Nalbant warnt vor einer Verschmutzung des Sees über das Grundwasser: "Das Zyankali, mit dem das Gold in einem schwierigen Prozess herausgelöst wird, soll in großen Schlammbecken auf dem Betriebsgelände gelagert werden. Es wird langfristig Boden und Wasser vergiften."
Heutzutage verwendet man eine Zyankalilauge, um das Gold aus Sand und Erde herauszuwaschen. Früher haben Grubenarbeiter in den Goldminen gearbeitet, heute erledigen das überwiegend Maschinen. Das der kanadische Konzern Arbeitsplätze für die Region bringen würde, erweist sich daher als leeres Versprechen der türkischen Regierung. Diese beschwichtigt angesichts der wachsenden Proteste, man habe schon neue Bäume gepflanzt und Zyankali würde dort nicht verwendet.
Von neu gepflanzten Bäumen ist allerdings auf den Drohnenaufnahmen nichts zu sehen und der Chef des Bergbaukonzerns, John McClusky, räumte die Verwendung von Zyankali ein. Man wolle mit dem Zyankali sehr vorsichtig umgehen, sagte McClusky vor Journalisten in Ankara. Der Bürgermeister von Canakkale bezweifelt das. Die Region sei stark erdbebengefährdet, schon ein leichtes Beben würde ausreichen, um den zyankalihaltigen Schlamm aus dem Rückhaltebecken in das Grundwasser sickern zu lassen.