Unabhängigkeitsvotum: Barzani hat verloren

Foto (2009): US-Army, gemeinfrei

Jesiden freuen sich über den Abzug der Peschmerga. Die irakische Zentralregierung hat nun die Kontrolle über die "umstrittenen Gebiete"

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Der kurdische Clanführer Masud Barzani hat sein Spiel mit dem Unabhängigkeitsvotum verloren. Die irakische Armee hat mittlerweile sämtliche "umstrittenen Gebiete" unter Kontrolle, die Peschmerga-Einheiten haben sich daraus zurückgezogen. Das Territorium der Autonomen Region Kurdistan ist nun kleiner als 2014.

Ahnungslose oder untertänige Berater

Beobachter fragen sich, welche Berater Masud Barzani hatte, die im Vorfeld des Referendums am 25. September angeblich im Auftrag des Präsidenten Irakisch- Kurdistans die Lage sondiert hatten, um herauszufinden, ob das Wagnis eines Unabhängigkeitsvotums eingegangen werden kann. Drohungen, dass der Preis dafür "teuer" sein könnte, gab es genug, von Seiten der Türkei und Vertretern Irans, auch die USA und die UN bemühten sich um einen Aufschub.

Ganz offensichtlich waren die Berater ahnungslos. Auf internationaler Seite hat sich erneut der französische Intellektuelle Bernard-Henry Lévy in der Lagebeurteilung verschätzt. Er hatte sich für die Unabhängigkeit Kurdistans stark gemacht und sich demonstrativ an die Seite Barzanis gestellt.

Intern ist die Fehleinschätzung über die Folgen des Volksentscheids möglicherweise damit zu erklären, dass sich Barzanis Berater nicht trauten, ihm die Wahrheit zu sagen. Barzani hatte das Votum abgehalten, um sich Legitimation zu verschaffen. Seine Amtszeit als Präsident ist längst abgelaufen, Neuwahlen verschob er mit dem Hinweis auf das Referendum.

Wahn des Machtanspruchs

Barzanis Herrschaft ist umstritten. Hört man Flüchtlingen aus dem Norden Iraks zu, so erfährt man einiges über das Wirken seiner Geheimdienste und Foltermethoden. Die Korruption, abzulesen an den Schulden, die seine Regierung bei ausländischen Ölgesellschaften angehäuft hat - trotz der ergiebigen Ölfelder, die er nun verloren hat - ist atemberaubend. Seine Vetternwirtschaft ist unübersehbar. Den Posten als Premierminister hält sein Neffe.

Anzunehmen ist, dass Barzani darauf setzte, mit dem Unabhängigkeitsvotum eine Einigkeit herzustellen, die Kritik an seiner Herrschaft wie auch interne Konflikte zwischen den Kurden vor der Fahne Kurdistans in den Hintergrund drängt. Jetzt wird allerdings vor allem seine Maßlosigkeit sichtbar.

Jesiden feiern einen "monumentalen Tag"

In Sindschar freuten sich die Jesiden (Eziden) am Dienstag über einen "monumentalen Tag", wie der Kenner der Region und der Jesiden, Matthew Barber, in einer längeren Serie von Kurznachrichten schildert. Es ist die Freude über den Abzug der Peschmerga-Einheiten Barzanis aus den Dörfern und dem Gebiet der Jesiden. Barzani reklamierte die Jeziden-Gebiete als zur Autonomen Region Kurdistans gehörend; auf die Autonomie einer anderen Gemeinschaft legte er keinen Wert.

Zum Hintergrund des Konflikts zwischen den Jesiden und den Barzani unterstellten Peschmerga muss man wissen, dass diese die Flucht ergriffen, als ihre Dörfer 2014 in einer Großoffensive des IS angegriffen wurden. Zigtausende Männer wurden getötet, zigtausende Frauen und Mädchen der Jesiden verschleppt, um als "Sex-Sklavinnen" für die IS-Dschihadisten verteilt und verhökert zu werden, erschütternde Schicksale.

Hilfe kam damals von YPG-Einheiten, von syrischen Kurden, die in Verbindung mit der PKK stehen. Sie halfen später dabei mit, jesidische Selbstverteidigungseinheiten (YBS) aufzubauen, die - nach dieser Vorgeschichte kein Wunder - nicht gut auf die Peschmerga-Kräfte Barzanis zu sprechen waren, was laut Barbers Ausführungen auf einen Großteil der Jesiden zutrifft.

Über drei Jahre lang habe die Gemeinschaft der Jesiden auf den Moment des Abzugs der Peschmerga hingefiebert und dafür gekämpft, fasst er die Lage zusammen. Unglücklich seien nur die Minderheit, die von der "Patronage" der KDP (Demokratische Partei Kurdistans, Partei Barzanis) profitiert habe.

Die Zukunft der PKK in Sindschar

Brisant ist, wie die Zukunft der mit der PKK verbundenen Kurden in Sindschar aussieht. Hier kommt es sehr auf das Verhalten der irakischen Zentralregierung an. Bislang läuft über die Grenze zu Syrien die Hauptversorgung der Jesiden, damit kommt den mit der PKK verbundenen Kurden noch (?) eine überlebenswichtige Rolle zu.

Die Frage sei, ob Bagdad die PKK einstweilen, bis man die Grenze unter Kontrolle habe, in Sindschar duldet oder ob man einen Abzug verhandle, meint Barber. Es gebe starke Gefühle der Loyalität unter den Jesiden gegenüber der PKK, da die mit ihr verbundenen kurdischen Milizen aus Syrien 2014 die Retter waren.