Und die Kuh ward Fleisch geworden

Skandalversuch: Der am Baukran hängende Künstler Wolfgang Flatz ließ ein Rindvieh vom Hubschrauber auf die Erde fallen und sorgte für Aufmerksamkeit

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Der Helikopter kam, warf ein Stück zusammengeschnürtes Fleisch ab und rauschte davon. Das wars. Fast schon. Über allem hing noch ein nackter Künstler mit Wundmalen am Körper. Wenn auch nicht ganz am Kreuz, so doch immerhin am Baukran. Eine gute Aussicht musste man von da oben gehabt haben: auf den nahen Fernsehturm am Alex, auf die Lichterfassaden der sich um den Prenzlauer Berg schmiegenden Großstadt, auf die Menschenmassen, die eine der Hauptausfallstraßen Berlins am Rande der Baustelle der Backfabrik besetzt hatten und gespannt nach oben starrten.

Das Fleisch fiel also in den Staub. Nein, nicht das Fleisch am Kran, sondern der Kadaver am Seil des Helikopters. Der wirbelte ganz schön Staub auf, als er seine Last abgeworfen hatte und kurzzeitig über den Köpfen der Schaulustigen kurvte. Aber im Vergleich zu dem Staub, den die "Performance" in den Medien bereits den ganzen Tag über aufgewirbelt hatte und im Nachhinein weiter aufwirbeln wird, hielt sich die Wolke mit den Baustellendreck-Partikeln und dem märkischen Sand nicht lange.

Darf man eine Kuh in diesen Sand setzen beziehungsweise sie aus luftiger Höhe darauf werfen? Das war die Frage, die alle Berliner Radio- und Fernsehstationen vor der abendlichen Inszenierung das Sommerloch vergessen ließ. 13-jährige Mädchen durften die Aktion vor dem Mikrofon "ganz doof" finden. Bierbäuchige, ziemlich viel Fleisch mit sich herumschleppende Männer forderten, statt der Kuh doch lieber den Künstler fallen zu lassen. Eine Tierschützerin fand die Idee - die des Machers - einfach nur "pervers". Viele Moderatoren hatten ihren Hörern und Zuschauern allerdings zunächst verheimlicht, dass das Rind vor dem großen Fall bereits den Weg allen Fleisches gegangen war und seinen eigenen Geist ausgehaucht hatte.

Da oben hing er

Trotzdem hatte die Ankündigung des hinter der Show stehenden österreichischen Künstlers Wolfgang Flatz, die Kuh explodieren beziehungsweise auf dem Boden "zersprengen" zu lassen, bei manchen Zeitgenossen Unwohlsein und Magengrimmen ausgelöst. Schließlich kommt auch nach BSE vielerorts Rindfleisch nach wie vor auf den Tisch, und mit dem Essen soll man bekannterweise ja nicht herumspielen oder es gar in den Dreck werfen. Und dann gibt es ja sogar Religionen, die gerade die Kuh als heiliges Tier verehren.

Womit wir bei der Moral der Geschichte wären. Die sieht der Ersatzchristus Flatz natürlich in der Doppelmoral der Menschheit im Umgang mit dem Fleisch. So wettert er im Anschluss an den großen Auftritt des von ihm als Statisten begleiteten Rindviechs über die "Überproduktion der Nahrungsmittel, wo Moral keine Rolle spielt." Für Wolfgang "Ich-bin-ein-Fleischfresser" Flatz findet sich die Doppelmoral aber auch bereits im (katholischen) Christentum, das die Fleischeslust und die sexuelle Annäherung immer untersagt hat und als Ersatz den "Leib Christi" während der Kommunion austeilt, gewandelte Oblaten, die sich die Gläubigen auf der Zunge zergehen lassen.

Ersatzchristus Flatz

Die Geschichte der Menschheit ist durchtränkt von den Wundflüssigkeiten des unsinnigen Kampfes gegen die Macht des Fleisches. Hilflos wehren wir uns gegen das, was wir sind. Manchmal mit dem Versuch, den vom Fleischlichen gesteuerten Geist zu bezwingen, manchmal mit Gewalt. Es roch immer wieder nach verbranntem Fleisch auf dieser Erde. Ob es die Körper wollüstiger Hexen, die gefolterten Leiber zu lebensunwert erklärter Artgenossen oder die Kadaver von wirtschaftsgefährdend in Überzahl geratener Rinder sind, die in den Flammen lodern - alles fügt sich in den Ritus altbewährter Opferrituale.

Wolfgang Flatz

Flatz arbeitet so mit der Performance auch seine eigene Kindheit auf. Aufgewachsen ist der Künstler, der in jüngster Zeit mehrfach durch autoaggressive Aktionen Aufmerksamkeit erregte und dabei mal als menschlicher Glockenschlägel zwischen zwei Stahlplatten schwang, mal als lebendige Zielscheibe für Dartpfeile in einer Ausstellung fungierte, in Voralberg. Früh wurde er dort bin "mit der Allgegenwart des Fleisches konfrontiert", wie der Selbstdarsteller am Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung schrieb. Da waren die offenen Wunden, aus denen das Fleisch herausklaffte. Da waren die Tiere, die Jäger mit ins Dorf brachten. "Wir Kinder stritten uns darum, die Schnitzel klopfen zu dürfen - also in den Genuss zu kommen, mit einem Hammer auf die rosafarbenen Fleischstücke einzudreschen."

Jeder trägt ein Schnitzel in sich

Nichts Fleischliches sei ihm also fremd gewesen, so Flatz. Nur das eigene Fleisch vielleicht. Denn wenn die Kinder in die Betten geschickt wurden in der voralbergischen Hütte, weil sie die Horrorfilme im Fernsehen nicht sehen sollten, in denen Werwölfen am Zerfetzen von Leibern waren, lauerten dort bereits neue Verbote: "sich selbst an das Stück blutpochenden Fleisches zwischen den Beinen zu fassen, weil es gegen Gott sei."

Das zweite Ende des Stiers

Auch die konkrete Idee mit dem Hubschrauber und dem Rind rührt aus des Künstlers kindlicher Vergangenheit. Als Flatz als "Hüterbub" auf der Alm seiner Gebirgsheimat die Tage verbrachte, kam es hin und wieder vor, dass Kühe von den Felswänden abstürzten. Und da das freie "Herumliegenlassen von Kadavern" nicht den gesundheitspolizeilichen Richtlinien des Landes entsprach, wurden die Tierleichen mit Helikoptern (sic!) abtransportiert oder einfach gesprengt. "Es war nicht schön, die Fleischfetzen an den Felswänden zu sehen," erinnert sich Flatz in der SZ. "Aber dafür umso schöner, die Wandertouristen bei der Entdeckung der Schweinerei zu beobachten."

Die große Schweinerei blieb in Berlin allerdings aus. Die Innereien hatte man Bodo, dem Bullen, dessen sterbliche Überreste gestern in die Tiefe stürzten, bereits vor dem schwindelerregenden Absturz herausgenommen. Sie sind in einer Ausstellung in der Backfabrik zu besichtigen. Auch der Kopf war schon ab, als Bodo zu Fall gebracht wurde. Übrig blieb eine Art großes Stück Schinken, das relativ kompakt und ohne jegliches Blutspritzen am Boden aufsetzte. "Das Tier ist zu Ehren gekommen", sagt Flatz, etwas heiser, nach getaner Arbeit, die er eigentlich "nicht interpretieren möchte". Liefern wollte er "Assoziationen und Bilder zum Mitnehmen", keine neue Moralgeschichte.

"Sehr ästhetisch", wie es der Voralberger geplant hatte, lief denn auch alles ab. Der Erdbohrer ratterte pünktlich nach Sonnenuntergang los, es spielte die Band auf dem Dach des graffitibeschmierten, die große Renovierung noch vor sich habenden Altbaubestands der alten Backfabrik, die bald als "Multimedia-Factory" in Form der Backfabrik.de wieder auferstehen soll. Dann kam der Kran mit dem fliegenden Künstler - und schließlich knatterten die Rotoren und Bodo schwebte heran über der hohen Balustrade. Doch da war das Seil auch schon gekappt, die Bullenreste fielen in Sekundenschnelle herunter, eine kleine Feuerfontäne explodierte und die klassischen Tänzer drehten eine Ehrenrunde in der Bell Etage des alten Gemäuers.

250.000 Mark hat die Aktion gekostet, ließ Flatz, wieder herabgestiegen zur Journaille, die Öffentlichkeit anderthalb Stunden später wissen. 30.000 Mark seien durch Sponsoren wie die Zigarettenmarke Nil sowie Sony Music abgedeckt worden. Um die restliche Zeche zu zahlen, muss Flatz noch ein paar Kunstwerke verkaufen. Von der sich sonst gerne mit der Aktion "Schaustelle" im Baustellensommer schmückenden Berliner Senatsverwaltung habe er keine Unterstützung erfahren, bis kurz vor Beginn der Veranstaltung drohte ein Gerichtsbeschluss, das Ganze zu vereiteln. Die Fleischindustrie habe "viel Geld" investiert, dass sie nach BSE und der Maul- und Klauenseuche, nach Bildern von brennenden Kühen, wieder aus den Schlagzeilen komme, erklärt Flatz. Da sei sie nicht gerade erbaut gewesen über sein Vorhaben und habe versucht, die Aktion zu stoppen.

Doch anders als 1998, wo Flatz im Münchner Marstall einen toten Schimmel häuten wollte und am Protest "mancher Zeitgenossen" gescheitert war, die ihm "sinnlose Provokation und Effekthascherei" unterstellt hatten, ging dieses Mal alles glatt über die Bühne. Hargen Bartels, der Bauherr der nach dem Absturz der New Economy nach Mietern Ausschau haltende Bauherr der Backfabrik.de, habe ihn dankenswerterweise eingeladen und sich nicht von Lobbyisten, Kulturkritikern und Politikern ins Bockshorn jagen lassen. Zufrieden sei er mit dem Ablauf, keine Frage.

Dabei hätte man das Gemeinschaftserlebnis natürlich noch verbessern können. Wie schön wäre es gewesen, wenn sich die hungrigen, nicht nur nach den Fleischtöpfen Ägyptens sehnenden Zuschauer nach der Performance am gegrillten Bodo hätten laben können? Stattdessen mussten sie auf Schweinesteaks und Würstchen zurückgreifen.

Flatz sah das Manko, das der Inszenierung das Prädikat "Gesamtkunstwerk" vermasselte. Doch die Auflagen des Senats hätten es einfach nicht zugelassen. "Die Kuh musste zwar zum Verzehr geeignet sein, durfte aber nicht verzehrt werden", erläutert der momentan hauptsächlich in München wirkende Künstler. Da verstehe noch einer die Bürokratie.