Und wer hat die Fake News erfunden?

Seite 2: Sinclairs Kritik an der miesen Qualität vieler US-Medien

Walter Lippmann und seinen Freunden dürfte das nicht gefallen haben. Sinclairs Kritik an der miesen Qualität vieler US-Medien, an ihren widerwärtigen, korrupten und kriminellen Machenschaften war aber 1919 in The Brass Check so gut belegt, dass Lippmann ein einfaches Ableugnen nicht aussichtsreich erschien.

So griff Lippmann 1920 in seinen Artikeln einige wenige Punkte von Sinclairs Pressekritik abwiegelnd auf. Die "aktuelle Krise der westlichen Demokratie" sei "eine Krise des Journalismus", aber: "Ich stimme nicht mit denen überein, die meinen, dass Korruption der einzige Grund ist." (S.21) Zielte Lippmann damit auf Upton Sinclair, ohne ihn beim Namen zu nennen?

Sinclair beschränkt sich keineswegs auf Korruption im engeren Sinne, wie Lippmann zu unterstellen scheint. Sinclair weist an zahllosen konkreten Fällen die Unterdrückung von Nachrichten, die Verbreitung tendenziöser Verdrehungen und verleumderischer Lügen nach, meist gegen die sozialistische Linke gerichtet.

Lippmann lässt sich 1920, ohne im Mindesten auf Sinclair einzugehen, gerade einmal zum Geständnis herab, dass ein Herausgeber der US-Presse "die jeweiligen Nachrichten unter Bezugnahme auf die in seiner gesellschaftlichen Gruppe vorherrschenden Konventionen behandelt." (S.45)

Dieses abwiegelnde Eingeständnis heute rückwirkend zu grandioser Medienkritik aufzuwerten, scheint reichlich übertrieben. Besonders angesichts der von Lippmann verschwiegenen Study of American Journalism Upton Sinclairs, die weit eher einen Meilenstein der Medienforschung darstellt. Auch wenn das Schwadronieren über "gesellschaftliche Konventionen" in akademischen Ohren heute gefälliger klingen mag als Sinclairs Kritik an der korrupten, unappetitlichen und kriminellen Durchsetzungen knallharter Klasseninteressen in der Presse.

Lippmann versucht 1920 wohl noch, Upton Sinclair totzuschweigen und behauptet, "Politologen" debattierten das Thema Presse, "ohne eine einzige signifikante Studie über den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung hervorzubringen" (S.26). Das sieht nach einer Nebelkerze aus, geeignet, den Blick auf Sinclairs bahnbrechende, 450 Seiten starke "Study of American Journalism" zu verstellen.

Von Lippmann zu Bernays

Lippmann schiebt in seiner dürftigen Analyse die Verantwortung für die Presse-Misere der USA auf schlecht ausgebildete Journalisten, fordert eine Akademisierung des Berufsstandes und müht sich dann um Psychologisierung des Themas. Nebenher rechtfertigt Lippmann die eines totalitären Regimes würdige Inhaftierung von Sozialisten wie Eugene Debs, weil diese "Aufreizung zu einer Übeltat" begangen hätten (S.36):

...kein Entrinnen für Männer wie den Sozialisten Eugene Debs, den Gewerkschafter William Dudley Haywood oder alle, die Kriegsanleihen boykottieren.

Die US-Justiz solle "der Agitation nicht nachgeben" (S.38). Agitation ist für Lippmann offensichtlich vor allem das, was Sozialisten und Gewerkschaften, Anarchisten und Pazifisten sagen.

Die drei jetzt unter dem bombastischen Titel Die Illusion von Wahrheit oder die Erfindung der Fake News neu aufgelegten Artikel reichten 1920 jedoch nicht, um The Brass Check dauerhaft Paroli zu bieten. So legte Lippmann zwei Jahre später nach: Sein Buch Public Opinion, wird heute als Standardwerk von Psychologie, Soziologie und Publizistik gehandelt, um nicht zu sagen überschätzt.

Edward Bernays, 1917. Bild: Public Domain

Es psychologisiert die Problematik von Liberty and the Press und kippt dabei von Medienkritik in die Rechtfertigung einer auf Propaganda gestützten Eliten-Herrschaft. Dieser Propaganda werden Theorien und Instrumente bereitgestellt, wie die psychologische Manipulation zu optimieren sei.

Es blieb dem Lippmann-Jünger Edward Bernays vorbehalten, diese Ansätze weiter zu entwickeln und ein Millionengeschäft aus der Massenmanipulation zu machen. So verkaufte Bernays der US-Bevölkerung etwa fette Speisen ("American Breakfast") und Zigaretten ("Fackeln der Freiheit") als heroisch und gesundheitsförderlich.

Bernays benannte Propaganda dafür in "Public Relations" um, da der Begriff belastet war, nicht zuletzt durch die Kriegs- und Gräuelpropaganda von Lippmanns Committee on Public Information.

Was Bernays nicht davon abhielt, unter dem Label PR ebenfalls Kriegspropaganda zu machen, etwa für den blutigen "Regime Change" der CIA in Guatemala 1954. Er hetzte die US-Öffentlichkeit gegen den demokratisch gewählten Jacob Arbenz auf, dessen Landreform ihn nun zum verhassten „Kommunisten“ abstempelte. Die Brüder Dulles, einer CIA-Chef und Ex-Jurist der United Fruit (heute Chiquita), der andere US-Außenminister und Bananen-Aktionär, organisierten den Putsch.

Beide standen mit Walter Lippmann in Verbindung, der den CIA-Chef J.F.Dulles in seinem ersten TV-Auftritt 1962 gegen Kritik verteidigte, dem Außenminister "Dear Allan" gab Lippmann 1958 Tipps zu China.

Nach außen blieb Lippmann dagegen der honorige Ostküsten-Intellektuelle und Qualitäts-Journalist. Bernays Kunden bei der mächtigen United Fruits Company bekamen ihre Bananen-Plantagen zurück, das vormals demokratische Guatemala wurde zu einer blutigen Militärdiktatur, die 100.000 Opfer forderte.

Quellen

Walter Lippmann: Die Illusion von Wahrheit oder die Erfindung der Fake News. Aus dem Amerikanischen von Karim Akerma. Hg. Walter Otto Ötsch, Silja Graupe. Frankfurt am Main: Edition Buchkomplizen (Westend) 2021

Walter Lippmann: Die öffentliche Meinung. Wie sie entsteht und manipuliert wird, Hg. Walter Otto Ötsch, Silja Graupe, Frankfurt am Main: Westend 201

Upton Sinclair: The Brass Check. A Study of American Journalism, Original im Selbstverlag 1919, Nachdruck 2015 von Forgotten Books