Und wer hat die Fake News erfunden?

Ukraine-Krieg und Medien: Der US-Publizist und Präsidenten-Berater Walter Lippmann erlebt derzeit eine vielleicht allzu wohlmeinende Renaissance. Noam Chomsky sieht ihn als Paten der modernen Propaganda.

In seinem Beitrag zum Ukrainekrieg kritisierte Noam Chomsky jüngst Walter Lippmann und Edward Bernays als Paten der modernen Propaganda. Das erstaunt, weil Lippmann just eine Renaissance als vermeintlicher Medienkritiker erlebt. Die Illusion von Wahrheit oder die Erfindung der Fake News (erschienen bei Edition Buchkomplizen)1 vereint drei ältere pressekritische Lippmann-Artikel, darunter Liberty and the News.

Die Herausgeber Graupe und Ötsch feiern Lippmann als Kämpfer für Qualitätsmedien, Demokratie und Freiheit. Der Autor erlaubt sich, die Frage aufzuwerfen, ob die Lippmann-Aufsätze nicht anders zu deuten wären: als abwiegelnde Reaktion auf die 1919 erfolgte Veröffentlichung von The Brass Check.2

Upton Sinclair, 1934. Bild: Public Domain

Damals war der Sozialist Upton Sinclair ein berühmter Enthüllungsautor und allein seine Arbeit an einem Buch über die Presse dürfte das Establishment der USA in helle Panik versetzt haben. 1906 hatte sein Buch The Jungle die mächtige Fleischindustrie attackiert und zu ersten Hygienegesetzen geführt. The Brass Check: A Study of American Journalism wurde von der Presse verbissen totgeschwiegen.

Sinclair publizierte es im Selbstverlag. Doch seine Kritik an ebenso korrupten wie sensationslüsternen Zeitungen und machtgierigen Pressezaren traf einen Nerv der Zeit. "Die These dieses Buches ist, dass der amerikanische Journalismus eine Klasseninstitution ist, die den Reichen dient und die Armen verschmäht", schrieb Sinclair, und es drohte eine weite Verbreitung dieser Sicht der US-Presse.

Während der aus kleinen Verhältnissen stammende Upton Sinclair an der Seite der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung der USA kämpfte, hatte Walter Lippmann sich den Reichen und Mächtigen seiner Zeit angedient.

Der Sohn aus gutem Hause war in Jugendjahren noch in der sozialdemokratischen Fabian Society. Gerade volljährig kritisierte Lippmann 1910 für das Enthüllungs-Magazin Everybody‘s die Finanzmacht von J.P. Morgan. Sinclair zeigt 1919 in The Brass Check am Beispiel Everybody‘s wie Sensationsmagazine mit kritischen Artikeln ihre Auflage steigern, dann aber auf Mainstream-Kurs umschwenken, um mit Anzeigen aus Industrie und Gewerbe Kasse zu machen.

Lippmann, Eugene Debs und die Freiheit in Amerika

Das 20. Jahrhundert beginnt in den USA mit den wilden Jahren der Reform-Ära. In blutigen Kämpfen zwischen Kapital und Arbeit steht die Regierung meist auf Seite der Konzerne gegen die Gewerkschaften. Doch es rumort auch in den bürgerlichen Parteien. Der mit Lippmann befreundete Ex-Präsident Teddy Roosevelt spaltet die Republikaner, unterliegt in der Wahl 1912 aber dem Demokraten Woodrow Wilson.

In dieser Wahl erzielt der US-Sozialist Eugene Debs, obwohl man ihn vorsorglich inhaftiert hatte, an die eine Million Stimmen. Ein für die USA sensationelles Ergebnis, den Republikaner Taft wählten auch nur 3,5 Millionen US-Bürger. Sinclairs Studie beweist 1919 knallhart, dass die US-Presse mehrheitlich tendenziös gegen Debs und überhaupt gegen alles, was sozialistisch war, gehetzt hatte. Von fairen und freien Wahlen konnte folglich keine Rede sein.

Walter Lippmann, um 1920. Bild: Public Domain

Lippmann dagegen rechtfertigt noch 1920 die Inhaftierung von Debs und bezichtigt den Sozialisten der "Agitation" – wofür er, anders als Sinclair, keinerlei Beweise vorlegen zu müssen meint. Kein Wunder, denn Lippmann wurde schnell zu einem der Drahtzieher der Unterdrückung sozialer Bewegungen.

Lippmann, der es zuvor mit dem republikanischen Volkstribunen Roosevelt gehalten hatte, lief 1914 ins Lager des siegreichen Präsidenten Wilson über und wurde Propaganda-Berater für seine Wiederwahl 1916. Im Zeichen des Ersten Weltkriegs lullte Wilson die wenig kriegsbegeisterten Amerikaner mit pazifistischen Parolen ein, um nach seiner Wiederwahl auf Kriegskurs umzuschwenken.

Lippmann erfindet für ihn die "Atlantic Community" mit Briten und Franzosen und organisiert eine beispiellose Propaganda-Kampagne, um die US-Bevölkerung für militärische Maßnahmen zu gewinnen. In Public Opinion3 wird Lippmann später auf die Bedeutung von Bildern, Symbolen und Begriffen bei der Manipulation von Menschen hinweisen.

Vom Creel-Committee zum Espionage Act

Der deutsche "Hunnen"-Kaiser und seine Verbrechen werden mit oft erlogener Kriegspropaganda in Wort, Schrift und Film zum Hassobjekt gemacht. Das auf Initiative Lippmanns installierte Committee on Public Information (CPI) verbreitet z.B. gestellte Filmaufnahmen von deutschen Soldaten, die Müttern ihr Baby entreißen und in die Flammen werfen.

Das CPI, nach einem berühmten Mitglied auch Creel-Committee genannt, druckt Millionenauflagen von Propagandaschriften und heuert eine Armee von Agitatoren an, die etwa bei Filmvorführungen das Publikum mit vorbereiteten Hassreden aufhetzen. In der Propagandaforschung gilt dies als Beginn der modernen Kriegspropaganda.

Doch es bleibt nicht bei reiner Propaganda. Mit einer Serie von Gesetzen werden die USA militarisiert und entdemokratisiert, ähnlich wie 2001 nach den 9/11-Anschlägen. Woodrow Wilson erlässt etwa den berüchtigten Espionage Act, angeblich gegen deutsche Spione, vor allem aber gegen sozialistische Kriegsgegner, mit dem derzeit Julian Assange politisch verfolgt wird.

Upton Sinclair schreibt nach Kriegsende in The Brass Check, die US-Industrie-Autokratie habe gelernt, Propaganda zu organisieren: "the art of hate". Sie wende dies nun gegen die Arbeiter-Bewegung an, wie auch die (uns heute totalitär anmutenden) Gesetze nebst "spy-system", die zuerst "against the Kaiser" gerichtet waren (S.381).

Für Sinclair ist die kapitalistische Presse Teil eines Systems der Unterdrückung der Arbeiter durch Unterdrückung von Nachrichten. Er plädiert für Gesetze gegen verlogene Hass- und Schmierkampagnen, für das Recht auf Gegendarstellungen der davon Betroffenen und für Journalisten-Gewerkschaften.

Die sollen verhindern, dass Autoren zu willigen Bütteln der Medientycoone gemacht werden. Eine bessere Qualität von Informationen soll durch genossenschaftlich organisierte Nachrichtenagenturen erreicht werden.