#Unerfolgreich

So war das mal: "Unteilbar" 2018. Bild: Stefanie Eisenschenk, CC BY 2.0

Die jüngste Demonstration des Unteilbar-Bündnisses in Berlin ist gefloppt, aber niemand will darüber reden. Ein Kommentar

Am Ende kann man es drehen und wenden, wie man will: Die jüngste Demonstration des "Unteilbar"-Bündnisses kann nur als Ausdruck einer schwindenden Mobilisierungsfähigkeit der Zivilgesellschaft verstanden werden. Gerade einmal 10.000 Menschen kamen nach Angaben der Polizei in die Bundeshauptstadt, auch wenn die Veranstalter 30.000 – und damit die anvisierte Teilnehmerzahl – gezählt haben wollen.

Nehmen wir den Mittelwert von 20.000 Teilnehmer:innen und teilen Sie durch die 350 Aufrufer, unter ihnen Massenorganisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, so hat jede Organisation im Schnitt 57 Menschen auf die Straße gebracht.

Und das inmitten einer pandemiebedingten Krise, die unsere Gesellschaft noch jahrelang bewegen und in Teilen sicherlich spalten wird.

Und das drei Wochen vor einer Bundestagswahl, die das Ende der 16-Jahre Stagnationspolitik unter Angela Merkel bedeuten wird.

Was die Aufrufer der jüngsten "Unteilbar"-Demonstration verschwiegen und viele Medien höflich übergingen: Im Oktober 2018 hatte dieses Bündnis in Berlin sagenhafte 240.000 Menschen auf die Straße gebracht – sechsmal so viele wie erwartet.

Es spricht für die politische Realitätsverweigerung des Mitte-links-Lagers, dass diese Entwicklung nicht diskutiert wird. Ein Redakteur der Linkspartei-nahen Tageszeitung Neues Deutschland führte nicht die Teilnehmerzahl als Erfolgsmesser an, sondern den Umstand, dass die Demonstration "Spitzenmeldung in der Tagesschau" ist: "Ich frage mich, wann eine progressiv-linke Bewegung dies zum letzten Mal geschafft hat."

Ich hingegen frage mich, was die Bilanz der jüngsten Proteste für Zustand und Perspektive der bundesrepublikanischen Demokratie bedeutet.

Müssten nicht gerade jetzt, vor der Wahl und angesichts der gesellschaftlichen Krisen die Menschen auf die Straße gehen? Müsste sich nicht, wenn der Bundestag in unserem parlamentarischen System als Korrektiv einer gescheiterten Regime-Change-Politik in Afghanistan versagt, auf der Straße Protest bilden? Ist Deutschland die Heimat der Schönwetter-Protestler geworden?

Wie die Menschen wieder auf die Straßen bringen?

Mitunter ist, auch bei Telepolis schon über die Auswirkungen der Pandemiepolitik auf die Mobilisierungsfähigkeit der Zivilgesellschaft diskutiert worden.

Zuletzt hatten schließlich auch rechte Bewegungen wie Pegida oder die Querdenker-Bewegung massiv an Mobilisierungskraft eingebüßt. Die Corona-Proteste teilweise indes im offenen Widerstand gegen eine restriktive Infektionsschutzpolitik statt, deren Regeln, man muss das anführen, je nach politischem Gusto durchgesetzt werden.

Doch droht gerade die Corona-Politik und der mit ihr einhergehende Schulterschluss zwischen dem Staat und Teilen des Mitte-links-Lagers eine neue Passivität zu befördern. Zweifelsohne sind viele Sympathisanten der "Unteilbar"-Aufrufer mit Blick auf die Infektionsschutzbestimmungen zu Hause geblieben.

Welche Strategien gibt es, die Menschen wieder auf die Straßen zu bringen angesichts der bestehenden und kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen?

Einst wurde der sogenannte Cyber-Pessimismus diskutiert. Es werde, so die These, zu einem Einbruch von Protestbewegungen kommen, wenn die Menschen nur noch zu Hause sitzen und ihre Meinung über "Likes" oder "Dislikes" kundtun.

Dann aber kam das Protestjahr 2018, nicht nur mit der Massenmobilisierung des "Unteilbar"-Bündnisses in Berlin, sondern auch mit 65.000 Menschen auf einem Anti-Rassismus-Konzert in Chemnitz und alleine 5.000 Kundgebungen in der Bundeshauptstadt.

Vor allem angesichts des Aufstiegs der AfD und rechtsradikalen Bewegungen fühlten sich viele aufgeklärte Bürger an die 90er-Jahre mit den damaligen neofaschistischen Gewaltausbrüchen erinnert.

Von dieser Stimmung ist nichts mehr zu spüren. Obwohl die Gefahr eines Machtzuwachses rechtskonservativer bis rechtsradikaler Kräfte bei der Wahl am 26. September real ist und die sozialen Probleme sich auch durch die Pandemiepolitik zuspitzen.

Die Herausforderungen sind, zugegeben, diffuser. Und die repressiv durchgesetzten Lockdowns wirken nach. Die Folgen und Dynamiken werden wir in den kommenden vier Jahren konkret erleben.