Unethische Autorenschaften in den Wissenschaften

Von Sub-, Geister-, Ehren- und Vielschreibern

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Scheinbar unaufhaltsam wächst weltweit die Zahl aufgedeckter Plagiate. Ihre Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches davon betragen. Doch auch der philologische Autorenbegriff des Urheberrechts ist im Zeitalter von „Big Science“ in Verruf geraten – nicht zuletzt aufgrund grassierender unethischer Autorenschaften (inflationäre Ehrenautorenschaften, Ghost Writings). Die Unzufriedenheit vor allem unter den jüngeren, statusniedrigeren WissenschaftlerInnen wächst: So setzen etliche medizinische Journale mittlerweile lieber auf den präziseren Begriff der "Kontribuentenschaft", Großprojekte der Hochenergiephysiker zur Gänze auf statutarisch geregelte kollektive Autorenschaften. Welche institutionellen Leitbilder & organisatorischen Kontexte fördern die Bereitschaft zu unethischen Praktiken beim Publizieren (genauer: bei der Zurechnung wissenschaftlicher Leistungen)? Welche Gegenmaßnahmen wären möglich?

Recht auf Ausbeutung?

Schlaue Kopisten danken ihren unfreiwilligen Quellen zwecks Absicherung in einer Fußnote für „hilfreiche Kommentare“. Ich studiere bei der Lektüre von Büchern oder Aufsätzen zu allererst die aufschlussreichen kleingedruckten Danksagungen. Eine beliebte, da juristisch eher wasserdichte Taktik besteht im Zerlegen der Arbeit in viele kleinste Häppchen. Diese werden an jeweils andere Subautoren (bzw. „ghost authors“1) delegiert. So können sie nur schwer Ansprüche auf Coautorenschaft anmelden. Nach Lektüre mancher Danksagungen, die sich auf Recherche, Untersuchung, Textformulierung, Endredaktion, Registererstellung beziehen, frage ich mich regelmäßig: Was hat der auf dem Buchdeckel vermerkte Autor eigentlich selbst zu seinem Opus beigetragen?

Das dramatische Unrecht der Situation zeigt eine Initiative österreichischer Werkvertragsnehmer: Sie kämpfen für das Recht auf Autorenschaft. Mit Posten und Drittmittel versorgte Personen lassen Freiberufler, d.h. stellenlose Sozialwissenschaftler für sich arbeiten (Untersuchungsdesign, Datenerhebung, Auswertung, Berichtformulierung) und firmieren dann oft als alleinige Autoren auf dem offiziellen Abschlußbericht.

Auch Gattinnen formulieren oft die Texte - inoffiziell. Die Karriere eines Schweizer Philosophen soll lt. Autobiographie seiner Witwe zur Gänze auf dem Wissen und den Schreibkünste seiner Gattin beruht haben.2

Ehre, wem Ehre gebührt?

Das Anführen von Personen ohne irgendeinen Arbeitsbeitrag (meist sogar ohne Kenntnis des Textes) als Autoren nennt sich Ehrenautorenschaft. Mit dieser in Naturwissenschaften und Medizin allenthalben verbreiteten Taktik können auch Vorteile für die eigentlichen Verfasser verbunden sein: Mit einem Nobelpreisträger (die Optimalvariante!) als vorgeblichem Coautor wird das Manuskript von einem gehobenen Journal oder Verlag umgehend akzeptiert und später wohl auch eifrig zitiert. Auch potentiell bedrohliche Konkurrenten oder Kritiker können durch Ehrenautorenschaften neutralisiert, gleichsam zum Schutz verpflichtet werden.

Andere betreiben einfachen wissenschaftlichen Warentausch: Sie geben z. B. fötale Zellen nur gegen die vertragliche fixierte Zusicherung aus der Hand, bei jedem Paper, welches aufgrund der Auswertung dieses wertvollen Zellmaterials entsteht, als Koautor angeführt zu werden.

Eine Längsschnittstudie3 zeigt die Effekte üppiger Finanzierung auf die kollektive Produktivität: Viel Geld aus vielen Fonds für viele Autoren erbringen viele Papers, auf denen man sich vielfach als Koautor anführen lassen kann. Rankings unterscheiden meist nicht zwischen Einzel- und Koautorenschaften. Alle Beteiligten vermelden stolz gestiegene Leistungsbilanzen: Autoren, Journaleditoren, Institutionen, Forschungsförderer und Staaten. Doch zeigen nach der Zahl der Koautoren gewichtete Auswertungen einen Rückgang der Produktivität je Einzelautor.

Institutsleiter oder Vermittler von Projektgeldern werden vielfach bei allen Artikeln aus dem Projekt als Koautoren angeführt - gerade auch dann, wenn sie das Paper nicht einmal gelesen haben. Das ist sogar jedem Ehrenautor dringend zu empfehlen, damit er im Falle von Problemen treuherzig versichern kann, er hätte das Paper „nie gesehen“.

Fungiert man als alleiniger Ehrenautor, noch dazu gegen beträchtliches Honorar, wie – folgen wir Erckenbrecht4 – der Philosoph Bertrand Russell, sollte man das Manuskript doch genauer durchsehen. Russell wurde wohl vom Verlag ausgetrickst, denn dieser wollte im Gegensatz zu Russell nicht, dass der „Coautor“ Paul Foulkes genannt werden sollte. „Die Kalkulation des Verlages ging auf, das Buch wurde ein Weltbestseller“ (information philosophie 3/2001, 52).

Graphomanen

Unter „Graphomanen“ versteht man Vielschreiber. Das Wort ist aber missverständlich: Denn sie lassen schreiben. Aufgrund ihrer leitenden Position in einem Großinstitut werden sie bei jedem Artikel aus ihrem Hause als Koautor angeführt: Auf genau 948 (!) wissenschaftlichen Publikationen in einem Jahrzehnt brachte es der Russe Yury Struchkow, der damalige Leiter des Allsowjetischen Instituts für Elementorganische Chemie in Moskau, als (Ko-)Autor - das ergibt fast 2 Publikationen pro Woche. Wissenschaftler aus der gesamten Sowjetunion mussten nämlich neu produzierte Substanzen zur Strukturbestimmung an Struchkows Kristallographielabor senden. Je ein befasster Mitarbeiter und Direktor Struchkow selbst wurden in die Autorenliste der entsprechenden Artikel aufgenommen – sonst wäre die Probe wohl versehentlich liegengeblieben.5

„Produktivität“ scheint also weniger ein Symptom für Originalität und Fleiß zu sein, als ein Indikator für institutionelle Macht. Das sollte den unbedingten Anhängern quantitativer Evaluation, den Liebhabern von Output-Indikatoren zu denken geben.

Professionelles Ghost Writing

Die bisher geschilderten Formen der Geisterautorenschaften sind, da auf Familien- bzw. Kleingruppen-Basis, vergleichsweise harmlos zu den Praktiken des professionellen, „großindustriellen“ Ghost Writings, wie sie in der US-amerikanischen Pharma- und Medizinfor-schung immer mehr von der Ausnahme zur Regel werden. Wissenschaftliche Publikationen fungieren als juristische Hilfsmittel bzw. Marketing-Tools.6

Beim US-„Passivraucherskandal“ drohte einem Tabakkonzern massive Schadenersatzklage. Konzernanwälte verfassten Leserbriefe an wissenschaftliche Journale (sie werden in aller Regel nicht von Gutachtern referiert) und wichtige Medien versahen sie - gegen Honorar - mit den Namen offiziell unabhängiger renommierter Wissenschaftler. Vor Gericht beriefen sich dann die Justiziare auf diese „Letters“ in „peer reviewed“ Journalen. Eine gerichtliche Verurteilung des Konzerns wurde abgewendet.7 Auch komplette Untersuchungen wurden von den Anwälten strategisch geplant und mit den Namen unabhängiger Wissenschaftler etikettiert. Solche Skandale konnten aufgrund von Klagen von Patienten- bzw. Umweltgruppen auf Basis des „Freedom of Information Act“ aufgeklärt werden: Die Gerichte verpflichtete die Konzerne zur Aushändigung aller Unterlagen – inklusive Email-Verkehr. Ein ähnlich scharfes Gesetz gibt es in Europa in Schweden.

Tandems

Etliche Fälschungen basieren auf einem Doppelgespann: einem angesehenen älteren Meister und seinem (ihren) jungen Gesellen. Die Meister haben eine Theorie, die Jünglinge liefern passende Daten. Die Meister versehen die Forschungen ihrer Gesellen mit Glaubwürdigkeit, bewirken ihre rasche und unbeanstandete Publikation. Als Koautoren ziehen sie aus den Arbeiten ihrer Gesellen Ruhm, noch höhere Posten oder Gehälter, Drittmittelmillionen. Nach Fälschungsnachweis distanzieren sie sich von all dem, als wäre nichts gewesen.

Eine Neubewertung all dieser „Ehrenautoren“ stünde an. Wie viele hochdotierte und einflussreiche Positionen, wie viele Drittmittel, Ehrungen, Preisgelder haben sie auf Basis der gefälschten Publikationen eingeheimst? Wären sie ohne die vielen gefälschten Publikationen ihrer Mitarbeiter im Berufungskarussell so weit vorangekommen? Welche gewissenhaften Forscher haben sie aus dem Feld geschlagen und geschädigt?

Wozu die Aufregung?

Probleme nicht-ethischer Autorenschaft seien nicht so tragisch, meinen manche: Unmittelbaren Schaden nehme die Wissenschaft durch irreführende Manipulation oder Erfindung von Daten, aber nicht durch Abschreiben oder durch Anmaßung von Autorenschaft.

Doch die wichtigste Belohnung, die anerkannte Währung in den Wissenschaften - Ehre, Anerkennung, Ruhm – wird beschädigt. So fühlt sich ein hoher Prozentsatz an Jungphysikern ausgebeutet. Demotivierung und wachsender Zynismus jüngerer Wissenschaftler als Folge ungerechter Verteilung und ungerechtfertigter Aneignung des „symbolischen Kapitals“ (Pierre Bourdieu) der Reputation könnten die Versuchung steigern, „echte“ Fälschungen zu begehen.

Warum?

Wissenschaftler vergessen oft schlicht und einfach die Quelle ihrer Einfälle und halten sie narzißtischerweise für eigene („Kryptamnesie“). In gewisser Weise ist der wissenschaftliche Einzelautor bloß eine Illusion – und war es schon immer. Der Erkenntnisprozess ist kollektiv, beruht auf Generationenketten und vielschichtigen Querbeziehungen von Gruppen und Milieus.

Ohne eine „kritische Masse“ an Helfern, Kritikern, Konkurrenten tut sich nur wenig. Wohl nur wenige Ideen entstehen einsam am Schreibtisch. Viele Fragen wie Lösungen entstehen im Pingpong der „kühnen Vermutungen“ (Popper), Scherze, Einwände und Gegenkritiken, etwa in der Diskussion unter Freunden oder in Kongresspausen, und ihr „eigentlicher“ Urheber ist oft kaum festzustellen.

Leitbild „Entrepreneurial University“

Überführte Wissenschaftler entschuldigten sich oft mit Arbeits- und Existenzdruck. Der Konkurrenz- und Erfolgsdruck wird durch die emsige Geschäftigkeit der neuen Kaste der Evaluatoren8 angeheizt:

  1. Der Existenzdruck befristeter Stellen zwingt Wissenschaftler fortwährend zu (mehr oder minder geschönten) Erfolgsbilanzen. Letztlich zählen die Zahl der Veröffentlichungen (mit möglichst hohem Impact Faktoren) und die Höhe eingeworbener Drittmittel als Qualitätskriterium.
  2. Die Drittmittel-Abhängigkeit führt zu Informationsvorenthaltung (Fröhlich 1998): Auftraggeber behalten sich vertraglich die Kontrolle über Projektveröffentlichungen vor. Unangenehme Befunde, die den therapeutischen Nutzen ihres Medikaments in Frage stellen oder Produkte eines Konkurrenten begünstigen würden, werden unterdrückt, notfalls mit Hilfe der Gerichte. Journal-Gutachter im Naheverhältnis zu einer Firma sind befangen.

Die klassischen Imperative des wissenschaftlichen Ethos’ nach Robert K. Merton – Universalismus, Kommunismus, Uneigennützigkeit, organisierter Skeptizismus - waren bis vor einigen Jahren im „alten Europa“ hochgeschätzt – zumindest als regulative Ideen. Die Kehrtwendung begann mit Margaret Thatchers Hochschulpolitik im United Kingdom: Die Gegner klassischer Wissenschaftskonzeptionen orientieren sich am mystifizierten Leitbild US-amerikanischer Elite-Universitäten (wie Yale), welche sie - zu Dumping-Preisen - zu imitieren suchen.

Grundlagenforschung an klassischen Universitäten Humboldtschen Typs sei altmodisch. Statt wissenschaftlicher Reputation sei das Akquirieren von Auftragsgeldern „zeitgemäßer“, verbunden mit permanenter externer Evaluation. So wollen es die Vertreter des neuen (neoliberalen) Leitbilds der „Entrepreneurial University“: Auch Wissenschaft müsse sich rechnen. Die enge Kooperation mit der Wirtschaft im Anwendungskontext wird zur vorrangigen Pflicht erklärt. Industrielles Ghost Writing und selektive wissenschaftliche Kommunikation im Interesse der Auftraggeber dürften auch bei uns über kurz oder lang zur Normalpraxis werden.

Evaluation und wissenschaftliches Fehlverhalten

Anhängern quantitativer Evaluation sollte zu denken geben, dass etliche viel zitierte „hot papers“ (etwa von Hermann/Brach/Mertelsmann oder Batlogg/Schön) inzwischen eindeutig als gefälscht gelten: Zitationsraten sind keineswegs wie oft behauptet ein Qualitätsmaß.

Anhängern qualitativer Evaluation sollte zu denken geben, dass viele Fälscher wissenschaftliche Preise einheimsten und alle Peer-Reviews anstandslos überstanden: Auch Preise und Peer Review garantieren wenig. Die Affären flogen durch aufmerksame Leser oder durch Insider auf. Letztere wiesen ihre Vorgesetzten auf schwere Mängel hin, die versuchten abzuwiegeln und einzuschüchtern.

Warum haben die gelobten „Qualitäts“-Kontrollverfahren des Peer Review bei großen wie kleinen Affären versagt? Zahlreiche empirische Befunde stellen Editoren wie Gutachtern schlechte Noten aus9: Sie übersehen schwerste Fehler und lassen sich von Vorurteilen leiten. Die Editoren- und Refereepraxis wirkt recht altertümlich handwerklich, ohne informationswissenschaftliche Unterstützung.

Nur ein Beispiel: Peters/Ceci 1982 entnahmen aus zwölf psychologischen Fachjournalen je einen Aufsatz und reichten diese jeweils nach kosmetischen Änderungen (Autorennamen und –institution) bei denselben Zeitschriften erneut ein. Nur 3 von 38 (!) Herausgebern und Gut-achtern (also nicht einmal 10%) erkannten die in ihren Journalen durchschnittlich vor 1 1/2 bis 2 Jahren bereits publizierten Aufsätze wieder.

Gegenmaßnahmen

In den USA (dem Rekordreiter im Länder-Ranking von Betrug, Plagiat und unethischer Autorenschaft) und auch in Skandinavien wurden bereits etliche Vorkehrungen zur Eindämmung dieser Praktiken unerwünschter wissenschaftlicher „Kreativität“ getroffen, die auch z.T. bereits greifen.

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Max-Planck-Gesellschaft haben zwar inzwischen Ethik-Codices bzw. Verfahrensregeln zur Behandlung von Fälschungsverdacht verabschiedet, die in einigen Fällen bereits angewendet wurden. Doch offiziöse Mitteilungen über enttarnte Forschungen bleiben mitunter kryptisch wie Verlautbarungen des Vatikans über innerkirchliche sexuelle oder finanzielle Verfehlungen. Die DFG-Ombudsmanschaft ist eine zahnlose Einrichtung, die zwischen beiden Seiten (hier: zwischen Plagiatoren bzw. Fälschern) „schlichten“ soll. Die Lektüre ihrer Berichte hinterlässt einen deprimierenden Eindruck. Immerhin hat aber die DFG auch an zahlreichen Universitäten die Installation statutarischer Regelungen („good practice“, Verhalten bei Betrugs- bzw. Plagiatsvorwürfen, Autorenschaftskonflikten) und von Ombudsleuten als Anlaufstelle durchgesetzt.

Forschungsförderungsfonds hätten noch am ehesten Motivation und Chancen, gegenüber Fälschern juristisch erfolgreich tätig zu werden. Wissenschaftliche Fälschung ist an sich immer noch „juristisch irrelevant“. Doch beim Bezug von Forschungsmitteln drohen Betrugsklagen und (in den USA) im Falle einer Verurteilung die Rückzahlung der vereinnahmten Gelder durch die Institution der Fälscher (wir verstehen nun, warum diese sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass Betrugsfälle bekannt und offiziell werden). Manche US-Gerichte billigen auch plagiierten Wissenschaftlern hohen Schadenersatz zu.

Was tun?

Es wäre leicht, mit einem kompakten Katalog von Maßnahmen zur Plagiats- und Betrugsbekämpfung zu beeindrucken. Doch jedes Tun hat auch nicht-intendierte Effekte – so auch etliche Reformvorschläge zum Thema. Trotzdem ein stichwortartiger Kurzkatalog möglicher sinnvoller Maßnahmen:

  1. Schutz der „whistleblowers“ (Aufdecker werden bislang eher negativer sanktioniert als Plagiatoren bzw. Fälscher). Generell wäre die Förderung von Zivilcourage sinnvoll (z.B., wie in den USA inzwischen üblich, Preisverleihungen an mutige BürgerInnen).
  2. Juristische Stärkung der Stellung der plagiierten bzw. betrogenen Wissenschaftler.
  3. Beiden, sowohl Aufdeckern als auch Betroffenen, und Patienten- und Konsumentengruppen wäre rechtlich mit Durchsetzung eines scharfen „Freedom of Information Act“wie in den USA und Schweden sehr geholfen.
  4. Codes of „Good Practice“ an den Universitäten und Einrichtung von wissenschaftsethischen Seminaren in allen Studiengängen, v.a. aber in allen Doktoratsstudiengängen (in Linz bereits im Studium zum Dr. rer. soc. oec.). Aber es gibt den "Beichtspiegeleffekt" (Durch das Auflisten möglicher Sünden kommen manche naive katholische Kinder erst auf die Idee, was alles an unkeuschem möglich wäre): Nach einem wissenschaftsethischen Kurs an einer US-Uni sollen die Studenten überhaupt erst auf den Geschmack am Plagiieren und Fälschen gekommen sein.
  5. Mit stärkeren Rechten ausgestattete Ombudsleute (Vertrauenspersonen) an allen größeren wissenschaftlichen Institutionen, wissenschaftlicher Gesellschaften, Verbänden der Journalherausgeber, Forschungsförderern. Denn es sollte Personen geben, die von ihrer Position her ein Interesse am Aufdecken wissenschaftlichen Fehlverhaltens haben.
  6. Flankiert müssten diese Maßnahmen allerdings von einer Änderung der Evaluationskriterien und –praktiken werden. Quantität (Publikationen, eingeworbene Drittmittel) als oberster Wert kann zu unlauteren Praktiken verführen.
  7. Nicht nur die Zähleinheit „Paper“, auch der klassische Autorenbegriff selbst steht zur Disposition. Etliche naturwissenschaftliche Großprojekte überlassen das Schreiben von Anträgen bzw. von Papers nur mehr einigen wenigen darauf spezialisierten Mitarbeiter. Mit einem philologischen Autorenbegriff kommen wir bei höchst funktionenteiliger, massiv von komplizierten Spezialtechnologien abhängiger Forschung nicht weit: - Etliche medizinische Journale setzen mittlerweile auf den Begriff der "Kontribuentenschaft" und fordern von Manuskripteinreichern genaue Angaben darüber, was wer wie wo zu einem Projekt beigetragen habe. Diese Angaben werden auch veröffentlicht – bei den seriösesten Journalen inkl. der Angabe lukrativer Verbindungen zur Industrie und sonstigen Geldgebern („conflict of interest“). - Die Hochenergiephysiker mit komplexen, höchst arbeitsteiligen Projektgruppen aus hunderten Wissenschaftlern und Technikern („Big Science“) haben die bislang radikalsten Konsequenzen gezogen: Teilchenbeschleuniger bestehen inzwischen zur Gänze auf statutarisch geregelten kollektiven ‚Autorenschaften’: Sämtliche Mitarbeiter - mit einem halben Jahr Verzögerung nach Einstellung, dafür inkl. einem halben Jahr nach Ausscheiden - werden auf sämtlichen Publikationen als ‚Autor’ angeführt. Selbst Dissertationen werden, da objektiv als Einzelperson in keiner Weise realisierbar, unter dem Namen sämtlicher ‚Autoren’ publiziert. Dass es sich um eine Doktorarbeit handelt, und von welcher Person, ist nur einer Fußnote zu entnehmen (Biagioli / Galison 2003). Machtkämpfe, wer wo in welcher Reihenfolge als Autor genannt wird, entfallen, und auch die Macht der Projektleiter, Autorschaften als Belohnung zuzuteilen bzw. als Bestrafung abzuerkennen. Das sozialpsychologische Klima in diesen Großprojekten soll daher ganz angenehm sein. Auch in der Wissenschaftsfuturologie geht man davon aus, dass die weltweit integrierten Computersysteme der Zukunft nur mehr vernetzte Kooperationen und keine Einzelautoren mehr kennen werden, allenfalls einzelne (aus Marketinggründen) herausgehobene „Superstars“.10

Doch in deutschsprachigen Landen herrscht noch vielfach Vogel-Strauß-Politik: Herausgeber, Forschungsförderer, Gutachter nehmen die zahllosen kritischen Befunde der Wissenschaftsforschung bislang kaum zur Kenntnis. (Bereits vorhandene) wissenschaftliche Grundlagen werden für den Wissenschaftsbetrieb nicht genutzt. Es mangelt auch an systematischer Förderung von Editoren- und Gutachterkompetenz - anscheinend werden beide als Naturgaben angesehen. Über schmale Spezialisierung aufsteigend sollen die Wissenschaftler, oben angekommen, auf einmal für alles und jedes kompetent sein.

Es stellen sich zwei Alternativen für die mittelfristige Entwicklung des wissenschaftlichen Publikationswesens:

  1. erheblich aufgerüstetes, kostenintensives „Informed Peer Review“ oder
  2. kostengünstige öffentliche Kritik („peer monitoring“) im „OPEN ACCESS“.

Die Modernisierung der rührend altmodischen Überprüfungspraktiken der Herausgeber- bzw. Referees sollte daher ein vordringliches Reformanliegen sein, Wissenschaftsforscher und Informationswissenschaftler als Berater beigezogen werden. Der kostenintensive Einsatz professioneller Datenbanken und Plagiatsüberprüfungssoftware wäre für „informed peer review“ unverzichtbar.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich beide Tendenzen parallel durchsetzen werden. Schon jetzt gibt es zahlreiche strikt getrennte wissenschaftliche „Parallelwelten“ (z.B. deutsch oder englisch publizierende deutsche Psychologen). Diese Tendenz zur Segmentierung könnte sich verstärken.

Denn werden sich konventionelle Zeitschriften mittelfristig überhaupt noch halten können? Das Journal ist ein Kind der Postkutschenära: Welchen Sinn soll es heute haben, kaum miteinander verwandte Papiere zu einem Bündel zu schnüren? Selbst Top-Journale wie das NEMJ (New England Journal of Medicine) fürchten um ihr mittelfristige Existenz.

Das Argument der „Knappheit“ des Platzes für Veröffentlichungen ist im digitalen Zeitalter obsolet. „Open-Access“-Publikationen erhalten höhere Article Impacts als kostenpflichtige. So stellen immer häufiger AutorInnen mehr oder minder illegal ihre Papiere kostenlos ins Netz. Journale offerieren vermehrt kostenfreie digitale Schlupflöcher und auch Preprints. Die Bedeutung einzelner Zeitschriften sinkt: Die Verlage stellen Datenbanken aller edierten Artikel und Bücher mit Suchfunktionen ins Netz. Zitationsverweise mit Links versuchen die Aufmerksamkeit auf andere Publikationen im eigenen Pool umzulenken.

Abschließend ein Gedankenexperiment: Wäre öffentliche Kritik oder gar Aufdeckung als Plagiator oder Fälscher durch „Peer Monitoring“ nicht blamabler als geheime Beanstandung hinter den Kulissen? Könnte der Verzicht auf Peer-Review-‚Zensur’ die Qualität wissenschaftlicher Publikationen nicht sogar erhöhen?

Überarbeiteter Auszug ohne Fallbeispiele und Literaturliste aus: Gerhard Fröhlich (2006): Plagiate und unethische Autorenschaften. Information: Wissenschaft und Praxis (IWP 57 (2), 81-89), Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und –praxis.