Ungarn und Polen - die ungleichen Neffen
Seite 2: Rechte in Ost und West
Trotz zahlreicher Unterschiede haben die PiS und Fidesz mehr miteinander gemeinsam als mit Rechtspopulisten Westeuropas, wie der Front National oder der österreichischen FPÖ. Eine Ausnahme bilden die AfD-Wähler in den neuen Bundesländern, wenngleich der Übergang zur Marktwirtschaft dort, anders als in den osteuropäischen Ländern, durch massive Sozialtransfers und Investitionen aus der alten BRD abgefedert wurde. Was blieb, waren Minderwertigkeitsgefühle und die tiefe Frustration, die Gegenwart nicht selbst gestalten zu können.
Die österreichischen Freiheitlichen tun sich schwer, ihr nationalsozialistisches Erbe abzuschütten, sie nehmen sich Orbán und Kaczyński dennoch gerne zum Vorbild, wie die jüngsten Law & Order-Ankündigungen und wiederholte Zugriffsversuche der FPÖ auf den öffentlich-rechtlichen Sender ORF zeigen.
Bei genauer Betrachtung waren die historischen Erfahrungen und die sozial-ökonomischen Voraussetzungen, die zum Aufstieg der rechten und rechtskonservativen Bewegungen diesseits und jenseits des einstigen Eisernen Vorhangs führten, dennoch sehr unterschiedlich. Die demokratischen Erfahrungen befinden sich in östlichen Ländern auf einer anderen Entwicklungsstufe. Redefreiheit bedeutet dort, politische Korrektheit, wie sie im Westen Standard ist, als obsolet zu betrachten. Es fehlt an Erfahrung im Umgang mit außereuropäischen Ausländern, hinzu kommt eine historisch gegründete tiefe Skepsis gegenüber den regierenden Eliten.
Zum besseren Verständnis muss man sich die Geschichte Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg vergegenwärtigen. Polen und Ungarn sind junge Demokratien, es sind gerade mal 28 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer vergangen. Das würde, umgelegt auf Deutschland oder Österreich nach dem Krieg, die frühen Siebzigerjahre bedeuten: eine Zeit politscher Turbulenzen, des linken Terrors, einer durch die 68-er Bewegung erst zaghaft initiierten Vergangenheitsbewältigung, die seitens der konservativen und revanchistischen Kreise auf massiven Widerstand stieß.
In Österreich, welches es sich hinter dem Eisernen Vorhang mit seiner Neutralität und dem Proporzsystem gemütlich gemacht hatte, dauerte es gar bis 1986, bis man sich redlich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen begann, wobei auch die 1980-90er Jahre ebenfalls eine turbulente und konfliktreiche Zeit waren, begleitet von Jörg Haider, Neonaziumtrieben und Briefbombenterror.
Flüchtlinskrise diente zum Aufbau von Feindbildern
Ein wesentlicher Katalysator der Wahlerfolge Orbáns und Kaczyńskis war die Flüchtlingskrise von 2015 und 2016. Beide konnten aus ihr reichlich politisches Kapital schlagen, obwohl Polen die ungarische Erfahrung, als hunderttausende Flüchtlinge auf ihrem Weg Richtung Westen durch das Land zogen, erspart blieb.
PiS und Fidesz haben die Flüchtlingskrise zum Aufbau eines äußeren Feindes genutzt, seitdem spielen sie mit diffusen Ängsten ihrer Bevölkerungen. Über die von ihnen kontrollierten Medien verbreiten sie eine harsche antimuslimische Propaganda und entwickelten so bei einem beträchtlichen Teil ihrer Bevölkerungen eine Stimmung der Angst vor außereuropäischen Migranten. So lassen sie sich nun als Garanten sicherer und terrorfreier Länder, als Schutzschilder gegen Fremde und als Verteidiger "christlicher Werte" hochstilisieren.
Die Nachrichten der staatlichen Sender beider Länder verbreiten plumpe Propaganda, wobei in Ungarn, im Unterschied zu Polen, russische Positionen 1:1 übernommen werden. Viktor Orbán hat sich nun einen weiteren Feind vorgeknüpft. George Soros, dem ungarnstämmigen 87 jährigen Holocaust-Überlebenden und Förderer liberaler Institutionen und Bildungsanstalten in Osteuropa wird unterstellt, er wolle mit seinem Geld Millionen von Moslems nach Europa schleusen, um die Europäer ihrer christlichen und nationalen Identität zu berauben.
Orbán hat mittlerweile alle bedeutsamen Zeitungen und Fernsehkanäle unter seine Kontrolle gebracht und gleichgeschaltet. Kritische Printmedien und Sender werden von regierungsnahen Geschäftsleuten aufgekauft und auf Linie gebracht oder geschlossen. Die NGOs werden in ihrer Arbeit massiv gehindert und mit hohen Steuern belegt. In Polen ist, trotz einiger Versuche der Einschüchterung durch die PiS, die Medienvielfalt vorerst erhalten geblieben.
Die Aufhebung der Rekordstrafe von 350.000 Euro für den privaten TV-Sender TVN, die wegen einer angeblich nicht objektiven Berichterstattung über Proteste gegen die Regierung verhängt wurde und für Kritik sogar aus dem US-Außenministerium sorgte, wird als ein Zurückrudern der neuen Regierungsmannschaft gewertet. Zwar hat die PiS kritische Journalisten öffentlich-rechtlicher Anstalten mit Propagandisten aus rechten Zeitungen, Radio -und Fernsehsendern besetzen lassen, doch erreichen inzwischen kommerzielle Sender eine höhere Reichweite als die staatlichen Kanäle. Das Internetportal "wirtualnemedia.pl" gibt an, dass die Hauptnachrichtensendungen der Sender TVN und Polsat jeweils mehr Zuseher anziehen als jene des staatlichen Fernsehens.
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