Unter Dauerbeschuss
Krieg ohne Grenzen, der imperiale Raum und der Pionier des militarisierten Tourismus
Anzeichen für eine Kontinuität zwischen den beiden Erlebniswelten Großstadtdschungel und Urlaubsgebiet nehmen in letzter Zeit deutlich zu. Die Reise erscheint zusehends als eine bruchlose Bewegung ohne spürbaren Übergang zwischen hier und da: Die Reise von einem Ausnahmezustand im heimischen Kontext in einen Ausnahmezustand in der Ferne. Zeichen einer individuellen Aufrüstung, die bereits den heimischen Arbeitsalltag dominieren und die sich in G-Shock-Uhren und Camouflage-Mode verdichten. Sie sind Identitätsmerkmale eines Subjekts, das seinem Auftreten im „Großstadtdschungel“ einen kriegerischen Anstrich gibt. Diese Zeichen materialisieren sich auch am Wegesrand während der Reise ins Ausland.
Stählen sich in einem Film wie „Wall Street“ (1980) Broker für den täglichen Kampf in der Geschäftswelt dadurch, indem sie jeden Morgen zwecks Motivation Kriegsfilme schauen, kommt der Drill dieser Tage aus allen erdenklichen Kanälen der Massenmedien zugleich. Die Begleitmusik des bellizistischen Lifesyles liefern Boulevardmedien, Managementphilosophen, Werbeagenturen usw. Die kriegerische Konsumkultur und mentale Aufrüstung zeigen sich etwa in der Rede über „Ehekriege“ und „Killerkids“, „Produktoffensiven“ und „feindlichen Übernahmen“. Und so konstatierten etwa die Kulturwissenschaftler Tom Holert und Mark Terkessidis:
Flexibilität, Effizienz, Mobilität oder Selbstverwirklichung erweisen sich als zutiefst kriegerische Normen.
Spätestens seit dem 11.September zeichnet sich auch „da draußen“ eine vergleichbare Militarisierung des Alltags ab. Gemeint ist hier der touristische Alltag. Also jener Einzugsbereich unserer Gesellschaft, der herkömmlich als Zufluchtsstätte vor den Plagen des sozialen Innenraums gehandelt wurde. Nun ist diese Vorstellung spätestens mit dem von der Bush-Regierung initiierten Krieg gegen den Terror ad acta gelegt worden. Während die Welt durch diesen räumlich und zeitlich unbegrenzten Krieg in einen permanenten Ausnahmezustand versetzt wird, wie ihn die Beobachter für die kommenden Dekaden prognostizieren, ist Terror, per Definition ein Modus der Neuen Kriege, im Herzen des Tourismus längst angekommen: Mit den terroristischen Anschlägen der jüngeren Vergangenheit wurden jedenfalls einmal mehr Urlaubsorte zu Kriegsgebieten erklärt.
Während einerseits der geschäftsschädigende Aspekt hervorgehoben wird, gibt es auch Anzeichen dafür, dass sich der Markt wie bereits in den 1990ern neu strukturiert: Nachdem islamistische Terroristen 1997 über 50 Urlauber an einem der Mainstream-Reiseorte Ägyptens exekutiert hatten, wurde das Backpacker-Paradies Dahab zum Hauptziel aller in das nordafrikanische Land strömender Touristen. Die Erneuerung mentaler Weltkarten steht an der Tagesordnung. Wer nicht vor seinem TV-Gerät Urlaub macht, der reist in eine radikal umdefinierte Fremde.
Auf der tunesischen Ferieninsel Djerba macht man zum Beispiel Jahre nach dem tragischen Ereignis – im April 2002 kamen in einem jüdischen Gotteshaus bei einem Terroranschlag 21 Menschen ums Leben – „Urlaub im Ausnahmezustand“ wie die Presse neulich textete:
Die Sicherheitsmaßnahmen sind überall auf der Insel verschärft worden, ein Heer von Polizisten und Geheimdienstleuten in Zivil soll dafür sorgen, dass sich ein Anschlag [...] nicht wiederholt. Nahezu alle großen Hotels sind durch eiserne Eingangstore gesichert, und rund um die Uhr patrouillieren Sicherheitskräfte durch die Anlagen.
Es liegt auf der Hand: Touristen werden im Zuge dessen zu Besuchern von (potenziellen) Kampfzonen.
Fließendes Kontinuum
Was für ein Panorama lässt sich von einem solchen touristischen Raum zeichnen? Es dürfte nicht verwundern, dass hier die Imperiumsforschung Auskunft zu geben im Stande ist. So argumentiert beispielsweise der Politologe Herfried Münkler, dass die Grenzen des Imperiums als durchlässig begriffen werden, aber auch gleichzeitig als den imperialen Raum strukturierende Abstufungen von Macht und Einfluss. Wir haben es hier mit einem fließenden Raum zu tun. Einem Raum, der die herkömmlichen Trennungen von hier und da ad acta gelegt hat. Es gibt dazu eine historische Parallele – aber sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um etwas grundlegend Neues handelt.
Die Kontinuität zwischen den Erlebniswelten Heimat/Ferne, die heute durch den globalen Ausnahmezustand hergestellt wird, prägte die Wirklichkeitserfahrung von Reisenden auch schon in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. Sie erlebten ihre Heimat als einen instabilen, in diffuse Koordinaten zerfallenen Ort, der in einem kontinuierlichen Ausnahmezustand suspendiert war. Als sie nach Übersee aufbrachen, erlebten sie während ihrer Reise und auch bei ihrer Ankunft einen vergleichbaren Zustand. Das entscheidende ist: Es war allen klar, dass sie in Übersee nicht der ewige Frieden des Paradieses erwarten würde, sondern allenfalls eine angenehmere Hölle. Beispielsweise die Möglichkeit, Abenteuer zu erleben, reich zu werden, Karriere zu machen. Ja, die Hoffnung bestand darin, dass die Hölle in Übersee paradiesische Seiten hatte.
Ansonsten ist die abendländische Geschichte über weite Strecken geprägt von einer dichotomischen Vorstellung von hier und da, Welt und Gegenwelt, Paradies und Hölle. Mit dem fließenden Kontinuum des imperialen Raums verliert der Tourismus seine angestammte Rolle, die Ressource der Gegenwelt zu verwalten. Wer ins Ausland reist, wird von einer Paranoia begleitet, die er bereits daheim im Gepäck hat. Das Entscheidende ist – um es noch einmal mit anderen Worten zu sagen –, dass Zentrum und Peripherie durch eine Matrix des Ausnahmezustands miteinander in Bezug gesetzt werden. Dass beide Bereiche durch diese Matrix in eins fallen. Und das, obwohl es zwischen den beiden Ausnahmezuständen deutliche Unterschiede gibt.
Der Krieg, den wir zu Hause erleben, ist ein ökonomisch sowie symbolisch konstituierter, während im Ausland eine Dimension hinzu kommt, die die beiden eben genannten Ebenen auf neuen Boden stellt: Der Ausnahmezustand in Übersee ist vor allem auch ein (para)militärischer, kriegerischer Zustand, bei dem reales Blut fließt. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob die Wahrnehmung des realen Krieges, durch die im eigenen System konditionierte Sicht verstellt wird: Wird das Krisengebiet auch in Bezug auf die Kriegserfahrung als Erweiterung des freien Marktes wahrgenommen, oder entstehen Brüche in der Wirklichkeitserfahrung? Werden die im „heimischen“ Krieg antrainierten Fähigkeiten in dem anderen Krieg „da draußen“ behauptet oder erlebt das Subjekt den Krieg als individuelle Steigerung?
Statt eine vermeintlich definitive Antwort auf diese Fragen zu geben, sei an dieser Stelle auf einen Pionier des militarisierten Tourismus hingewiesen. Sein Name: Katsuichiro Sato. Der Japaner begann zunächst Überlebensausrüstungen für Reisende zu produzieren, um 1993 mit Griptone sein eigenes Geschäft zu eröffnen. Satos Kunden können sich dort vor ihrer Reise mit kugelsicheren Westen, Rauchpatronen, eisernen Fußangeln fürs Hotelzimmer, Pfefferspray und Keuschheitsgürtel eindecken.
Sein neustes Produkt ist ein Koffer, der diebstahlsicher sein soll. Q hätte ihn erfinden können: Bei einem widerrechtlichen Entwendungsversuch gibt der Koffer einen ferngesteuert ausgelösten Stromstoss ab. Die Bedienungsanleitung des Herstellers erklärt, dass der Dieb nach dem elektrischen Schlag den Koffer zu Boden fallen lässt. Natürlich sind die Koffer aufprallsicher...