Unverwüstliche Lomo

Der Kult mit der "Kleinen Schwarzen" boomt auch nach 9 Jahren und ist dank ausgeklügelter Online-Features weiterhin hip

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Die MIR ist im Pazifik versenkt, Leningrad heißt schon seit einer Weile St. Petersburg, die sozialistische Staatenwelt hat vor 10 Jahren das Zeitliche gesegnet. Hier und dort werden zwar noch Relikte aus dieser Zeit rumgereicht, doch so richtig interessiert sich niemand mehr für den Kitsch und Kram ex-sowjetischer Provenienz. Mit einer Ausnahme: Die Kleinbildkamera "Lomo Kompakt" hat es rund 500.000 Menschen auf der ganzen Welt angetan. Was beim Knipsen mit der "Kleinen Schwarzen" rauskommt, sind nicht Fotografien, sondern Lomographien. Diese Wortschöpfung ist nicht nur eine Reminiszenz an das Gerät, sondern weist auf eine stilistische Dissidenz hin. Mit ein Grund für den anhaltenden Boom sind die orignellen Online-Services auf lomo.com

Die Lomo Kompakt

Runterknien, eine Auge zukneifen, das andere an den Sucher pressen, ist unter Lomographen verpönt. Ihr Credo ist der Schnappschuss - und zwar in Reinkultur. Verwackelte, über- und unterbelichtete Bilder sind das Markenzeichen einer Kunstbewegung, die vor neuen Jahren in Österreich entstanden ist. Drei österreichische Studenten stießen in Leningrad auf eine unscheinbare Kamera namens "Lomo Kompakt", die in den dortigen optisch-mechanischen Werken hergestellt wurde. Von den ersten Gehversuchen mit dem damals rund 10 Mark billigen Kästchen begeistert, wollten manch einer unbedingt auch mit einer Lomo rumknipsen. Inzwischen sind es nach Angaben der Lomographischen Gesellschaft in Wien eine halbe Million Menschen, die es nicht lassen können, aus der Hüfte Bilder zu schießen. Einen ersten Boom erlebte die Lomographie in den Jahren 1995 und 96. Allerlei Prominenz "outete" sich damals als Lomo-Schnappschütze. Boris Becker, ex-Talking Head David Byrne und - wie könnte es anders sein - die finnischen Schräg-Rocker Leningrad Cowboys, hielten es für angebracht mit der "Kleinen Schwarzen" zu posieren.

Für die Verbreitung sorgten aber nicht die großen Namen, sondern der Bewegungscharakter der Lomographie. Nach dem Schneeballprinzip entstanden von Österreich ausgehend in den meisten europäischen Ländern sogenannte Lomo-Botschaften. Diese selbst ernannten "offiziellen Vertretungen" organisierten Happenings und Ausstellungen, bei denen die Lomographie einem breiteren Publikum vorgestellt wurde. Das "Hauptquartier" in Wien sorgt für den Nachschub mit den Kameras. 1994 sollte die Herstellung der "Lomo Kompakt" eingestellt werden, da der Konzern auf lukrativere Geschäftszweige im Bereiche der Militärtechnologie setzte. Das Bedürfnis nach der Low-Tech Kamera war jedoch so groß, dass die Lomographische Gesellschaft in Wien, um für genügend Absatz zu garantieren, kurzerhand die Exklusivrechte übernahm.

Lomographie des Centre Pompidou

Seitdem die Lomo in Westeuropa angelangt ist, werden die Bilder auch elektronisch verbreitet. Ein Klick in eine Suchmaschine genügt, um die zahlreichen, z.T. bereits vor Jahren erstellten Online-Ausstellungen anzugucken. Nun hat die Lomographische Gesellschaft eine Online-Offensive unternommen und die Hemmschwelle, um Lomographien ins Netz zu stellen, erheblich gesenkt. Auf lomo.com ist inzwischen ein umfassendes Angebot an Online-Features zu finden. Für Amira Bibawy, Sprecherin der Lomographischen Gesellschaft, ist diese Entwicklung eine klare Folge des Lomo-Booms:

"Früher war es möglich, Kontakt zu den LomographInnen über den Postweg und auf Veranstaltungen zu erhalten. Mit der steigenden Community wurde auch eine andere Kommunikationsplattform notwendig. Unsere Leute verwenden zwar analoge Kameras, sind aber viel im Internet unterwegs. Das LomoLab ist also der logische Service, der sich für uns aus dieser Verbindung ergab."

Neben Hinweisen auf Veranstaltungen, Online-Shopping von Lomo-Produkten wie etwa das Mini-Nachtsichtgerät ELF, stechen vor allem die Dienstleistungen des LomoLab hervor. Musste man bislang seine Lomo Filme in irgendeinem Fachgeschäft entwickeln lassen, was oft zu Disputen über die aus Sicht der Fachleute mangelhafte Qualität der Abzüge führte, so steht nun ein Lomo-eigenes Labor zur Verfügung. Die durchgeknipsten Filme in den dafür vorgesehenen Versandbeutel - und ab die Post. Für rund 20 Mark erhält man, neben den Papierabzügen im lomotypischen 7 x 10 cm Format, eine CD mit sämtlichen Bildern als DTP-fähige JPEGs. Damit ist aber noch nicht genug: Bereits vor der Offline-Lieferung der Bilder durch den Postboten, erreicht einen per E-Mail ein Link zu einer passwortgeschützten Website, wo die eigenen Bilder ausgestellt sind. Innert weniger Minuten und mit zwei oder drei Mausklicks kann man von dort aus eine Homepage erstellen und eine Auswahl der Bilder im weltweiten Netz präsentieren. (Homepage des Autors) Genutzt wird das Angebot, gemessen an der halben Million LomographInnen, allerdings noch eher spärlich.

Lomographie, Paris

Obwohl alte Lomo-Hasen der ersten Generation den Online-Angeboten mit einiger Skepsis begegnen, sei dies kein Hinderungsgrund für die weitere Expansion in virtuelle Welten, meint Amira Bibawy. "Wir haben schon von Anfang an eine klare Position vertreten, die Kulturfundamentalismus bei Lomo keinen Platz einräumt! Jene, die kommerzielle Aktivitäten im Kulturbereich kritisierten, haben sich schon 1995 verabschiedet", hält die Sprecherin der Lomographischen Gesellschaft gegenüber Telepolis klar fest. Anlass für die Trennung der Lomo-Fundamentalisten war damals das Ansteigen der Kamerapreise aufgrund von Produktionsproblemen in Russland.

Dass sich die Geister an der Schnappschießerei und dem ganzen Drumunddran scheiden, lässt sich nicht nur am Beispiel der Kommerzialisierung feststellen. Aus professioneller Warte genügen die meisten der Lomo-Bilder den Minimalstandards der klassischen Fotolehre in keiner Weise. Deshalb sei die Haltung von professionellen FotografInnen mit "love or hate" zu beschreiben, so Amira Bibawy, und meint weiter, "manche von ihnen haben die Lomographie für ihre Freizeit oder beruflichen Einsatz entdeckt, oder haben sogar bei Lomo-Projekten mitgemacht. Andere wiederum glauben, sich intensiv davon distanzieren zu müssen." Trotz dieser Ablehnung bei Teilen der Profifraktion, hat die Lomographie weit über den Kreis der Anwender hinaus Verbreitung gefunden. Etwa in der Ästhetik der Werbefotografie der 90er Jahre. Oder wie sich Amira Bibawy ausdrückt, "inzwischen wird Lomodesign und die abgeschnittene und verwackelte Lomobildsprache mit einem eigenständigen künstlerischen Profil wahrgenommen."