Uran in den Tank?
Der Nuklearindustrie verpflichtete Politiker instrumentalisieren den russischen Ölstreit um Stimmung gegen den Atomausstieg zu machen
Die Pipeline Druschba (Freundschaft) macht ihrem Namen zur Zeit keine Ehre und sorgt auch hierzulande für kontroverse Diskussionen über die Versorgungssicherheit mit Energie. Im Kielwasser des Streits um höhere Öl-Preise für Weißrussland positionieren sich die Lobbyisten und stellen die Abkehr von der Atomkraft erneut in Frage. Selbst die EU-Kommission befürwortet in ihrem aktuellen Energiebericht eine stärkere Rolle der Atomkraft.
Soviel Aktivismus pro Atom, ohne vorhandenen Versorgungsengpass, gibt zu denken. Denn es besteht kurzfristig kein Grund zu der Sorge, das Öl könnte knapp werden. Per Gesetz ist eine Reserve von 90 Tagen vorgeschrieben, zur Zeit reicht sie für 123 Tage und die Pipeline lieferte nur 20% des Öls für Deutschland. Unter Einbeziehung der Reserven wäre die Versorgung auch bei weiterer Blockade der Pipeline für 20 Monate auf gleichem Niveau gesichert. Entsprechend gelassen reagierten die Börsianer gestern, der Ölpreis sank am Dienstagnachmittag sogar auf 51,40 Euro.
Außerdem hat Rußland nie, auch in Zeiten des Kalten Krieges nicht, ernsthaft damit gedroht, die Gas- oder Ölversorgung einzustellen. Das Land braucht das Geld, das die EU-Staaten bezahlen. Nicht vergessen sollte man überdies, dass Westeuropa höhere Preise zahlt als Länder wie Weißrussland oder die Ukraine. Auf seine wichtigste Einnahmequelle kann Russland nicht verzichten und würde seinen Ölexport eher durch Verlagerung auf den Seeweg sichern. Tanker-Kapazitäten sind genug vorhanden, da die OPEC gerade eine Einschränkung ihrer Fördermenge beschlossen hat. Im Nachhinein scheint der Streit auch der Politik des Altkanzlers Schröder Recht zu geben, denn es kann auch als Argument für die Ostseepipeline gesehen werden, dass Weißrussland den Hahn zugedreht hat. Auch der Bau des Flüssiggasterminals in Wilhelmshafen scheint sehr berechtigt zu sein.
Deutschland importiert jährlich rund 100 Millionen Tonnen Erdöl. Davon kommen rund 40 Millionen Tonnen aus Russland, wobei 20 Millionen Tonnen über die Pipeline und 20 Millionen Tonnen über den Seeweg geliefert werden. Deshalb ist es in jedem Fall Zeit, über eine Diversifizierung der Versorgungswege, der Lieferanten und der Lieferstaaten nachzudenken. Denn genauso, wie gerne von Gegnern der Erneuerbaren Energien angeführt wird, dass Windstrom nur dann fließt, wenn ein Lüftchen weht, zeigt sich aktuell, wie abhängig auch konventionelle Energieträger nicht nur von Naturereignissen wie dem Wirbelsturm Katrina und technischem Versagen wie im Atommeiler Forsmark sein können. Sie sind schlicht auch von der Willkür despotischer Regime abhängig, sei es im ehemaligen Sowjetreich, sei es im Nahen Osten. Bei der gegenwärtigen Politik im Land ist aber noch eine weitere Abhängigkeit von Rußland zu befürchten.
Dennoch bietet auch dies keinen sachlichen Anlass, wieder über eine Revision des Atomausstiegs diskutieren. Denn die Atomenergie liefert Strom, das Öl spielt aber in der Stromproduktion hierzulande keine wesentliche Rolle. Überhaupt trägt die Kernenergie zum Energiemix in Deutschland mit 12,5% nur halb soviel bei, wie die viel geschmähte Kohle. Auch im europäischen Ausland verliert die Kernkraft an Gewicht. Zwei Drittel der EU-Mitgliedsstaaten, 17 von 27, haben einen Verzicht auf Atomkraftwerke verfügt oder nutzen die Kernenergie gar nicht. Die Vorliebe einiger hiesiger Politiker für die Atomkraft scheint also eher mit persönlichen Verflechtungen und vielleicht auch mit einem Hang zu einer monopol- und konzernfreundlichen Einstellung zu liegen.
CSU-Chef Edmund Stoiber befand:
Wir müssen allerdings erneut, trotz Widerstand auf seiten der SPD, diskutieren, ob es angesichts der Energiesituation und unserer Abhängigkeit zu vertreten ist aus den sichersten Kernkraftwerken im Laufe der nächsten Jahre auszusteigen.
Hermann Scheer, SPD-Energieexperte entgegnete:
Also das ist ja nun kein Argument, dass man die beste Technologie hat. Wir haben auch die beste Technologie bei erneuerbaren Energien. Warum will man da, wo man eine gute Technologie hat, obwohl diese Technologie massive Risiken in sich trägt, warum will man da unbedingt weitermachen, da, wo man eine hervorragende Technologie hat, die keine Risiken mit sich bringt, die dauerhaft verfügbar ist, wo es keine Abfälle gibt, warum will man die dann bremsen? Hier sind doch ganz eindeutig doppelte Maßstäbe im Spiel...
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erwiderte auf Äußerungen von Angela Merkel, man müsse „auch überlegen, was für Folgen hat es, wenn wir Kernkraftwerke abschalten".:
Das ist so eine Art Pawlowscher Reflex, ich weiß ja nicht, was die Frau Merkel sich konkret vorstellt, ob die denkt demnächst packen wir dann ein Päckchen Uran in den Tank ihres Dienstwagens.
Auch die EU-Kommission ließ ihre Neutralität fahren und warnt in ihrem aktuellen Energiebericht vor einer Abkehr von der Atomenergie, da sie im Kampf gegen die Klimakatastrophe notwendig und außerdem die preiswerteste Form der Stromerzeugung sei. Bei einem Ausstieg aus der Atomenergie würde die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern dramatisch steigen. Selbst wenn der gegenwärtige Energiemix - also ohne Atomausstieg - beibehalten würde, müssten 2030 bis zu 93 Prozent des Gas- und Ölbedarfs importiert werden - eine Steigerung um rund 40 Prozent. Es sei nicht klar, woher und wie diese benötigten Mengen nach Europa gelangen könnten.
Soviel Ziel- und Konzeptlosigkeit ist erschütternd. Denn mit anderen Worten heißt das, dass die EU-Technikraten der Industrie auch weiterhin keine klaren Zielvorgaben geben wollen. Etwa zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs, der immerhin ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs ausmacht. Warum darf er immer noch bei durchschnittlich 8,5 Liter pro 100 Kilometer liegen? Warum ist der EU-Gebäudepass auch vier Jahre nach seiner Verabschiedung noch nicht EU-weit eingeführt? Wo doch allein für die Gebäudebeheizung ein weiteres Drittel der gesamten Energie verpufft und allein in der Altbausanierung Einspareffekte mindestens um den Faktor 4 zu erzielen wären?
Umweltminister Gabriel widerlegt auch die Behauptung von der „Stromlücke“. Die 7.500 Megawatt Atomstrom, die bis 2020 vom Netz gehen, würden bei weitem aufgewogen von den in Planung befindlichen 17.500 Megawatt neuer fossiler Kraftwerke und 13-19.000 Megawatt aus Erneuerbaren Energien. Überhaupt:
Atomstrom ist, wie der Name schon sagt, Stromversorgung, und das Öl brauchen wir in der Regel um Benzin oder Diesel herzustellen und insofern hat das miteinander nichts zu tun. Die Atomenergie hilft uns sicher nicht, Öl zu ersetzen, sondern das richtige Argument ist, dass wir erneuerbare Energien ausbauen müssen, Biokraftstoffe, damit wir unabhängiger vom Öl und vom Gas werden. Das ist gut für die Verbraucher und die Unabhängigkeit.
Sigmar Gabriel