Urin – ein wertvoller Rohstoff, wenn Düngemittel knapp sind

Noch hat Urin ein Imageproblem. Die Verwertung erfordert sowohl bauliche als auch mentale Veränderungen. Symbolbild: Alexas_Fotos auf Pixabay (Public Domain)

Bis vor kurzem war er nur eine eklige menschliche Ausscheidung. Inzwischen schätzen Wissenschaftler ihn als Dünger. Doch um Urin landwirtschaftlich zu nutzen, braucht es nicht nur technisches Know-how. Nötig ist vor allem ein Umdenken.

Auf der schwedischen Insel Gotland ist Süßwasser knapp. Die Abwässer aus der Landwirtschaft verursachen schädliche Algenblüten. Die Algen töten Fische und machen Menschen krank. Dieses Problem wollen Wissenschaftler der Universität für Agrarwissenschaften in Uppsala nun lösen. Das Team um den Umweltingenieur Björn Vinnerås entwickelte ein Verfahren, mit dessen Hilfe Urin zu einer Art festem, betonähnlichem Harnstoff trocknet, der anschließend zu Pulver zermahlen und zu Düngemittelpellets gepresst wird.

Mit diesem Urin-Dünger düngt ein einheimischer Landwirt sein Gerstenfeld. Aus der Gerste wird von einer lokalen Brauerei Bier gebraut, das wiederum über Trenntoiletten ausgeschieden und in den Dünger-Kreislauf zurückgeführt wird. In Zusammenarbeit mit einem lokalen Unternehmen, das mobile Toiletten vermietet, wurden auf diese Weise während der dreimonatigen Urlaubssaison mehr als 70.000 Liter Urin aus wasserlosen Urinalen und Spezialtoiletten gesammelt.

Zudem wird eine Toilette mit integriertem Trockner in der Zentrale des schwedischen Wasser- und Abwasserversorgers in Malmö getestet. Das Pilotprojekt dient als praxistaugliche Vorlage und soll im großen Stil auch in anderen Weltregionen nachgeahmt werden, erklärt Prithvi Simha, Ingenieur an der SLU und Chief Technology Officer bei Sanitation360.

Die Verwendung von abgetrenntem Urin als Düngemittel gilt als äußerst energieeffizient. Sie ersetzt nicht nur chemische Düngemittel, sondern reduziert auch die überschüssigen Mengen an Phosphor und Stickstoff, die in die Kläranlagen gespült werden. Bestehend zu 95 Prozent aus Wasser, sind nur die restlichen fünf Prozent interessant als landwirtschaftlicher Dünger: Doch diese enthalten Kalium-, Natrium- und Chlorid-Ionen sowie Harnstoff, Kreatin und Harnsäure.

Täglich bis zu 166 Millionen Liter in Deutschland

Ein gesunder Mensch scheidet täglich 1,2 bis 2 Liter Urin aus, wobei die Zusammensetzung variiert. Bei 83 Millionen Einwohnern kommen allein in Deutschland täglich bis zu 166 Millionen Liter Urin zusammen.

Menschen könnten genügend Urin produzieren, um rund ein Viertel der derzeitigen Stickstoff- und Phosphordünger weltweit zu ersetzen, erklärt Prithvi Simha in einem in Nature veröffentlichten Artikel vom Februar diesen Jahres.

Wichtige Pflanzennährstoffe sind nicht nur im Urin enthalten, auch Fäkalien enthalten Vitamine und Mineralien. Finanziell gesehen wird mit menschlichen Ausscheidungen eine Menge Geld in die Kanalisation gespült. Wissenschaftler schätzen enthaltenen Pflanzennährstoffe auf 13,6 Milliarden Dollar.

Durch die Nutzung von Urin-Dünger wird nicht nur Wasser eingespart, auch die Abwassersysteme werden entlastet. Unterm Strich dient es auch dem Klimaschutz: Umweltingenieure der Universität in Michigan kamen zu dem Ergebnis, dass über Urin-Recycling im Vergleich zu konventionellen Abwassersystemen bis zu 47 Prozent Treibhausgase sowie rund 40 Prozent Energie eingespart werden. Zudem wird die Nährstoffbelastung im Abwasser um bis zu 64 Prozent reduziert.

Allerdings gibt es einen entscheidenden Nachteil: Urin enthält Enzyme neben organischen Substanzen auch Schwermetalle, Hormone sowie Rückstände von Medikamenten. Diese Stoffe können über das Grundwasser und somit in die Nahrungskette gelangen. Um dieses Problem zu lösen, besteht einiger Forschungsbedarf.

So experimentierten Wissenschaftler kürzlich mit einer mikrobiellen Zweikammer-Brennstoffzelle (MFC) mit dem Ziel, Pharmazeutika im Urin abzubauen. Dafür wurde der Urin mit vier Arzneimitteln versetzt. Die Studie eröffne eine neue Perspektive für den anoxischen biologischen Abbau von Arzneimitteln, schreiben die Autoren. Weitere Studien sind nötig.

Urin wird traditionell vielfältig genutzt

Aufgrund seiner wertvollen Inhaltsstoffe wurde Urin bereits vor mehr als hundert Jahren zum Gerben von Leder, Wäschewaschen und zur Herstellung von Schießpulver verwendet. Erst als gegen Ende des 19. Jahrhunderts in England eine zentrale Abwasserentsorgung eingeführt wurde, war die allseitige Verwendung von Urin plötzlich "tabu". Seitdem werden Urin und Fäkalien über Wassertoiletten in die Kanalisation gespült, wo sie sich mit anderen Flüssigkeiten aus Haushalten und Industrie oder mit Regenwasser vermischen.

In zentralen Kläranlagen werden die Abwässer in einem energieintensiven Prozess mit Hilfe von Mikroben gereinigt. Dennoch kann das Abwasser nach dieser Reinigung noch eine Menge Stickstoff und andere Stoffe enthalten. Schätzungsweise sechs Millionen Tonnen Stickstoff stammen in Küstennähe aus menschlichen bzw. industriellen Abwässern.

Seit Beginn der 1990er-Jahre drängen insbesondere schwedische Experten auf einen grundsätzlichen Wandel in punkto Abwasserbehandlung. Nun ziehen Wissenschaftler aus anderen Regionen nach: Im Rahmen einer Studie verglich das Team um Nancy Love von der Universität von Michigan in drei US-Bundesstaaten herkömmliche Abwassermanagementsysteme, die Urin recyceln und die zurückgewonnenen Nährstoffe als Ersatz für synthetische Düngemittel verwenden.

Ergebnis: Gemeinden, die das moderne System anwenden, könnten über Urinabscheidung ihre Treibhausgasemissionen um fast die Hälfte senken. Der Energieverbrauch könnte um bis zu 40 Prozent, der Verbrauch von Süßwasser etwa um die Hälfte, die Belastung durch nährstoffreiches Abwasser um bis zu 64 Prozent gesenkt werden.

Ob in den USA, in Australien, der Schweiz, Äthiopien und Südafrika, in Flüchtlingslagern oder in Stadtzentren, weltweit wird mittlerweile an vielen Orten Urin vom übrigen Abwasser getrennt und zu Dünger recycelt. So werden etwa in Büros in Oregon und den Niederlanden wasserlose Urinale an die Kläranlagen im Keller angeschlossen.

In Paris wurden Trenntoiletten aufgestellt. Sogar die Europäische Weltraumorganisation ESA will aktuell 80 Trenntoiletten in Betrieb nehmen. Dennoch: Insgesamt gesehen geht der Bau von Trenntoiletten nur langsam voran. Zu muffig, zu unhandlich, zu unzuverlässig – die Modelle, die seit den 1990er-Jahren in Europa auf den Markt kamen, haben sich bisher nicht durchgesetzt. Zudem fehlt es an adäquaten Regelungen und Vorschriften, kritisiert Umweltingenieur Kevin Orner, der an der Universität von West Virginia in Morgantown arbeitet.