Urteile in beschleunigten Verfahren: Mehr Tempo um jeden Preis?

Seite 2: Einordnung – was ist das Problem am beschleunigten Verfahren?

Zunächst einmal dürfte die Verurteilung eines Angeklagten zu einem Jahr Freiheitsstrafe, ohne ihm ausreichend Gelegenheit zur Organisation seiner Verteidigung zu geben, wie bereits angemerkt, gegen Art. 6 Abs. 3 MRK verstoßen. Sogar das Zurechtlegen einer eigenen Verteidigungsstrategie kann in so kurzer Zeit kaum gelingen.

Nicht selten stehen die Beschuldigten so kurz nach der Tat ohnehin noch unter Schock und können das Geschehene noch nicht richtig reflektieren. Unüberlegte Reaktionen des Beschuldigten, die Folge dieser unbefriedigenden Ausgangslage sein können, sind jedoch zum Teil sogar erwünscht.

Denn fehlt dem Angeklagten der Überblick über die Situation und konnte er sich noch nicht mit den ihm entgegengebrachten Vorwürfen auseinandersetzen, ist es leichter, ihn zu verunsichern und zu überwältigen. Er macht Fehler, und das beschleunigt seine Verurteilung.

Das steht dem in der MRK verankerten Recht, sich besonnen und ruhig auf ein Verfahren vorbereiten und dafür in angemessenem Umfang Hilfe in Anspruch nehmen zu können, ganz klar entgegen. Damit der Beschuldigte ausreichend Zeit hat, seine Verteidigung vorzubereiten, wie es Art. 6 MRK gebietet, soll ein kurzes Verfahren vielmehr vermieden werden.

Gerade bei Straftaten, die die Gemüter insgesamt erhitzen, die viele Menschen bewegen, bedarf es einer ausgeglichenen und rationalen Prozesssituation mit einer ruhigen Ausgangslage. Das übereilte Verurteilen des Angeklagten kann sogar zu einem "Mehr" an Strafe führen, als sie bei einem gestreckten Prozess verhängt worden wäre, was wiederum nicht im Interesse des Rechtsstaats liegen dürfte.

Das beschleunigte Verfahren klingt also nach hastigen, übereilten Entscheidungen, bei denen die Sorgfalt auf der Strecke bleibt? Nun, so muss es nicht sein. Die kurze Zeitspanne, die den mit dem Prozess befassten Verteidigern und Staatsanwälten noch bleibt, veranlasst aber durchaus dazu, an der einen oder anderen Stelle weniger genau hinzusehen. Noch dazu, wenn man in dem Fall von vorneherein eine "klare Beweislage" oder einen "einfachen Sachverhalt" erkannt haben will.

Zweifel an Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens

Die Entscheidung für das beschleunigte Verfahren muss damit letztlich immer Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens mit sich bringen. Bereits die Tatsache, dass es als der Beschleunigung dienlich wahrgenommen wird, wenn der Kläger von einem Urteil überrollt werden kann, muss nachdenklich machen.

Das beschleunigte Verfahren zudem strukturell auf bestimmte Straftätergruppen anzuwenden, ist eine problematische Entwicklung. Es ist ein Versuch, einer aktivistischen Bewegung, die regelmäßig die Grenzen des Rechts überschreitet, mit "starker Hand" zu begegnen. Dabei wird suggeriert, die Taten der Mitglieder seien sich stets ähnlich, man könne sie "über einen Kamm scheren". Stein des Anstoßes sind hier zwei Punkte.

Zum einen ist Hintergrund der geplanten Anwendung beschleunigter Verfahren auf die Letzte Generation nicht unbedingt die Ähnlichkeit ihrer Taten, sondern mangelnde Ressourcen der Justiz. Das beschleunigte Verfahren kostet weniger Personal und Zeit.

Es wäre aber dem Rechtsstaat und seinen Grundsätzen (und letztlich allen Angeklagten) dienlicher, Wege zu finden, den regulären Strafprozess zu beschleunigen, anstatt elementare Verfahrensrechte der Beschuldigten wegzurationalisieren.

Außerdem geht man mit dieser Strategie, den Aktionen der Letzten Generation zu begegnen, erneut einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihren (symbolträchtigen, wenn auch rechtswidrigen) Taten aus dem Weg. Eine Bewegung, die sich für den grundrechtlich verankerten Klimaschutz (nach Artikel 20a GG) einsetzt, wird auf einen Zusammenschluss krimineller Störenfriede reduziert.

Die Herausforderung, sich mit einer wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung angesichts einer unzureichenden Klimapolitik auseinanderzusetzen, wird wieder gemieden. Natürlich ist diese Konfrontation nicht in erster Linie Aufgabe der Justiz, sondern der gewählten politischen Vertreter.

Dennoch ist diese prozessuale Umstrukturierung ein politisch toleriertes Signal, das in der Debatte, wie das unausweichliche Mehr an Klimaschutz durchsetzbar sein kann, keinesfalls hilfreich ist.

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