Vandana Shiva und die "Faktenfinder": Kann Gentechnik den Welthunger beenden?

Seite 2: Keine Beweise für mehr Suizide indischer Bauern?

Im Jahr 2014 ging das traurige Schicksal der Suizide indischer Bauern durch die Medien. Auch Vandana Shiva machte die Bt-Baumwolle und deren Saatguthersteller Monsanto für den Suizid zahlreicher Bauern verantwortlich. Faktenfinder Siggelkow behauptet hingegen, es gebe keine Beweise für die gestiegenen Selbstmordraten.

Sein Kollege Jürgen Osterhage beschrieb die Situation wie folgt: "Die Baumwollbauern (...) müssen jährlich teures, genverändertes Saatgut kaufen, viele verschulden sich massiv. Die Erträge sind aber nicht so hoch wie die der subventionierten Agro-Industrie in den USA und Europa. Die Weltmarktpreise reichen nicht zum Leben und zum Schuldenabbau schon gar nicht". Betroffene schildern ihm persönlich die "Dramatik der steigenden Selbstmordzahlen".

"Mehr als 270.000 indische Baumwollbauern haben sich seit 1995 das Leben genommen", schrieb auch die britische Zeitung The Guardian 2014 zu einer Foto-Strecke. Der hohe Preis für gentechnisch verändertes Saatgut erhöhe den Druck auf die schlecht bezahlten Landwirte und zwinge viele in einen Kreislauf unüberschaubarer Schulden. Weitere Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen Bt-Baumwolle und den Selbstmorden unter Indiens Bauern.

Konsequenterweise warnt die Aktivistin auch vor den Versprechen des Golden-Rice-Projekts. Der mit Provitamin-A angereicherte "Goldene Reis" soll verhindern, dass mangelernährte Kinder erblinden. Ob er diese Versprechen erfüllen kann, muss sich erst noch zeigen. Die Risiken seien nicht bekannt, warnen Umweltorganisationen. Überhaupt gebe es bessere Methoden, um Mangelernährung zu bekämpfen.

Bill Gates als "Feindbild"

Bill Gates sei eines der größten Feindbilder von Vandana Shiva, empört sich der Faktenchecker. Sie werfe ihm vor, dass er Teil einer Verschwörung sei und zu den reichsten ein Prozent der Menschen gehöre, die die "Wirtschaft mit falschem Essen zerstören will". Gates habe zudem die WHO unter Kontrolle. Dass er Teil von einer Art Verschwörung sei, hat Vandana Shiva nie behauptet. Allerdings zeigt sie in ihrem Buch "Eine Erde für Alle, wie tiefgreifend Gates und andere internationale Gremien staatliche Organisationen und politische Entscheidungsprozesse beeinflussen.

Sie macht deutlich, welche Gefahr vom globalen Agro-Business und das von Bill Gates und seiner Stiftung vorangetriebenem "Eine-Wissenschaft-Modell" für die gesunde Ernährung und der kleinbäuerliche Landwirtschaft ausgeht. Bill Gates investierte zunächst massiv in die Grüne Revolution, später in die Grüne Gentechnik, sein Einfluss hat in den letzten Jahren massiv zugenommen.

In einer Arte-Dokumentation recherchierten Journalisten, in welchem Rahmen die Gates-Stiftung die Gentechnik-Forschung in Afrika fördert und damit die Landwirschaft vor Ort beeinflusst. So wird in zehn afrikanischen Ländern geforscht, wie Maniok, ein Grundnahrungsmittel, derart gentechnisch verändert werden kann, dass die Pflanze resistent gegen Virenkrankheiten ist.

Das brachte dem Milliardär den Vorwurf des Philantrokapitalisten ein. Denn er bestimmt mit seinem Geld, wo die Reise in Landwirtschaft und Ernährung hingeht. Keine unabhänige Instanz kann seine Aktivitäten in Afrika stoppen. Dabei weiß niemand, ob die Gen-Pflanzen wirklich nützlich sind und wie sie sich auf die Biodiversität vor Ort auswirken.

Gesunde Skepsis ist also angebracht - damit liegt Vandana Shiva völlig richtig. Und was die WHO angeht - so wird diese zu 80 Prozent von privaten Geldgebern und Stiftungen finanziert. Größter Geldgeber ist die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung. Selbst der SWR findet es problematisch sei, wie Gates mit seinem Geld seine Vorstellung von Gesundheitsförderung durchsetzt.

Finanzgiganten spekulieren mit Lebensmitteln

Es sei Konsens in der Wissenschaft, dass grüne Gentechnik erstens kein höheres Risiko birgt als konventionelle Züchtung und zweitens auch nur eines vieler Rädchen in der Pflanzenzüchtung ist, allerdings eins mit sehr viel Potential für eine Landwirtschaft...", erklärt Pflanzengenetiker Jochen Kumlehn (s. oben) im letzten Teil des ARD-Artikels.

Diese Aussage ist falsch. Bis heute sind die Auswirkungen der Grünen Gentechnik auf das Ökosystem nicht hinreichend erforscht. Aus diesem Grund gilt in der EU das Vorsorgeprinzip und sind GVO strengsten Regelungen unterworfen. In Deutschland etwa ist seit dem Verbot des Mais MON810 (2009) und der Kartoffel Amflora (2013) der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen faktisch ausgeschlossen.

Grüne Gentechnik könne auch negative Entwicklungen begünstigen, räumt Christoph Gornott ein. In Agrarsystemen mit grüner Gentechnik leide häufig die Biodiversität. Um den Ertrag trotz veränderter Umweltbedingungen hochzuhalten, müssten immer wieder neue Sorten gezüchtet werden.

"Eigentlich müssten wir stärker auf widerstandsfähigere Systeme setzen, die in der Lage sind, auch mit Schädlingen und klimatische Veränderungen umzugehen", erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Anpassung in Agrarsystemen am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Damit stimmt er im Grundsatz mit Vandana Shiva überein.

Als Teil des Problems sieht die Öko-Aktivistin übrigens die Welthandelsorganisation. Lebensmittel seien hier nur eine Ware, erklärt sie in einem Interview. Gerade das vergangene Jahr habe gezeigt, dass die Preisexplosion um 87 Prozent auf finanziellen Interessen des Lebensmittelsystems beruht.

Früher waren es Monsanto, Cargill, Coke, Pepsi - heute spekulieren die Finanzgiganten wie Black Rock und die Wall Street mit Nahrung. Die Agrarkonzerne verkaufen ihr Gen-Saatgut und Pestizide an die Bauern und bereichern sich an deren Armut. So werden die Menschen immer weiter ausgebeutet.

Die Kleinbauern müssen die Kontrolle über das Saatgut wiedererlangen und auf ihren eigenen Feldern aussäen, ist sie überzeugt. Nur so können sie ihre Ernährung sichern. Dafür wird Vandana Shiva wohl bis zum Ende ihres Lebens kämpfen.