Verantwortlich für Chaos und Auflehnung

Al-Dschasira und Al-Arabiya dürfen nicht mehr über den irakischen Regierungrat berichten - Gut möglich, dass den beiden Sendern noch drastischere "Strafen" bevorstehen

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Der irakische Übergangsrat hat ein Verbot über die Sender Al-Dschasira und Al-Arabiya verhängt: Zwei Wochen dürfen ihre Reporter nicht über den Regierungsrat berichten und sind von allen relevanten Presskonferenzen und Versammlungen des Rats ausgeschlossen.

Der Regierungsrat, Bild: Al-Dschasira

Die Zwei-Wochen-Sperre ist eine Abmilderung der gestern angekündigten Maßnahme, die Büros der beiden Satellitenkanäle für einen Monat dichtzumachen und dessen Korrespondenten in dieser Zeit auszuweisen. Regierungsratsmitglied Mudhar Schawkat warf den Sendern vor, die religiöse Spaltung im Land zu fördern und das Volk gegen die Demokratisierung aufzuhetzen: "Sie zeigen Bilder von maskierten Männern und bezeichnen sie als Widerstand, obwohl es sich dabei um Kriminelle handelt."

Die Frage, die durch diesen Warnschuss erneut aufgeworfen wird, ist, wie stark die Entscheidungen des irakischen Regierungsrats vom Einfluss der Amerikaner geprägt sind. Ganz einfach ist dies nicht zu beantworten, da Al-Dschasira eine nicht untragische Position innehat, nämlich die, zwischen allen Stühlen zu stehen. Der Sender gerät ständig in Konflikt mit arabischen Staaten: Viele Länder, wie etwa Kuwait, Algerien, Bahrain und Saudi-Arabien boykottieren die in ihren Augen allzu freimütige Berichterstattung des katarischen Senders, der vor allem mit seinen populären hitzigen Debatten und Talk-Shows, bei denen "jeder sagen kann, was er will", für viel Wirbel in arabischen Regierungskreisen und in der breiten Öffentlichkeit gesorgt hat (Al-Dschasira und die Rache der älteren Schwester).

Logo von Al-Dschasira

Das Büro von Al-Dschasira in Kuwait wurde im November geschlossen. Aus dem Land gewiesen wurden Reporter in Jordanien und in Bahrein. Schwierigkeiten gab es schon vor Kriegsbeginn immer wieder mit dem Irak (vgl. Al-Dschasira und die Rache der älteren Schwester). Allerdings hatte sich Al-Dschasira auch bei den USA wiederholt unbeliebt gemacht, als der Sender während des Afghanistan-Krieges frei berichtete und Videos von Bin Ladin zeigte. Vizepräsident Cheney bezeichnete ihn damals als "Propagandaplattform". "Versehentlich" wurde dann das Büro in Kabul durch eine amerikanische Bombe zerstört. Auch während des Irak-Krieges wurde ein Hotel, in dem sich ausschließlich Mitarbeiter von Al-Dschasira aufhielten, "zufällig" beschossen (vgl. Hotel in Basra, in dem sich das Büro von al-Dschasira befindet, wurde beschossen) sowie das Büro des Sender in Bagdad bombardiert, wobei ein Mitarbeiter getötet wurde (Bombenzensur oder "Kollateralschaden"?). Seit 5. September sitzt der al-Dschasira-Reporter Taisir Aluni in Spanien in Haft; er wird beschuldigt, al-Qaida unterstützt zu haben (Reporter unter Verdacht).

Al-Dschasira war seit dem ersten Tag seiner Existenz ständig bedroht, und das obwohl der Sender wirklich Meinungsfreiheit, Demokratie und Pressefreiheit praktiziert, eben jene Prinzipien, die offiziell immer hochgehalten werden.

Jihad Balout, Pressesprecher von Al-Dschasira

So dürfte die jetzt verhängte die Sperre in der öffentlichen Meinung der arabischen und muslimischen Länder als Zensur aufgefasst werden, weil dort die Meinung vorherrscht, dass die Amerikaner zwar "freie Meinungsäußerung" propagieren, aber nur soweit es eigenen Interessen dient (vgl. USA vs. Demokratie "Arab Style"). Dazu kommt noch, dass ein neuer arabischer Fernsehkanal, gesponsert mit amerikanischen Geldern (der Kongress hat 30 Millionen Dollar bewilligt) geplant ist, der große Schwierigkeiten haben könnte, einen Platz auf dem vollen Markt zu finden, wenn nicht vorher ein wenig "Platz gemacht wird". Vor dem Hintergrund, dass u.a. Donald Rumsfeld seit Wochen lautstark Al-Dschasira als Sender bezichtigt, der mit der Ausstrahlung von Bin-Laden- oder Saddam Hussein-Bändern Sympathie für Terroristen propagiere, dürfte das Misstrauen der arabischen Öffentlichkeit gegenüber der Unabhängigkeit oder freien Entscheidungsgewalt des Regierungsrat bestärkt werden. Der Druck, den die amerikanische Administration wiederholt auf den Sender ausgeübt hat, um Bänder von Bin Laden zu zensieren, hat die Rhetorik von freier Meinungsäußerung in den Augen der Araber ohnehin schon recht zweifelhaft gemacht.

Al-Arabiya hat übrigens in den sechs Monaten seines Bestehens (vgl. Konkurrenz für Al-Dschasira) fast keinen Ärger gehabt und zeigt sich jetzt besonders überrascht, da man stets bemüht war, stiller und unkritischer als der Pionier Al-Dschasira zu arbeiten. Der Sender war aus dem Middle East Broadcasting Center hervorgegangen, das vor 11 Jahren von einem Schwager des saudischen Königs Fahd gegründet und mit reichlichen Mitteln ausgestattet wurde. Andere Financiers sind die libanesische Hariri-Gruppe sowie Geschäftsleute aus Kuwait und den Golf-Staaten.

Der zweiwöchige Bann soll eine Warnung sein, nicht nur an die beiden betroffenen Sender, sondern auch an andere Stationen, dass sie in Zukunft mit dem "Gift", das sie versprühen, vorsichtiger sein sollen. Man werde, so der Regierungsrat, keine Beiträge mehr dulden, die Gewalt und Chaos provozieren oder in irgendeiner Weise die früher herrschende Baath-Partei rehabilitieren. Auslöser für die Drohgebärde gegen die beiden Sender soll der Anschlag auf ein Mitglied des Rates, Akila al-Haschimi, gewesen sein, die am Wochenende von Unbekannten vor ihrem Haus niedergeschossen wurde. Al-Arabiya hatte Tage vorher Männer gezeigt, die gedroht hatten, den Regierungsrat zu attackieren.

Reporters without borders haben die Sperre als "klaren und unverfrorenen Angriff auf die Pressefreiheit" scharf verurteilt. Die englischsprachige Webseite von Al-Dschasira, seit etwa zwei Wochen wieder gut erreichbar, bietet eine Stellungnahme zu den Ereignissen.