Al-Dschasira und die Rache der älteren Schwester
Infowar zwischen Katar und Saudi-Arabien?
Der Emir von Katar, Hamad Ibn Chalifa al-Thani, seit 1995 an der Macht, verfolgt eine von erheblichen Selbstbewusstsein geprägte Politik. So hat er schon kurz nach seiner Machtübernahme die Aufhebung der internen Pressezensur verfügt, eine eher ungewöhnliche Praxis in arabischen Staaten. Das über die Landesgrenzen hinaus bedeutendste Resultat seiner Liberalisierung des Pressewesens ist der Sender Al-Dschasira (deutsch: Halbinsel), der sich seit seiner Gründung 1996 als eine Art arabischer CNN einen funkelnden Namen auch in der westlichen Hemisphäre verschafft hat. Doch der populäre Sender, der für al-Thani den "Dialog zwischen den Kulturen" ermöglichen sollte, gerät gerade bei den konservativen Bruderländern mehr und mehr in die Fänge einer traditionell restriktiven Medienpolitik.
Saudi-Arabien, die "ältere Schwester", wie der große Nachbarstaat vom katarischen Außenminister genannt wird, soll einen versteckten Krieg gegen al-Dschasira führen, meldetedie katarische Tageszeitung al-Raia vorgestern auf der Titelseite. Das streng islamische Königreich plane Einfluss und Präsenz des Senders vornehmlich in den Golfstaaten empfindlich einzudämmen. Die große Schwester wolle zu jeder Art von Druckausübung auf al-Dschasira ermutigen.
Saudische Unternehmen dürfen einer Entscheidung auf höchster Ebene folgend keine Werbeanzeigen bei dem Sender mehr schalten. Die entsprechenden ministerialen Würdenträger der angrenzenden Golfstaaten, politisch liiert im Gulf Cooperation Council, sollten sich diesem Werbeboykott anschließen und dabei helfen, die Werbeeinnahmen "auszutrocknen".
Wie al-Raia weiter ausführt, sei die Kampagne mit dem Ziel, al-Dschasira zu "zerstören", der Tatsache zu verdanken, dass der Sender ein avanciertes, sprich fortschrittliches Organ sei und manches Mal "bestimmte" lokale Tabus brechen würde.
Die Ausstrahlung einer TV-Serie über die saudische Königsfamilie auf al-Dschasira, in der einige Familienmitglieder sich nicht wiedererkennen wollten, hatte in diesem Sommer über Wochen für eine ernste Verstimmung zwischen den Nachbarländern gesorgt. Das saudische Königshaus hatte Berichten zufolge bereits in Erwägung gezogen, sämtliche diplomatische Beziehungen zum frechen kleinen Bruder auf Eis zu legen.
Kein Wunder also, dass in arabischen Medien kürzlich der Verdacht geäußert wurde, Saudi-Arabien stünde hinter dem Putsch gegen den katarischen Herrscher Hamad Ibn Chalifa al-Thani, der vor einem Monat, am 13.Oktober, mithilfe der in Katar stationierten US-Streitkräfte vereitelt werden konnte.
Auch mit der Informations- und Meinungsfreiheit im Internet steht es in Saudi-Arabien bekanntlich schlecht. Ausgiebig wird der Zugang zu unerwünschten Seiten blockiert und das Verhalten im Netz überwacht. Alle Internetverbindungen müssen nämlich über Proxys laufen, auf denen entsprechende Filter installiert wurden. Um dem zu entgehen, haben sich offenbar Angebote ausgebreitet, über Satellitenschüsseln Zugang zum Internet zu erhalten. Die waren überdies billiger und schneller. Das saudische Kabinett verbot Ende Oktober solche Verbindungen und drohte den Providern bei Missachtung mit scharfen Strafen. Überdies wurde die staatliche Telekommunikationsbehörde angewiesen, mehr Verbindungen für die Internetbenutzung bereitzustellen und die Gebühren für Provider und Kunden zu senken.
Beliebt ist der Sender freilich auch in anderen arabischen Ländern nicht. So wurde das Büro von al-Dschasira am 3. November in Kuwait geschlossen. Der Vorwurf: die Berichterstattung sei "nicht objektiv". Wie Reporter ohne Grenzen vermuten, könnte der Anlass ein Bericht am Tag zuvor gewesen sein, in dem behauptet wurde, dass ein Viertel der Fläche des Emirats wegen Übungen des amerikanischen und kuwaitischen Militärs abgeriegelt worden sei. Unklar ist, ob die Schließung nur vorübergehend ist oder dauerhaft sein soll. Der Generalsekretär der Reporter ohne Grenzen, Robert Menard, fordert das Ende des Verbots: "Die zahlreichen Verbote und Drohungen der arabischen Regierungen gegenüber dem Sender machen ihre unerschütterliche Solidarität deutlich, wenn es um das Einstehen für die Pressefreiheit geht. Besonders die Golfemirate misstrauen ihren eigenen Menschen, indem sie ihnen das Recht auf freie und ausbalancierte Nachrichten im Unterschied zur offiziellen Propaganda verweigern."
Aus dem Land gewiesen wurden al-Dschasira-Reporter in Jordanien und in Bahrein. Schwierigkeiten gab es auch mit dem Irak. Allerdings hatte sich al-Dschasira auch bei den USA unbeliebt gemacht, als der Sender während des Krieges aus Afghanistan frei berichtete und Videos von Bin Ladin zeigte (Sex, Religion und Politik). Vizepräsident Cheney bezeichnete ihn als "Propagandaplattform". "Versehentlich" wurde dann das Büro in Kabul durch eine amerikanische Bombe zerstört. Die US-Regierung übte auch weiterhin Druck auf Katar aus und versucht nun, mit einem eigenen Fernsehsender das Monopol zu brechen. Dagegen und gegen die Konkurrenz von CNN, BBC und Sky News will al-Dschasira antreten und ab nächstem Jahr erst einmal Nachrichten mit englischen Untertiteln unterlegen. Bei Erfolg soll das ganze Programm auf englisch ausgestrahlt werden, um zu einem globalen Sender zu werden. Trotz seines Erfolgs arbeitet al-Dschasira aber noch nicht gewinnbringend. Zuletzt hatte er Aufsehen erregt, als er das Video mit den Forderungen der tschetschenischen Geiselnehmer von Moskau sendete, nachdem diese das Theater besetzt hatten.