Verantwortungsbewusstsein in der virtuellen Realität

Wie kommt es dazu, dass wir uns selbst als Handelnde begreifen - und lässt sich unser Bewusstsein in dieser Frage austricksen?

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"Ich war das nicht" - Eltern kennen diesen Satz vermutlich gut. Auf einer bestimmten Ebene ist er immer richtig, jedenfalls wenn ein Kind ihn ausgesprochen hat: Der schuldbewusste Teil der Persönlichkeit, der gerade vor uns steht, ist sich ziemlich sicher, dass die gegen die Norm verstoßende Tat, die die Eltern gerade aufgedeckt haben, nicht von ihm ausgeführt wurde, sondern von einem anderen "Aspekt". Wer als Erwachsener immer noch so denkt, hat ein ernsthaftes Problem. Die eigene Handlungsmacht, der englische Begriff Agency trifft es eigentlich besser, ist ein in die Bewusstseinsstrukturen tief integriertes Konzept, das nur unter ganz besonderen Umständen außer Kraft gesetzt wird.

Ein solcher Kontrollverlust trifft uns tief, wenn er nicht mit Suchtmitteln geplant wurde oder durch emotionale Stresssituationen erklärbar ist. Folge sind dann Geständnisse wie "Ich weiß gar nicht, wie mir das passieren konnte", "Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe", "Ich erinnere mich nicht, das in diese Schublade gepackt zu haben". Sollten sich derartige Vorkommnisse öfter wiederholen (etwa bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung), ergreift uns eine beängstigende, schmerzhafte Unsicherheit.

Das liegt daran, dass unser Bewusstsein normalerweise gleich eine ganze Reihe von Hinweisen darüber sammelt, dass wir eine bestimmte Handlung selbst ausgeführt haben. Da ist zunächst die vorherige bewusste Entscheidung, gefolgt von der Beobachtung der Auswirkungen mit all unseren Sinnen. Während einer Handlung ist das Gehirn damit beschäftigt, die Bewegungen der Muskeln fortlaufend an die sich verändernden Verhältnisse anzupassen.

Ausschnitt aus dem Video: First Person Experience of Body Transfer in Virtual-Reality; Movie S1 von Slater M, Spanlang B, Sanchez-Vives M, Blanke O. Quelle: PLOS ONE; Lizenz: CC BY 2.5

Eine Handlung wird seltenst durch einen einzelnen Befehl ausgelöst; selbst wenn der Mensch beim Anblick eines über die Straße laufenden Mädchens instinktiv auf die Bremse tritt, ist dafür eine ganze Kaskade von Ereignissen im Gehirn zuständig, die ihre Spuren hinterlassen.

Hinzu kommen nicht nur die Folgen, sondern auch die offensichtlichen Gründe für die Handlung. Das erschrockene Kind kurz vor der Motorhaube überzeugt sofort, wer da die Bremse getreten hat. Und schließlich hilft auch noch unser gesunder Menschenverstand, der die physikalischen Grundlagen unserer Umwelt mit seinen Mitteln interpretiert - eine Faust landet nun einmal nicht von allein im Gesicht unseres Gegenüber.

Überraschend flexibles Körperkonzept unseres Bewusstseins

In den letzten Jahren hat sich allerdings gezeigt, dass das Körperkonzept unseres Bewusstsein überraschend flexibel ist. Es braucht lediglich ein paar sichtbare Streicheleinheiten, synchronisiert auf echtem und künstlichem Körperglied, um Probanden Gummiarme als eigene unterzujubeln.

Hat das künstliche Glied eine dunkle Oberfläche, schwinden dabei messbar die Vorurteile gegen andersfarbige Menschen, und der echte Arm kühlt in Richtung der Temperatur des Gummiarms ab. Wie nun Forscher im Fachmagazin PNAS zeigen, ist es nicht einmal notwendig, dass wir eine Handlung zuvor geplant haben, um diese als von uns selbst ausgeführt zu betrachten.

Ausschnitt aus dem oben angebenen Video; Lizenz: CC BY 2.5

Die Psychologen Domna Banakoua und Mel Slatera von der Universität Barcelona baten für diesen Nachweis Probanden in ein Virtual-Reality-Labor. Die Studienteilnehmer trugen ein VR-Headset und einen Ganzkörper-Anzug mit Bewegungssensoren. Im Versuch wurden ihnen nun virtuelle Körper eingespielt, die sich völlig oder (bei der Kontrollgruppe) teilsynchron zu ihnen bewegten.

Wer handelt, die Maschine oder ich?

Wenn die synchron agierenden virtuellen Personen nun Worte von sich gaben, ordneten sich die Probanden diese selbst zu, obwohl sie gar nichts gesagt hatten. Sie passten sogar die Höhe ihrer Stimme an, wenn sie anschließend eigene Sätze von sich gaben. Der Effekt verstärkte sich noch, wenn die Probanden spezielle Vibratoren auf dem Kehlkopf trugen, die immer dann vibrierten, wenn die virtuellen Personen etwas sagten.

Ausschnitt aus dem oben angebenen Video; Lizenz: CC BY 2.5

Das Thema, meinen die Forscher, hat mehr als nur psychologische Aspekte. Wenn der Mensch in Zukunft Teile seines Selbst in Maschinen wie etwa Roboter oder Drohnen auslagert, ist es durchaus von Wichtigkeit, ob und wie weit wir uns dabei selbst als Handelnde betrachten - und ein Bewusstsein für unsere Handlungen entwickeln oder diese den Maschinen zuschreiben.