Verbrannte Erde

Der "Krieg gegen die Drogen" in Kolumbien

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Sieben Jahre ist es her, seit Manuel da Silva - die Namen aller Beteiligten wurden zu ihrem Schutz geändert - die scharfe Paprika nach Putumayo gebracht hat. Gleich nachdem die kolumbianische Regierung auf Geheiß der USA Giftsprühaktionen auf Kokafelder begonnen hatten, sattelte der 50-Jährige um. Es war ein Risiko, denn bis dahin gab es noch keine Paprika in Putumayo und niemand wusste, ob die Pflanze gut wachsen würde. Doch die harte Arbeit lohnte sich. Da Silva suchte nach Partnern für den Vertrieb, überzeugte die Regierung, dass seine Ernte allen Sauberkeits- und Gesundheitsvorschriften entsprach und baute so Stück für Stück einen Betrieb auf, von dem nach einigen Jahren fünf Familien leben konnten. Er hat Verträge mit verschiedenen Firmen und ist einer der wenigen, die ihre Kinder auf die höhere Schule schicken können. Als die Armee die Kokafelder besprühte, gab er ihr die genauen Angaben, wo seine Felder liegen, damit sie vom Gift verschont bleiben. Die Soldaten sprühten exakt am Rand entlang. Rund herum wurden Kokafelder zerstört, da Silvas Ernte blieb unangetastet.

So schön kann Putumayo sein: ein Zuckerrohrfeld in der Nähe von La Hormiga

Im April diesen Jahres bekam er von der Regierung erneut die Bestätigung, dass seine Paprika ordnungsgemäß angebaut und verarbeitet wird und für den Handel geeignet ist. Im Juni kamen die Flugzeuge dann wieder. Und besprühten seine Felder. Genauso exakt, wie sie damals an seinem Feld vorbeisprühten, entluden sie das Gift direkt über seiner Ernte. "Sie wussten genau, dass es meine Paprikafelder sind, sie haben die Koordinaten und sie wissen, dass hier kein Koka wächst", sagt der Familienvater. "Meine Existenz ist vernichtet. Ich kann meine Verträge nicht mehr erfüllen, meine Arbeiter nicht mehr bezahlen, meine Tochter nicht mehr zur Schule schicken. Warum sie das machen? Woher soll ich das wissen?"

Da Silva ist nicht der einzige. Sandro Delgado, Sekretär des Bürgermeisters vom Nachbarort La Dorada berichtet: "Fast alle, die nicht Koka anbauen, sind genauso von den Ausräucherungsaktionen betroffen." Rund die Hälfte der Bauern in Putumayo baut kein Koka an. Doch selbst Felder von Bauern, die an Regierungsprogrammen zur freiwilligen Umstellung auf alternative Produkte teilnehmen, werden gnadenlos besprüht. Die Menschen sind verzweifelt. "Es hat keinen Sinn, irgendetwas anzufangen oder zu arbeiten. Es wird ja doch alles zerstört", beschreibt da Silva die Stimmung unter seinen Landsleuten.

Der "Krieg gegen Drogen", der seit dem 11. September 2001 Gesellschaft vom "Krieg gegen den Terror" bekommen hat, ist die Grundlage für umfangreiche Militärhilfe, die die Vereinigten Staaten der kolumbianischen Regierung gewährleistet, die so nach Israel und Ägypten drittgrößter Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe ist. Ziel ist die "totale Ausrottung des Koka-Anbaus" vor allem im Süden Kolumbiens. Neben militärischem Training und Waffenlieferungen ist dabei vor allem die Ausräucherung der Kokafelder fester Bestandteil des Pakets. Dabei wird tonnenweise "Roundup Ultra", ein hochgiftiges Gemisch aus Glyfosat, Polyoxyethylamine (POEA) und Cosmo Flux 411F des US-Chemiegiganten Monsanto über die Felder gesprüht. Innerhalb von Minuten verdörrt die Pflanze; es dauert Monate, bis wieder etwas wachsen kann.

Es sieht ganz sicher nicht nach Koka aus. Trotzdem fiel auch dieser Zuckerrohr dem Gift zum Opfer. Wie viele Millionen Monsanto mit dem Verkauf von "Roundup Ultra" verdient, ist nicht bekannt

Laut offiziellen Berichten wird die Giftmischung aus geringer Höhe nur über Kokafeldern abgeworfen, um andere Vegetation nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Sowohl Hersteller Monsanto als auch die US-Regierung bestehen darauf, dass keine gesundheitlichen Schäden von den Giftangriffen zu befürchten sind. Die genaue Zusammensetzung des Gebräus freilich wird geheim gehalten.

Anita Carosa kann darüber nur lachen. Sie ist Physiotherapeutin im Krankenhaus von La Hormiga, einem kleinen Ort in Putumayo, in dem fast täglich die Folgen der Ausräucherung zu beobachten sind. "Es wird wahllos über die Felder gesprüht, egal, was angebaut wird, egal, ob Menschen oder Tiere auf den Feldern sind." Die gesundheitlichen Folgen sieht Carosa täglich bei der Arbeit. Vor allem Kinder, die sich in der Nähe der Felder aufhielten, leiden unter Atemproblemen, Dermatitis, Krätze, Übelkeit. In vielen Fällen sind die Beschwerden mittlerweile chronisch. "Sechs von zehn Patienten kommen immer wieder", sagt Carosa. Auch, wenn es in Kolumbien bisher keine wissenschaftlichen Studien gibt1, "wir beobachten ganz einfach, dass wir vermehrt Schlaganfallpatienten und Kinder mit massiven Entwicklungsstörungen behandeln."

Tomaten und Früchte hat Ramirez hier angebaut. Innerhalb von Minuten war alles verbrannt und verätzt. Etwa eineinhalb bis zwei Jahre wird es dauern, bis wieder etwas wachsen wird

Besichtigung des Feldes von José Ramirez. Von allem ein bisschen hat der 70jährige auf dem kleinen Anwesen, das er bestellen darf, angebaut. Platano, Yucca, Papaya, Tomaten, Zwiebeln, ein paar Kräuter. Kein Koka. Es war gerade genug, um selbst davon zu leben. "Sehen Sie, das sieht man doch, dass das kein Koka ist."

Ramirez ist so hilflos wie alle anderen Bauern, deren Existenz zerstört wurde. Es nützt ihnen nichts, dass sie kein Koka anbauen, das Gift kommt willkürlich. "Die Leute geben auf," sagt da Silva, "sie wissen, es spielt ohnehin keine Rolle, was sie anbauen, es wird doch alles zerstört." Selbst, wenn eine neue Ernte kommt, ist sie oft unbrauchbar und ungenießbar. Ramirez erzählt: "Einmal kamen ein paar Gringos und versicherten, dass das Gift ungefährlich für zukünftige Ernten ist. Ich habe sie gefragt, ob sie denn unser Obst essen würden, nachdem sie es besprüht haben. Darauf habe ich dann keine Antwort erhalten." Wenn überhaupt, dann hat man am ehesten mit Koka noch eine Chance, zu überleben. Denn Koka ist die Pflanze, die sich am schnellsten vom Gift erholt.

Irgendwer verdient wohl Millionen mit dem Drogenhandel. Ramirez sicherlich nicht. Er lebt, wie die Mehrheit in Kolumbien, in bitterster Armut. Hier sein Haus. "Das hintere ist mein Badezimmer."

Eduardo Salazar spricht von einer "perversen Verbindung vom Anti-Drogenkrieg mit dem bewaffneten Konflikt", die die Bauern im Süden Kolumbiens in eine aussichtslose Situation gebracht hat. Salazar arbeitet für eine lokale Menschenrechtsorganisation in Caquetá, dem "Zentrum" des Koka-Anbaus. Auch er hat, wie so viele Kolumbianer, die versuchen, ihren Landsleuten zu helfen, schon Morddrohungen erhalten. Trotzdem macht er weiter. Denn die Situation verschlimmert sich mit jedem Jahr.

Über 1.700 Menschen flohen an einem einzigen Tag im April diesen Jahres, nachdem ihr Dorf Ziel einer militärischen Aktion "gegen die Drogen" wurde. Im Nachbarstaat Putumayo gibt es alleine in der Hauptstadt Mocoa mehr als 30.000 Vertriebene, die meisten flohen vor den Giftattacken. Nachdem die US-Regierung vor drei Jahren den universellen "Krieg gegen Terror" ausgerufen und damit militärische Einsätze mithilfe Uribes auch in Kolumbien weiter ausgebaut hat, ist jeder Staatsterror gegen die "Campesinos", die Bauern, legitimiert worden.

So jedenfalls erscheint es den Bauern und Vertriebenen, der Zivilbevölkerung Kolumbiens, die schon immer den Preis für den Konflikt gezahlt hat. Dabei sieht in öffentlichen Erklärungen der US- und der kolumbianischen Regierung alles noch ganz einfach aus: Baut einfach etwas anderes an und es gibt keine Sprühaktionen mehr auf Euren Feldern. Sogar staatliche Unterstützung bei der Umstellung auf "alternativen Anbau" wird versprochen.

Doch so einfach ist es nicht. Es sind schließlich nicht die Bauern, die am Drogenhandel verdienen. Nicht mehr als ein bis zwei Hektar gehören einem normalen "Cocalero", der Lohn für die erfolgreiche Ernte ist gering. Die FARC oder, in manchen Teilen, Angehörige der Paramilitärs machen dann das lukrativere Geschäft mit den US-amerikanischen Abnehmern (die dann natürlich den größten Gewinn verbuchen). Weigert sich ein Bauer, seine Felder für den Koka-Anbau zu nutzen oder stellt er seine Landwirtschaft auf alternative Produkte um, riskiert er das Leben seiner ganzen Familie. Doch es ist nicht nur die Angst vor möglichen Mordanschlägen und anderen Repressalien (sämtliche bewaffnete Gruppen in Kolumbien sind in dieser Hinsicht sehr kreativ), die die Bevölkerung zögern lässt...

Wie viele Bauern ist auch der 70jährige José Ramirez Opfer der willkürlichen Ausräucherungsaktionen geworden. Sein Obst und Gemüse ist völlig verdörrt. Wovon er jetzt leben soll, weiß er noch nicht

1996 begannen die großflächigen Sprühaktionen auf Felder der Kokabauern. Weder die lokalen Behörden, noch Umweltorganisationen, geschweige denn die Bevölkerung wurde vor den bevorstehenden Giftwolken gewarnt. Kurz darauf marschierten rund 150.000 Campesinos in die Hauptstädte Florencia und Mocoa der beiden Kokastaaten Caquetá und Putumayo. Sie forderten Entschädigung und Unterstützung der Regierung.

Unter dem öffentlichen Druck einigte sich die Regierung mit den aufgebrachten Bürgern auf einen Kompromiss: Gemeinsam mit den einzelnen Gemeinden würde ein Entwicklungsplan erstellt, in dem festgelegt werden sollte, welche Alternativen angebaut werden können und wie die Regierung dabei helfen wird. Weiterhin versprach die Regierung Unterstützung beim Ausbau der sozialen Infrastruktur, die in dieser Region mehr als dürftig ist. Vor allem sollte die Gesundheitsversorgung und die Bildung Aufschwung erhalten. Schließlich sollte eine Kommission die Durchführung dieser Projekte begleiten und ihre Ergebnisse kontrollieren.

Passiert ist seitdem nicht viel. Eduardo zuckt mit den Schultern: Der große "Plan Alternativa" bestand aus nicht viel mehr als geringen finanziellen Zuschüssen und überrascht war dann letztlich niemand, als "la politiquería" - die Korruption - das bisschen Geld verschlang. Regierungseigene Hilfsorganisationen sollten die Umstellung auf andere Produkte betreuen. Anstatt jedoch das Geld direkt zu verteilen, wurden die Bauern aufgefordert, die neuen Samen direkt bei den Organisationen beziehen. Zu überhöhten Preisen natürlich.

Selbst die, die erfolgreich Mais, Weizen und tropische Früchte anbauten, sahen sich schnell mit dem nächsten Problem konfrontiert. Teilweise sind die Gemeinden so entlegen, dass der nächste größere Markt eine dreitägige Flussreise entfernt ist. Handelt es sich um Früchte, ist die Ernte bei Ankunft meist schon verfault. An internationalen Handel ist da gar nicht zu denken. Zumal die Infrastruktur für die Kommerzialisierung der Landwirtschaft nicht einmal ansatzweise vorhanden ist. Es fehlt an Straßen, an weiterverarbeitenden Fabriken, an Märkten. Getreide hält sich zwar länger, doch auch hier sind die Bauern weit davon entfernt, wettbewerbsfähig zu werden.

Natürliche Schönheit: Miguel Hernandez setzt auf die Heliconia als Exportprodukt der Zukunft

Im Jahr 2000 produzierte Kolumbien rund 25.000 Tonnen Weizen, 1.000.000 Tonnen wurden importiert.2 Das Getreide stammt überwiegend aus den USA und Kanada, in denen die Landwirtschaft mit Milliardensubventionen unterstützt wird. Da können die kolumbianischen Bauern nicht mithalten. So wenig sie am Kokaanbau verdienen; es ist immer noch weitaus mehr als sie mit legalen Produkten erzielen können.

Andere Vorzeigeprojekte der Regierung halten auch einer näheren Betrachtung nicht

stand. Beispiel "Familias Guardabosque": Ein Projekt des "Plan Colombia", das von der Ribe-Regierung groß gepriesen wird. Ehemalige Cocaleros, die freiwillig ihre Kokapflanzen durch ursprüngliche Vegetation ersetzen, bekommen als Schützer des Waldes ("Guardabosques") alle zwei Monate ein Gehalt. Oder auch nicht. Miguel Hernandez erklärt das Kleingedruckte: "Versäumt ein Teilnehmer des Programms, an den vorgeschriebenen Workshops teilzunehmen oder verstößt gegen eine andere der vielen Regelungen, wird die Zahlung ausgesetzt. Doch selbst, wenn gezahlt wird, reicht das Geld nicht aus, um die Familie zu ernähren." Darüber hinaus ist das Programm bis 2006 angelegt; wovon die Familien danach leben sollen, ist völlig unklar. Angesichts solcher Probleme ist das Chaos, das sich am Tag der Auszahlung in Oritos einziger Bank abspielt - 150 Menschen versuchen, sich ihr Gehalt abzuholen - schon fast amüsant.

Hernandez selbst hat dieses Jahr mit dem Anbau tropischer Blumen begonnen und möchte sich damit wieder eine Existenz aufbauen. Die wunderschöne "Heliconia" gibt es in allen möglichen Farben und Formen. Hernandez glaubt, sie als Zierpflanze im größeren Stil vermarkten zu können. Konkurrenz gibt es zu dieser Pflanze, die im Süden Kolumbiens heimisch ist, keine. "Ich hoffe, sie ist so schön, dass nicht einmal das kolumbianische Militär sie zerstören will."