Verbraucherpolitik sucht Verbraucherforschung

Alle reden vom Verbraucher, alle betonen den Verbraucherschutz - aber wirklich verbraucherbezogene Grundlagen sind kaum da. Es sei denn, sie dienen zu Verkaufszwecken, denn für Marketing wird enorm viel Geld ausgegeben.

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Verbraucherinteressen werden von Verbraucherorganisationen vertreten, ähnlich ist das ja bei der Umwelt, dem Tierschutz, den Mietern, den Unternehmensbranchen und anderen Interessensfeldern. In der modernen arbeitsteiligen "Zivilgesellschaft" ist das so.

Vielen dieser Organisationen ist allerdings in der komplexer gewordenen und schnelllebigeren Zeit sowohl das Grundlagenwissen wie die politische Orientierung abhanden gekommen. Alle Ressourcen werden von der pragmatischen Arbeit aufgefressen, für die Beschäftigung mit den Grundlagen oder langfristigen Zielen bleibt keine Zeit. Immerhin haben die deutschen Verbraucherorganisationen dieses Defizit erkannt und zu einer Tagung "Verbraucherforschung in Deutschland" nach Berlin geladen.

Überlastung durch Delegation

Es ist ein europäisches Phänomen, nicht nur ein deutsches: Die Lage ist tatsächlich trist. Auf der einen Seite werden die Verbraucherthemen mehr und überaus komplex (Stichworte: Gentechnik, Neue Kommunikationstechnologien, Datenschutz, Finanzdienstleistungen, usw.). Statt zu klaren Regelungen zu kommen, setzt dabei die EU auf Co-Regulation. Das heißt, in immer mehr Bereichen sollen sich die Unternehmensverbände und die Verbraucherverbände die Marktspielregeln selbst ausmachen. Typisches Beispiel ist dafür die Normungsarbeit mit ihren an die zehntausend Normungsarbeitsgruppen.

Diese Vorgehensweise ist gemeingefährlich, da die Mittel dafür zwar bei den Unternehmen vorhanden sind, bei den Verbraucherverbänden aber überhaupt nicht - letztlich schaffen sich in vielen Bereichen die Unternehmen so die Spielregeln selbst.

Akademische Austrocknung

Auf der anderen Seite wurde im akademischen Bereich kräftig umgepflügt, verbraucherorientierte Arbeitsfelder verschwinden oder sind nur mehr mikrobisch da. Lucia Reisch präsentierte dazu eine aktuelle Studie. Professuren zu Verbraucherthemen werden aufgelöst oder umgewidmet. Damit fehlt der Verbraucherarbeit immer mehr - sieht man einmal vom Rechtsbereich ab - die wissenschaftliche Hintergrundunterstützung.

Zum dritten haben die (europäischen) Verbraucherverbände ein beachtliches Theoriedefizit. Das betrifft sowohl das Verbraucherverhalten (Stichwort: Was wollen die Verbraucher nun wirklich?), wie auch das institutionelle Selbstverständnis.

Gemeinschaftsaufgaben

Nun, die Tagung hat - bei Tagungen ist das der Regelfall - zu einem ersten Problemaufriss geführt, aber doch auch zu möglichen Lösungsgängen. Essenziell ist, dass die Verbraucherorganisationen von den Nationalstaaten, aber ebenso von der EU, nachhaltig Finanzmittel für die (Wiederbelebung der) Grundlagenarbeit an den Unis verlangen.

Aber auch die verbliebene scientific community ist mehr als bisher in die Pflicht zu nehmen: Sie sollen Wissen zuliefern, statt sich mit zerfallenden Individualfacetten darzustellen. Ärgerlich ist etwa an den mitteleuropäischen Universitäten, wenn man beispielsweise unter dem Begriff Institutionenökonomie die klassische Haushaltsökonomie, die es prägnant gerade an den deutschen Unis gibt (bzw. gab), neu erfindet - einfach weil man zuwenig über den eigenen Suppentellerrand hinaus geschaut hat.