Versagen die alternativen Medien zu Zeiten von Corona?

Auf vielen, vor allem deutschsprachigen alternativen Medienseiten ist eine große Hysterie ausgebrochen

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Ich will in diesem Artikel einer Sorge Ausdruck verleihen, die mich schon seit einigen Wochen begleitet: Bringen sich Teile der alternativen Medien in ihrer Behandlung der Corona Epidemie um ihre Glaubwürdigkeit? Etwas persönlicher formuliert: Viele Beiträge in den alternativen Medien haben mir in mancherlei Hinsicht die Augen geöffnet und zu neuen Denkanstößen verholfen. Ich habe vielen dieser Autoren auch ein gewisses Vertrauen entgegengebracht. Dieses Vertrauen droht jetzt verloren zu gehen und ist teilweise auch schon verloren gegangen.

Es ist für mich traurig zu sehen, wie sich manche Autoren in meiner Wahrnehmung um ihre Reputation bringen. Bei manchen Videos sehe ich schon gar nicht mehr hin; Texte lese ich zum Teil nicht mehr. Denn auf vielen, vor allem deutschsprachigen alternativen Medienseiten ist eine große Hysterie ausgebrochen.

Diese Hysterie geht von der Vorstellung aus, dass wir wie 1933 vor einer, wie auch immer gearteten, Machtergreifung stehen. Dass auf der Basis eines "Männerschnupfens" völlig ungerechtfertigt unsere Freiheitsrechte eingeschränkt werden und wir uns bald in einer "New World Order" wiederfinden, in der die bürgerlichen Rechte auf Dauer außer Kraft gesetzt sein werden. Einzelne Autoren gehen so weit zu fragen, ob nicht vielleicht in Kürze bewaffnete Drohnen oder auch einfache Polizisten hartnäckige Quarantäne-Verweigerer über den Haufen schießen werden oder ob Bürger, die sich nicht an die beschlossenen Einschränkungen halten, zukünftig in die Psychiatrie gesteckt werden.

Die Stimmung auf den Kommentarseiten dieser Medien ist zu diesem Thema noch polarisierter als zum Thema Klimakatastrophe. Der leiseste Zweifel am bevorstehenden Untergang unserer bürgerlichen Ordnung, der bevorstehenden Aufhebung der Freiheitsrechte und der Gefahrlosigkeit des Virus wird sofort mit persönlichen Angriffen und Beleidigungen bestraft. Florian Kirner, Mitbegründer des Online-Magazins Rubikon, konnte seinen kritischen und unbedingt empfehlenswerten Artikel im "eigenen Haus" nicht veröffentlichen und musste zu einer Alternative von der Alternative ausweichen.

Ich will meine Probleme mit vielen der veröffentlichten Artikel an einigen Beispielen deutlich machen. Einer der ersten Artikel, der bei mir große Fragezeichen hinterließ, war der Artikel von Peter König, den ich auf KenFM las. Er erschien zunächst am 29.02.2020 auf Global Research. Der Artikel ist überschrieben mit "Ein Akt der Bio-Kriegsführung?". Die Hauptaussagen des Artikels sind:

  • Das Virus könnte "in einem oder mehreren der zahlreichen US-Labors für biologische Kriegsführung vom Menschen hergestellt worden sein".
  • "Das Virus [befällt] anscheinend in hohem Maße ethnische Chinesen …, d.h. dass es speziell auf chinesische DNA abzielt."
  • Es könnte sich um "einen finsteren Plan einer westlichen Elite [handeln], die Chinas schnell wachsende Wirtschaft angreifen will, …".
  • Der Westen und hier vor allem Italien baue eine "Propagandadrama" auf es gehe um eine "ungeheure Angstmache" vor China.
  • Das alles diene der Vorbereitung eines "heißen Krieges" gegen China und man wolle China "bis zum ‚geringsten Widerstand‘" schwächen.

In dem Artikel werden zwar oft die Formulierungen "könnte" und "muss noch bestätigt werden" verwendet. Trotzdem hielt der Autor viele seiner Annahmen und seine Kausalketten, die ihn zu den Annahmen brachten, für höchstwahrscheinlich und manche seiner Leser wahrscheinlich auch. Die im Artikel geäußerten Annahmen sind vom heutigen Stand der Dinge aus betrachtet fern jeder Realität und waren es auch schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels. Aber an diesem Artikel kann man sehr schön sehen, wie man sich aufgrund scheinbar gut zusammenpassender Einzelereignisse (die aber am Ende höchstwahrscheinlich nichts miteinander zu tun haben) eine eigene Realität zusammenbasteln kann, die auch sehr stimmig zu sein scheint.

Niemand in den alternativen Medien muss sich darüber wundern, wenn ihm auf Grund solch kruder Theorien - deren Halbwertszeit nicht einmal einen Monat beträgt - das Etikett "Verschwörungstheoretiker" angehängt wird.

Der nächste Artikel, den ich hier aufführen möchte, ist "COVID 19 - Ein trojanisches Pferd, ein europäisches 9/11?" von Rüdiger Lenz. Erschienen ist der Artikel am 18. März ebenfalls auf KenFM. Die Hauptaussagen des Artikels sind:

  • "COVID 19 ist ein trojanisches Pferd und wahrscheinlich geht es dabei, wen wundert es noch, um globale finanzielle Interessen."
  • "Kein ernst zu nehmender Virologe wird jemals bestätigen, was die deutsche Regierung von sich gibt und wie sie COVID 19 einschätzt."
  • Weiterhin beschränkt sich der Artikel auf Verweise zu Youtube-Quellen, in denen hauptsächlich der zwischenzeitlich bekannte Dr. Wodarg und der unbekanntere Dr. med. Marc Fiddike zu Wort kommen.

Man kann von den Aussagen von Dr. Wodarg und Dr. Fiddike und anderen Kritikern (es sind ja zwischenzeitlich noch andere Experten hinzugekommen) zur Einschätzung der Gefährlichkeit von COVID 19 halten was man will, aber all diese Kritiker sind einzelne Stimmen in einem großen Chor von Wissenschaftlern und Experten, von denen offensichtlich nicht wenige zu anderen Ergebnissen kommen.

Denn wenn man sich die aktuelle Situation in den verschiedenen "Krisenregionen" dieser Welt ansieht, wie z.B. bestimmte Gebiete in Italien, Frankreich, Spanien den USA oder Lateinamerika, spricht doch einiges für deren Einschätzung und gegen die Einschätzung der Kritiker.1

Das soll nicht bedeuten, dass man die Aussagen von Dr. Wodarg und anderen völlig außer Acht lassen sollte, kann aber auch nicht bedeuten, dass nur sie die richtige Einschätzung zur Gefährlichkeit des Virus vertreten. Genau das ist aber die eigentliche Aussage des Artikels von Herrn Lenz. Für ihn sind die Aussagen von Dr. Wodarg quasi mit Gottes Wort gleichzusetzen und jeder, der eine andere Sicht auf die Gefährlichkeit des Virus hat, muss ein Häretiker und Ketzer sein - im besten Falle ist er ahnungslos. Und so denkt offensichtlich nicht nur er, sondern leider auch ein nicht geringer Anteil der Autoren mancher alternativen Medien.

Als letztes Beispiel möchte ich den Beitrag von Ken Jebsen anführen, der am 11. April 2020 auf KenFM veröffentlicht wurde. Es handelt sich hier um ein Video, in dem Herr Jebsen seine Einschätzung der aktuellen Lage in sehr dramatischer Form Ausdruck verleiht. Zur Einordnung dieses Beitrags möchte ich auch auf den sehr guten Kommentar der Foristin/des Foristen "affengureror" verweisen, der unterhalb des Beitrags von Herrn Jebsen im Forenbereich zu lesen ist. Hier einige Aussagen aus dem Beitrag von Herrn Jebsen:

  • "…Menschen die sich nicht an die Quarantänevorschriften, die sich nicht an die Ausgangssperre halten, dass man die in eine psychiatrische Klinik wegschließt unter Polizeigewalt und sie dort vielleicht wenn ein Impfstoff da ist, auch impft."
  • "In Bayern ist man dazu übergegangen Drohnen einzusetzen, um die Bevölkerung zu überwachen, ob die auch zuhause bleibt. Noch sind die Drohnen nicht bewaffnet, aber wer weiß was kommt. Möglich wär's, man weiß es nicht."
  • Den deutschen Polizisten stellt Herr Jebsen schon mal vorab die Frage, wie weit sie denn gehen würden, ob sie denn auch bereit wären, zu schießen, wenn sie den Befehl dazu erhielten
  • Zwar stellt er fest, dass die Studie aus Heinsberg noch nicht fertig sei, operiert aber nach dieser Aussage mit den Zahlen, als ob sie Realität wären.

Wie der Forist/die Foristin "affengureror" in seinem/ihrem Beitrag richtig bemerkt, findet hier Angst und Panikmache statt. Und das auf der Basis von zum Teil unwahren Behauptungen (denn die Bayern setzen keine Drohnen ein) oder unvollständig berichteten bzw. übertrieben dargestellten Pressemeldungen (wie die Durchsetzung der Quarantänevorschriften in Sachsen). Ich will hier Herrn Jebsen nicht bestreiten, dass er diese Angst und Panik vielleicht auch selbst empfindet, aber mit seriösem Journalismus hat das nichts zu tun.

Eventuell ist ja auch die neue Heroine des Widerstands, Rechtsanwältin Beate Bahner, in der Psychiatrie gelandet, weil sie sich in einer Filterblase aus eben solchen, Panik und Angst verbreitenden Medien befand und mit diesem "Gefühlscocktail" nicht mehr fertig wurde. Bei allem vermeintlichen Aufklärungswillen, sollten manche Autoren der alternativen Medien auch solche möglichen Wirkungen ihrer Aussagen bedenken.

Zum Abschluss möchte ich Florian Kirner zu Wort kommen lassen, dessen Aussagen ich teile und auch nicht besser formulieren könnte:

Man verzeihe mir nun diesen sehr langweiligen Hinweis: aber mir persönlich wird flau im Magen, wenn ich an die Möglichkeit denke, dass diese Einschätzung des Virus [durch den alternativen Mainstream] sich demnächst als grundfalsch herausgestellt haben sollte. Selbstverständlich bin ich nun nicht blind für die diversen Süppchen, die auch auf diesem Krisenherd gekocht werden. Wir leben im Katastrophenkapitalismus und die aktuell Herrschenden sind Virtuosen darin, jedes Desaster für eine weitere Verschiebung der Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu nutzen. Staatliche Übergriffe und fatale massenpsychologische Effekte der Corona-Krisenreaktion, die Machenschaften einzelner Akteure, der Pharma-Industrie, der Massenmedien und des Sicherheitsstaates zu attackieren - das ist nun ganz und gar nicht der Punkt, den ich kritisiere. Das ist vielmehr die Aufgabe jedes Journalisten […}. Das Problem ist, dass diese Kritik nicht stärker, sondern schwächer wird dadurch, dass sie aus einer Haltung heraus vorgenommen wird, die den Virus selbst zu einer Petitesse erklärt, […]

Was aber wenn Wodarg irrt? Dann steht der alternative Mainstream ziemlich blöd da, seine journalistische Glaubwürdigkeit wird vernichtet sein - und das wäre dann das geringste Problem gewesen. Wenn Wodarg und Co. nämlich irren und Covid-19 sich tatsächlich als weitaus gefährlicher als "eine normale Grippe" herausstellt, wenn Corona kein Fake und keine Hoax ist, sondern eine echte, globale, gesundheitliche Bedrohung - dann werden alle diese Medien, […], eine nicht mehr reinzuwaschende Schuld auf sich geladen haben.

Florian Kirner

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Jens Wernicke, der Gründer von Rubikon, wünscht eine "Gegendarstellung", die wir ihm natürlich einräumen:

"Ich nehme verwundert zur Kenntnis, dass Sie einen großen Auszug aus einem Artikel von Florian Kirner bringen, auf den unmittelbar eine Gegendarstellung gedruckt wurde – diese aber mit keinem Wort erwähnen. Das halte ich für unredlich – wie die Tatsache, Herrn Kirner fälschlicherweise als „Mitgründer“ des Rubikon zu betiteln, der er nie war. Das ist eine falsche Tatsachenbehauptung; ebenso wie die Behauptung im Ursprungstext, wir hätten den Artikel abgelehnt oder zensiert, um den es geht."

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Florian Kirner schreibt uns dazu:

"Dass ich an der Gründung von Rubikon nicht beteiligt gewesen wäre, ist eine spannende Aussage seitens des jederzeit um "Wertschätzung" bemühten Jens Wernicke. Zahlreiche E-Mails aus der Gründungszeit könnten das Gegenteil beweisen oder auch eine Zusammenkunft in Frankfurt / Main, um die Gründung des Magazins zu besprechen. Ich war an dem Projekt "Rubikon" beteiligt, als es noch keinen Namen hatte und noch viele Monate bis zu seiner Geburt ins Land gingen. Der Untertitel "Magazin für die kritische Masse" stammt von mir. Richtig ist, dass ich nie zu den Eigentümern des Projektes gehört habe."

Was die Ablehnung angeht, so liegt Telepolis eine diesbezügliche Email von Wernicke an Kirner vor.