Verteidigung des Reiches
Der Klimawandel schafft eine neue Welt. Schon jetzt stecken Länder die Ansprüche fest, die sie darin behaupten wollen
Vor kurzem hat Kanada ganz überraschend Vorbereitungen getroffen, eines seiner größten Kriegsschiffe, ein Hubschraubergeschwader und 200 Bodentruppen diesen Sommer in die Arktis zu schicken, um im großen weißen Norden ein wenig die militärischen Muskeln spielen zu lassen. Für kanadische Verhältnisse ist das ein ziemlich großes Aufgebot. Um es in die rechte Perspektive zu rücken: Die gesamte kanadische Armee besteht aus etwa einer viertel Million Soldaten. Zu größeren Übersee-Operationen, wie beispielsweise nach Haiti, wurden 450 Soldaten entsendet, was damals als eine Menge angesehen wurde, die die Kapazität des kanadischen Militärs nahezu überstrapaziert (zuerst wollte die Regierung nur sechzig schicken, ergab sich aber dann dem politischen Druck).
Eine derartig aufwendige militärische Übung wirft natürlich Fragen auf. Was ist los in der Arktis? Ist dies eine Erweiterung des Krieges gegen den Terror? Vielleicht wissen die Kanadier, wo Osama Bin Laden steckt; am Ende hat dieser raffinierte Terrorist es fertiggebracht, dass ihn alle irgendwo in der Wärme des Nahen Ostens suchen, während er sich in Wirklichkeit in einem Iglu im Norden verschanzt hat! Kein Wunder, dass die Amis ihn nicht finden konnten.
Doch die Idee, dass Bin Laden sich in der Arktis versteckt, überstrapaziert unsere Phantasie dann doch, selbst wenn wir noch so fanatische Verschwörungstheoretiker wären. Nein, der wahre Grund für Kanadas militärische Präsenz im Norden ist das Senden einer klaren Botschaft an andere Länder: "Wir sind hier".
Der logistische Aufwand ist enorm, wenn man so viele Soldaten, Seeleute und Flieger in eine derart isolierte Gegend transportieren lässt. Diese militärische Übung, die den Kodenamen "Narwhal" trägt, wird geschätzte fünf Millionen Dollar kosten, drei Wochen dauern; sie setzt den Anfang einer Serie von militärischen Bewegungen in den Norden, die Kanadas Ansprüche auf die ausgedehnten Weiten der unbewohnten Arktis verdeutlichen sollen. Kanada hat einen Fünf-Jahres-Plan entwickelt, um seine militärische Präsenz in der Arktis zu festigen, inklusive Satellitenüberwachung und weitreichender Patrouillen mit Schneemobilen.
Obwohl sich "Narwhal" nicht direkt an ein bestimmtes Land adressiert, gibt es doch keinen Zweifel, an wen die Botschaft gerichtet ist: an jene große Supermacht, die schon immer eine Bedrohung für den Weltfrieden dargestellt hat - Dänemark. Ja, Kanadas nächstes großes militärisches Abenteuer nach Afghanistan und Haiti hängt mit dem letzten Kapitel in einem schon länger bestehenden Streit zwischen Kanada und Dänemark zusammen, in dem beide Anspruch auf eine Insel namens "Hans Island" erheben.
"unsere Muskeln zeigen"
Hans Island ist ein drei Kilometer langer Brocken aus Felsen und Eis in der Nares Strait zwischen Ellesmere Island und Grönland. Die Insel ist so klein, dass sie auf den meisten Karten gar nicht auftaucht. Dennoch ist sie zu einem Brennpunkt der Herausforderungen an Kanadas Souveränität über das arktische Archipel geworden, wo Inseln und Wasserwege, die lange als kanadisch galten, nun auch von anderen Regierungen für sich beansprucht werden. Dänische Kriegsschiffe sind im Sommer 2002 vor der Küste von "Hans Island" erschienen. Eine Gruppe von Seeleuten soll dort die dänische Flagge gehisst haben, eine Aktion, die Kanada als Verletzung seiner Souveränität begriff.
Auch wenn das kanadische Militär bestreitet, dass die Operation Narwhal etwas mit Dänemarks Anspruch auf "Hans Island" zu tun hat, wird hier doch die größte kanadische Militärübung stattfinden, die es in der Arktis je gegeben hat. "Dies ist das erste Mal, dass unsere Luft- Wasser und Landkräfte gemeinsam so weit nördlich operieren", erklärte Oberst Norris Pettis, Kommandeur der Streitkräfte, "und wir entsenden damit eine Botschaft, dass diese Land wichtig für uns ist...., dass wir hier Truppen, Flugzeuge und Schiffe postieren, um auf alles zu reagieren, was auch immer auf uns zukommt.....Wir wollen hier eine militärische Präsenz aufbauen...unsere Muskeln zeigen".
Dem kanadischen Militär zufolge soll "Narwhal" zunächst eine Botschaft an alle Menschen im Norden senden und dann an alle Kanadier und vor allem, was vielleicht am wichtigsten ist, an jedes andere Land da draußen. Die Botschaft ist, dass Kanada diese Gegend gehört und aufpasst, was im Norden passiert. "Wenn man Anspruch auf ein Land erheben will, dann muss man auch davon Gebrauch machen - man muss zeigen, dass man dort hingehen, bleiben und die Kontrolle behalten kann", so Pettis.
Dennoch ist es fraglich, ob Kanada die Arktis halten können wird. Die kanadische Kriegsmarine hat im Norden nur begrenzte Möglichkeiten, da ihre Schiffe in arktischen Gewässern nicht manövrieren können, selbst bei wenig Packeis. Das kanadische Militär hat außerdem keine Schiffe, die das ganze Jahr über dort bleiben könnten.
Auch wenn sich die Operation Narwhal gegen die Dänen richtet, ist dies nicht das einzige Land, mit dem Kanada im Norden Ärger hat. Im Ganzen ist Kanada zur Zeit in vier solcher Grenzdispute verwickelt.
Die Öffentliche Reaktion auf das Muskelspiel der kanadischen Regierung in der Arktis fiel äußerst positiv aus. In einer Online-Umfrage von Ende März, welche die Frage stellte, ob sich Kanada die Mühe machen solle, seine Souveränität in der Arktis zu behaupten, waren drei Viertel der Befragten dafür. Nur sieben Prozent waren dagegen und fast ein Fünftel hatte keine Meinung dazu.
An der diplomatischen Front denkt Kanada einstweilen über ein Angebot des dänischen Botschafters nach, welches die Zukunft von "Hans Island" betrifft. Svend Roed, dänischer Regierungsvertreter in Kanada, ist bereit, mit den "Verhandlungen" zu beginnen. Er fügte jedoch hinzu, dass seine Regierung nicht bereit sei, davon abzusehen, dass die unwirtliche Insel zum dänischen Territorium gehöre. Die Dänen geben zu, dass ihre Kriegsschiffe dem Felsen in der Arktis in der Vergangenheit immer wieder "Besuche" abgestattet haben, sie wiesen aber auch darauf hin, dass sie dazu in Zukunft nicht mehr kommen würden.
Die Spitze eines großen, wesentlich bedrohlicheren Eisbergs
Dieselbe Szene spielte sich in Dänemark ab, wo Kanadas Top-Diplomat in das königlich-dänische Außenministerium gerufen wurde, um den Streit in allen Einzelheiten zu besprechen. Es wurde deutlich gemacht, dass Kopenhagen handeln würde, wenn kanadische Soldaten die Insel betreten.
Während das alles ein neues Beispiel für kleinlichen Nationalismus zu sein scheint, ähnlich wie bei dem Stück Felsen im Mittelmeer, der Griechenland und die Türkei fast in den Krieg getrieben hätte, ist diese Konfrontation zwischen Kanada und Dänemark darüber hinaus auch noch die Spitze eines großen, wesentlich bedrohlicheren Eisbergs.
Da die globale Erwärmung die Nordwestpassage durch die Arktis jedes Jahr ein wenig länger "öffnet" und die Möglichkeit besteht, dass sie in zehn bis fünfzehn Jahren das ganze Jahr geöffnet ist, könnte sie ein Super-Highway für den Schiffsverkehr zwischen Europa und Ostasien werden. Dann könnte die kleine Plänkelei zwischen Kanada und Dänemark eventuell in einem großen Konflikt zwischen Nordamerika und der EU eskalieren
Es gibt Präzedenzfälle von internationalen Konflikten, die aus ökonomischen Interessen in den Polarregionen entbrannten. Der Falkland-Krieg in den frühen 80er Jahren war so ein Fall. Großbritannien hat diesen Krieg nicht wegen ein paar tausend Schafen geführt. Die Falkland-Inseln sind so strategisch platziert, dass, wer immer dort was zu sagen hat, auch sein Schäfchen in der Antarktis auf dem Trockenen hat. Da viele Geologen vermuten, dass es riesige Ölreserven in der Antarktis gibt, garantiert eine Präsenz auf den Falkland-Inseln eine Gewinnbeteiligung, wenn die Antarktis ausgebeutet wird.
Es ist eine Schande denken zu müssen, dass die Regierungen sich mit der Tatsache des Klimawandels abgefunden haben sollen und bereits ausloten, wie die Welt sein wird, wenn die Polarregionen der globalen Erwärmung erlegen sind. Die zukünftige Nutzung der Polarregionen öffnet eine Pandorabüchse von Problemen, die zweifellos zu internationalen Spannungen führen wird. Wenn man mehr Zeit und Energie darauf verwenden würde, die Auswirkungen des Klimawandels zurückzudrehen, könnte diese Büchse der Pandora geschlossen bleiben und zukünftige Generationen hätten eine Sorge weniger.