Verteidigung des alten weißen Mannes

Seite 2: Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft

Die Spannung zwischen den beiden Polen Toleranz und Ressentiment macht den Reiz der Geschichte aus, zugleich verschafft sie dem Film Probleme.

Denn einerseits möchte dieser Film eine richtig unterhaltsame "Komödie für die ganze Familie" sein. Andererseits möchte er dann doch über alle Grenzen der Religionen, Traditionen und Hautfarben hinweg Verständigung der Völker und Kulturen leisten.

Das ist ein bisschen viel des Guten und überfordert den Film an vielen Stellen. Um richtig witzig zu sein, müsste er manchmal politisch unkorrekter werden, müsste er auch seine Witze schlicht und einfach besser und pointierter setzen.

Bild: Neue Visionen Filmverleih

Zum Beispiel jene Szenen, in denen sich der jüdische und der muslimische Schwiegersohn, die aus unerfindlichen, nur der Filmdramaturgie geschuldeten Gründen nebeneinander wohnen, sich in einen reichlich banalen – es geht um Äpfel, die auf Petersilien fallen – Nachbarschaftsstreit verwickeln.

Der Jude baut daraufhin eine Mauer (wie die Israelis an der Grenze zur Westbank), der – übrigens algerischstämmige – Moslem buddelt einen Tunnel unter dieser Mauer durch (wie die Terroristen der Hamas). Wenn man so etwas vor dem Hintergrund der realen Bezüge schon witzig findet, dann müsste man es zeigen und nicht selbst ein bisschen vom eigenen Humor peinlich berührt wegschauen.

Oder die Witze über den Vater des Moslems, den "algerischen Kurt Cobain". Er lädt zwar seine Band zur Feier ein, und die spielt dann auch, aber mit keinem anderen Effekt, als dass die Musik den kompletten Rest der Familie nervt – was sie schon tat, als der Vater erstmals in Algier aufspielte.

Das Ressentiment der Kritiker: Spaßbremsen gegen die niederen Instinkte in uns allen

Es gibt also nicht genug Entwicklung, sondern die Handlung tritt ähnlich wie Witze und Klischees dieser Geschichte auf der Stelle. Sie wird ausgewalzt und wiederholt bis zum Gehtnichtmehr. Das Niveau der Witze selbst ist auch flach und münzt in erster Linie vermeintlich vorhandene Vorurteile in wenig elegante oder gar raffinierte Scherze um.

Und leider sind auch die Auftritte des großen Schauspielensembles durchweg müder Durchschnitt, sieht man einmal von den Hauptdarstellern Christian Clavier und Chantal Lauby ab. Aber auch hier sollte man sich lieber nicht vorstellen, was zum Beispiel ein Louis de Funès aus so einer Figur gemacht hätte.

Solche Dramaturgie-Probleme und die ästhetische Kritik an einer qualitativ allenfalls durchschnittlichen Komödie sind substanzieller und relevanter als jene durch politische correctness motivierten Einwände, die jetzt recht vorhersehbar von einigen Schneeflocken der deutschen Filmkritik erhoben werden.

So bekrittelt etwa der Rezensent des Berliner Lokalblattes Tagesspiegel:

Aus "Monsieur Claude und sein großes Fest" spricht ... genau diese französische Mehrheitsgesellschaft, die sich in den Ressentiments eines lächerlichen Patriarchen über gesellschaftliche Minderheiten (diesmal sind auch Veganer dabei) wiedererkennen darf.

Blind sind solche Einwände für die Tatsache, dass sich der Film zwar die traditionsbehaftete Generation des Monsieur Claude respektiert, sich aber zugleich über sie wie über die Ressentiments der weißen Mehrheitsgesellschaft lustig macht. Ernsthaft anzunehmen, der Filme würde die Haltung des Patriarchen teilen, spricht für große Ignoranz und Ressentiment aufseiten des Kritikers.

Kino ist in seiner Geschichte immer beides gewesen: Realismus und Jahrmarkt, Lumières und Meliès. Es sollte auch im 21. Jahrhundert nicht nur aus den moralisch korrekten Manifesten und neuen Tabus ewig nörgelnder, "woker" Spaßbremsen bestehen, sondern auch aus den bewusst amoralischen Überschreitungen, Tabubrüchen und Empfindlichkeitsverletzungen, aus dem Appell an die niederen Instinkte in uns allen, die das Kino seit den Zeiten des Stummfilm-Slapsticks mitgeprägt haben.

Wenn Kino zur Kanzel der neuen Religionen und ihrer Predigten wird, verliert das Medium seine kulturelle und politische Daseinsberechtigung. Die "Grenzen des Sagbaren" werden dann eben zukünftig in Serien, TV-Shows und im Internet infrage gestellt.