Virtualisierung soll Kostenexplosionen verhindern
Kommission schlägt BIM-Pflicht für öffentliche Großprojekte vor
Dass mit Steuergeld finanzierte oder teilfinanzierte Großprojekte sehr viel mehr Geld kosten, als der Öffentlichkeit beim Baubeschluss versprochen wurde, ist keine Ausnahme, sondern der Regelfall: Sei es beim neuen Berliner Willy-Brandt-Flughafen (der bei einer Bausumme von mindestens 5,4 Milliarden Euro voraussichtlich mehr als 4,3 Milliarden Euro teurer wird als geplant) oder bei der Hamburger Elbphilharmonie: Als man den Prestige-Konzertsaal auf einer Elbinsel plante, da sagte man den Bürgern der Hansestadt zuerst, das Projekt würde sie lediglich das von der Stadt dafür zur Verfügung gestellte Grundstück kosten. Dann stiegen die veranschlagten Kosten nach und nach von 77 auf 789 Millionen Euro. Wobei offen ist, ob die Elbphilharmonie vor ihrer aktuell für 2017 anvisierten Fertigstellung nicht noch teurer wird.
Auch als das Projekt Nürburgring 2009 beschlossen wurde, hatten der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck und andere Politiker den Wählern fest versprochen, dass es alleine aus Privatmitteln finanziert würde. Vier Jahre später steht fest, dass das Vorhaben, dessen Baukosten explodierten, die öffentliche Hand rund 1,3 Milliarden Euro kostete - unter anderem durch eine Bürgschaft für die insolvent gegangene Betreibergesellschaft. Weil bei der Finanzierung extrem krumme Wege über Dubai und Liechtenstein gegangen wurden, verurteilte das Landgericht Koblenz den ehemaligen Landesfinanzminister Ingolf Deubel wegen Untreue und uneidlicher Falschaussage vor dem Nürburgring-Untersuchungsausschuss (in einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung) zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung (AZ 2050 Js 37425/10). Für den Schaden musste allerdings nicht er, sondern der Steuerzahler aufkommen.
Damit solche Fälle in Zukunft weniger oft vorkommen, hatte der inzwischen von Horst Seehofer aus dem Amt gedrängte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer 2013 die Reformkommission Bau von Großprojekten ins Leben gerufen, in der sich 36 Experten herausfinden sollten, was bei öffentlichen Bauprojekten falsch läuft und wie man das ändern könnte. In ihrem gestern vorgestellten Abschlussbericht kommen diese Experten zum Ergebnis, dass es sich bei Elbphilharmonie, BER und Nürbungring nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass es strukturelle Probleme gibt, die öffentlichen Bauvorhaben so oft zu Desastern werden lassen:
Bei 170 in einer Vorstudie untersuchten Großprojekten kam es im Durchschnitt zu einer Kostensteigerung in Höhe von von 73 Prozent. Eine wichtige Ursache dafür sieht die Reformkommission darin, dass Politiker Risiken vernachlässigen und Kosten ohne Planungen schätzten lassen, um der Bevölkerung ihre Wunsch- und Prestigeprojekte andrehen zu können, ohne dass diese dagegen protestiert, so lange das noch möglich ist.
Um die Auswirkungen dieser Unsitte zu mildern schlagen die Experten Strafen und Boni vor, die Unternehmen zahlen oder erhalten sollen, wenn sie ein ein Projekt langsamer oder schneller als vertraglich vereinbart fertigstellen. Die könnten eine Motivation dafür sein, sich in Kostenschätzungen stärker nach der Wirklichkeit und weniger an den Wünschen von Politikern zu orientieren. Allerdings lösen sie nicht das Problem, dass sich Unternehmen mit der Gründung einer unüberschaubaren Zahl von Spezial-GmbHs faktisch von jeder Verantwortungsübernahme freistellen können.
Realistischere Kosten- und Zeitschätzungen könnte dem Abschlussgutachten nach auch der Einsatz von BIM-Software bringen. Mit solchen Programmen wird ein Bauwerk virtuell probeerrichtet, bevor man die Bauarbeiter losschickt. Weil die Simulation deutlich über CAD-Pläne hinausgeht, lassen sich mit ihr Risiken und Kosten ermitteln, an die Architekten sonst nicht denken würden. Das Bauunternehmen solche Programme von sich aus einsetzen glauben die Experten eher nicht: Sie beklagen, dass die Bauwirtschaft die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung deutlich weniger schnell annehme als andere Wirtschaftszweige.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der Nachfolger von Peter Ramsauer, sagte der Tageszeitung Die Welt gestern, er wolle "Ende des Jahres […] einen BIM-Gipfel einberufen und einen Stufenplan vorstellen, wie wir schrittweise digitale Anforderungen für unsere Infrastrukturprojekte einführen." Die im Abschlussgutachten empfohlenen Bonus-Malus-Regelungen befürwortet er ebenfalls.
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