Virtuelle Brandstifter
Postkartenaktion der Jusos mit CDU/CSU-Köpfen
Agitation und Propaganda liegen immer nah beieinander, da lassen alle politischen Parteien keine Gelegenheit aus. Ist man allerdings selbst "Opfer" einer solchen Kampagne, reagiert man mitunter besonders empfindlich.
Im Rahmen der Rentenkampagne hat die CDU Bundeskanzler Gerhard Schröder auf einem riesigen Plakat mit einem Fahndungsporträt als Verbrecher darstellen lassen, um ihn als Rentenbetrüger zu verunglimpfen (siehe auch: Aufruf zur Gewalt). Doch der Schuss ging nach hinten los, als sich zuerst Doris Schröder-Köpf in den Medien darüber empörte und später der Kanzler selbst dazu Stellung nahm. Die Kanzlergattin lies sich von diesem Vorfall sogar dazu hinreißen, dass sie sagte: "Ich empfinde das als Aufruf zur Gewalt gegen meinen Mann."
Nach lauter Kritik von allen Seiten nahm die Union die Plakate zerknirscht wieder zurück. Wenn man den allgemeinen Berichten trauen kann, scheint es in der CDU reichlich Ärger deswegen zu geben. Offen wird spekuliert, ob Frau Merkel noch zu halten sei, denn diese glaubt, sich nicht einmal öffentlich für diese Entgleisung entschuldigen zu müssen. Die SPD fordert in einem Offenen Brief, "sich zu besinnen und nicht Hetzkampagnen der Union gegen den politischen Konkurrenten zu dulden." Reihenweise distanzieren sich inzwischen Unionspolitiker von dem "Verbrecherplakat".
Dennoch sollte man die angeblich verunglückte Plakataktion der CDU nicht unterschätzen: Das Plakat ist von allen Medien gezeigt worden und erreichte damit sogar noch eine höhere Streurate, als wenn die Plakate nur geklebt worden wären. Anscheinend reicht es heute aus, ein umstrittenes Plakat bei einer Pressekonferenz in Berlin zu zeigen und man kann sich weitere Kosten sparen. Einige distanzieren sich, die anderen schimpfen und dennoch hat es die Köpfe von allen erreicht.
Zum politischen Alltag scheint es ebenso zu gehören, sofort die Gegenseite zu attackieren. Entweder schlägt man verbal um sich, denn irgendwo muss doch eine Lücke in der Argumentation des anderen sein, oder man zaubert einfach eigene Grundsätze aus dem Hut. Für den Zuschauer und Zuhörer hört sich das ziemlich gleich an, für den einen ist es eine sozialdemokratische Argumentation, für den anderen sind es christlich-demokratische Werte. Feindbilder müssen eben gepflegt bleiben.
Im vorliegenden Fall kramte die CDU/CSU auch in ihrer Entrüstungskiste und fand "Fotomontagen von Unionspolitikern mit Nazis" auf den Internetseiten der bayrischen Jusos. Und schon geht die Empörung wieder los, denn die Postkartenkampagne der bayrischen Jusos mit dem Spruch "Gib den Rechten keine Chancen" zeigt führende Unionspolitiker als Fotomontagen zusammen mit Skinheads und Nazis. Anlass für die Aktion war nach Ansicht des bayrischen Juso-Chefs und SPD-Vorstandsmitglieds Florian Pronold der Begriff der "Deutschen Leitkultur", dieser erfülle bei der Union die gleiche Funktion wie "Volksgemeinschaft". So ist zum Beispiel der bayrische Innenminister zusammen mit einem Skinhead unter dem NS-Hetzbegriff "Volksschädlinge" zu sehen. Unter diesem Begriff wird Beckstein zitiert: "Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, statt diejenigen, die uns ausnützen." Auch Edmund Stoiber, Jürgen Rüttgers und Franz Josef Strauß bekommen von den Jusos in ähnlicher Darstellungsweise ihre eigenen Zitate um die Ohren gehauen.
Neben dem Spiel Schwarzwild der Jungen Union, das Jürgen Trittin auf die Palme brachte, weil es die meisten Punkte bringt, wenn man ihn schlägt, gibt es noch weitere eher pubertäre Versuche dieser Art, die Komplexität der Politik zu reduzieren (wie man früher gesagt hätte). Beispielsweise das Fischer-Game, bei dem man mit dem Außenminister möglichst viele Polizisten prügeln muss.
Nun kochen die Gemüter wieder hoch und der CSU-Landesgruppenchef Ramsauer hatte auch die Gelegenheit, von einem tiefen Griff "in das Wörterbuch des Unmenschen" zu sprechen. Natürlich sollen die "Hetzbilder übelster Sorte" sofort zurück gezogen werden und die Gegenseite solle sich von diesem Stil der politischen Auseinandersetzung distanzieren. Doch davon sind zumindest die bayrischen Jusos weit entfernt, denn noch kann man die virtuellen Postkarten verschicken. Der Juso-Chef hält das natürlich wieder mal für ein reines Ablenkungsmanöver vom Schröder-Plakat und sieht seine Aktion in gänzlich anderem Licht: "Im Gegensatz zum CDU-Plakat verunglimpfen die Jusos Bayern keine Personen. Die Jusos kritisieren, dass führende Konservative immer wieder rechtsradikale Sprüche klopfen und so Wasser auf die Mühlen rechtsgerichteter Schläger und Brandstifter gießen. [...] Nicht die Jusos verwenden Ausdrücke der Nazis, sondern Unionspolitiker machen den Nazi-Jargon salonfähig, so z.B. Edmund Stoiber mit seiner Warnung von der Ždurchrassten und durchmischten GesellschaftŽ. Das ist geistige Brandstiftung."
So wird das Ping-Pong-Spiel wohl weitergehen, denn irgendetwas muss dem politischen Gegner doch anzulasten sein ...