Virtuelles Sit-in gegen den Militärschlag
Mit dem Flood Net vor dem Weißen Haus
Aus einer Solidaritätsgruppe mit den mexikanischen Zapatistas hat sich das Electronic Disturbance Theater gebildet. Die Absicht ist, den politischen Protest, der in der Wirklichkeit durch Demonstrationen auf öffentlichen Plätzen und Straßen oder durch Sit-ins stattfindet und eine demokratisch legitime Form einer gemeinsamen gewaltfreien Meinungsäußerung ist, auch im virtuellen Raum der Datennetze zur Geltung zu bringen.
Die Mitglieder des Electronic Disturbance Theater wollen nicht als einzelne Websites cracken und verändern, sondern durch das Blockieren der Zugänge zu den Websites eine gemeinsame Form der virtuellen Demonstration entwickeln. Dazu haben sie das Programm Flood Net entwickelt, das, einmal gestartet, automatisch immer wieder die URL einer Website aufruft. Wenn das sehr viele Menschen zur gleichen Zeit machen, kann man dadurch für eine gewisse Zeit den Zugang zu dieser möglicherweise blockieren, wenn nicht bereits Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden. Um diese zu unterlaufen, muß Javascript ausgeschaltet werden. Aber das ist sicher ein Fall eines klassischen "Rüstungswettlaufs".
Jetzt ruft das Electronic Disturbance Theater zum Protest gegen den militärischen Angriff auf den Irak auf. Morgen zwischen 15 und 21 Uhr MEZ bitten sie alle, die sich für den Frieden im Mittleren Osten einsetzen wollen, sich dem gewaltfreien virtuellen Sit-in vor dem Weißen Haus anzuschließen. Man wisse zwar, daß dies nicht viel bewirken könne, zumal der Angriff vermutlich nur kurz sein werde, aber es ginge zumindest um eine symbolische Geste, die zeigt, daß man mit der Entscheidung der USA und Großbritanniens nicht einverstanden sei.
Widerstand gegen das gegenwärtig stattfindende Bombardement und gegen jeden künftigen Krieg werde nicht mehr nur in den wirklichen Räumen stattfinden, sondern auch im Netz, das das Pentagon bereits als neues "Schlachtfeld" begreife: "Wir betrachten den Cyberspace als Mittel für politische Akteure, die nicht der Regierung angehören, um in gegenwärtige und künftige Konfliktbereiche einzutreten und um dies über internationale Grenzen hinweg zu machen."
Präsident Clinton wird vorgeworfen, daß er mit dem Militärschlag die Aufmerksamkeit vom Impeachment-Verfahren ablenken will. Überdies stelle der Irak keine nationale Sicherheitsbedrohung dar: "Wenn ein Land der Aufhäufung von Massenvernichtungswaffen beschuldigt werden kann, dann sind dies die Vereinigten Staaten." Unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit verfolge man das Ziel einer globalen wirtschaftlichen Vormachtstellung. Bedauert werden nicht nur die ersten Verletzten und Toten der Raketenangriffe, sondern auch die Hunderttausende von Irakern, die wegen der von den USA gestützten Wirtschaftssanktionen an Hunger gestorben sind oder darunter leiden. Man ist für die Aufhebung der Sanktionen und will die Aktionen der internationalen Menschenrechtsorganisationen unterstützen, die den irakischen Menschen seit Jahren zu helfen versuchen.
Natürlich unterstütze man nicht Saddam Hussein, aber es sei allein die Aufgabe des irakischen Volkes und der arabischen Welt, ihn aus seinem Amt zu entfernen, wenn man dies wünsche. Und schließlich sei es an der Zeit, das Zeitalter des Imperialismus endgültig abzuschließen: "Es ist vielsagend, wenn die Weltmacht des 19. Jahrhunderts und die des 20. Jahrhunderts sich alleine zusammengeschlossen haben, während wir das 21. Jahrhundert betreten."
Siehe auch den Beitrag von Stefan Wray, einem der Begründer des Electronic Disturbance Theater, in Telepolis: Die Umwandlung des Widerstands der Maschinenstürmer in einen virtuellen Widerstand