Visegradgruppe: Die konservativen Vier und die zwei Europakonzepte

Treffen der Außenminister der Visegrad-Gruppe am 7. Juli in Wadowice. Bild: V4 PRESIDENCY

Die Visegradgruppe wird bei den Verhandlungen am kommenden Freitag und Samstag auf dem EU-Gipfel in Brüssel selbstbewusst auftreten. Ihr Konzept von Europa, so sind sie sicher, ist besser

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Der ungarische Außenminister Peter Sziijarto feierte die Zentraleuropäer bereits als künftige "Gewinner der neuen Weltordnung".

Die Ausrichtung von Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei für ein Europa der Vaterländer wurde letztens zweifach gestärkt: durch die Wiederwahl des nationalkonservativen polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda am vergangenen Sonntag sowie durch die Pandemie. Die EU geriet angesichts der Pandemie als Entscheider ins Hintertreffen, die Mitglieder schlossen und öffneten ihre Grenzen nach eigenem Ermessen wie sie auch über die Lockdown-Maßnahmen selbst entschieden.

"Es kann nicht sein, dass wir, die wir auf der schlechten Seite des Eisernen Vorhangs leben mussten, mit Covid-19 besser zu Recht kamen und nun gegenüber unseren reicheren Mitgliedern benachteiligt werden", erklärte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kämpferisch angesichts der kommenden Verhandlungen. Vor allem Ungarn sieht sich bei der Verteilung gegenüber wohlhabenderen Ländern benachteiligt.

Eine Kürzung von Geldern beim künftigen EU-Haushalt 2021 bis 2017 oder beim Aufbaufonds von insgesamt 1,8 Billionen Euro aufgrund der Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn und Polen müssen beide Länder nicht fürchten. Zumindest vorerst nicht. In Polen hat die nationalkonservative Regierung stark in den Justizapparat eingegriffen, in Ungarn ist das Gros der Medien mittlerweile staatstragend, auch werden NGOs und Wissenschaft von der Regierung unter Viktor Orban unter Druck gesetzt.

Dem tschechischen Regierungschef Andrej Babis und Unternehmer wird vorgeworfen, unrechtmäßig EU-Subventionen in Millionenhöhe kassiert und an seine Unternehmensgruppe Agrofert weitergeleitet zu haben. Vorwürfe über die Veruntreuung von EU-Geldern gibt es auch gegenüber Ungarn.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jedoch für die seit ersten Juli laufende deutsche Ratspräsidentschaft signalisiert, dass der Abschluss des Haushalts Vorrang vor einer Abstrafung habe. Denn der Haushalt sowie der Fonds für die Direkthilfe bei Pandemieschäden von 750 Milliarden Euro brauchen Einstimmigkeit.

Allerdings muss das Europarlament die Gelder noch absegnen und gegen den deutschen Willen wollen Frankreich, Finnland, Schweden sowie Dänemark das Thema Rechtstaatlichkeit auf der Agenda wissen. Vor allem die gerne resolut auftretende dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen soll aufgrund der Klima-, Migrations- und LGBT-Politik erbost über Polen sein und will dem Land vom Aufbaufonds etwas vorenthalten.

Kulturkampf zwischen zwei Europa-Konzepten

Viktor Orban hat jedoch mehrfach betont, dass das westliche Europa Zentraleuropa nicht zu diktieren habe, wie es leben soll. So auch auf einer Videokonferenz mit dem Titel "Europa unzensiert" in der vergangenen Woche.

Nach seiner Meinung gebe es zwei Europa-Konzepte. Das erste sei das "progressive, links-liberale", aus ungarischer Sicht "marxistische Konzept", welches das christliche Erbe negiere, Migration sowie Multikulturalität fördere. Das zweite, das der Zentraleuropäer, sei familienorientiert, sieht die nationale Identität als einen Wert an und bejaht die christliche Soziallehre.

Ungarn will in Zukunft eine Plattform und Bühne für westeuropäische Politiker und Intellektuelle sein, die das zweite Europa befürworten. Somit könnten die Auseinandersetzungen auf dem Gipfel den Charakter eines Kulturkampfs haben.

Auch die Problemfelder Asyl und Klima, bei der Deutschland in diesem Halbjahr weiter kommen will, bergen Zündstoff. Bundesinnenminister Horst Seehofer plant nun den großen Asylkompromiss als sein politisches Vermächtnis. Ein Thema bei dem Brüssel unter der Regie von Ursula von der Leyen bummelte und Berlin drängelte.

Die Innenminister Polens, Ungarns, der Slowakei, Tschechiens, Sloweniens, Estlands und Lettlands haben bereits einen Brief an die EU-Kommission geschickt, in dem sie ein schnelles Rückführsystem und einen verstärkten Kampf gegen illegale Migration und Menschenhandel fordern.

Nach Angaben von Jadwiga Wisniewska, EU-Parlamentarierin der polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sei bereits ein EU-Entwurf vorhanden, der den EU- Mitgliedern eine Aufnahme von Flüchtlingen aufzwingen könne.

Ungemach droht auch bezüglich des "Green Deal" und dem Ziel der EU, bis 2050 emissionsfrei zu werden. Polens Energieversorgung basiert zu einem großen Teil auf eigener und importierter Kohle. Die stellvertretende polnische Ministerpräsidentin Jadwiga Emilewicz bezeichnete darum gegenüber der Financial Times ein Forcieren des Emissionshandels, um die 750 Milliarden Euro Pandemie-Wirtschaftshilfe zu finanzieren, "als absolut inakzeptabel". Kompromissbereitschaft hört sich anders an.

Offen ist, wie sich eine mögliche Zusammenarbeit mit den vieren im Rahmen einer europäischen Verteidigung abspielt. Angesichts Russlands Aggression auf der Krim und der Ostukraine und eines sprunghaft gewordenen Amerikas wird seit einigen Jahren über eine europäische Verteidigungsstrategie diskutiert (Traum vom Militär-Schgengen). Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer fühlte hierzu bei den Visegradstaaten, Bulgarien und Rumänien vor und traf am Mittwoch zum Auftakt ihren polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak. Beide betonten eine Zusammenarbeit beim "strategischen Kompass", ein Grundlagenkonzept für die Verteidigung der EU-Staaten, das bis 2022 erarbeitet werden soll. Wichtig sei "in der Bedrohungsanalyse unsere gemeinsame Sicht auf die Haltung und das Handeln Russlands mit einzubeziehen".

Nicht unbedingt hinsichtlich der Verteidigung, jedoch hinsichtlich der Energiesicherheit ist Polen hier uneins mit den restlichen Mitgliedern, die nichts gegen Gasleitungen aus Russland haben. Vor allem Viktor Orban unterhält ein gutes Verhältnis mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Hier gibt es zwei Europa-Konzepte, über die die Visegradgruppe nicht laut diskutieren will.

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