Visionäre des Negativen

Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum über Künstler als Visionäre und Seismographen des kommenden Unheils zwischen Beginn des Ersten und Ende des Zweiten Weltkriegs

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es gab sie immer und es wird sie auch weiterhin geben, allerdings immer in kleiner Zahl. Gemeint sind Menschen, die klug genug und mit dem nötigen Schuss Realismus ausgestattet sind, 1+1 zusammenzuzählen und zum richtigen Ergebnis zu kommen. Weder Carl von Ossietzky noch Kurt Tucholsky war ein X für ein U vorzumachen, und sie wussten früh genug, worauf der deutsche Militarismus der Weimarer Republik hinauslaufen würde. So schrieb Tucholsky 1927: „Die geistige Militarisierung Deutschlands macht Fortschritte wie nie zuvor – nur die Form hat gewechselt. Was früher dümmlich und dickfäustig für Bauernjungen zurechtgehauen wurde, ist heute aus bestem Stahl, biegsam und wesentlich moderner. Diese geistige Militarisierung, der fast alle Parteien hemmungslos unterliegen, ist unsittlich, verabscheuenswert und infam. Sie wird ihre blutigen Früchte tragen – und auch das nächste Mal wird niemand, niemand schuld sein.“

In allen Berufsgruppen, in allen Schichten und Klassen gab und gibt es den Hang, sich mit der großen Mehrheitsstimmung, dem Diktat der Mitte gemein zu machen und nur wenige sind bereit, für das Aussprechen unbequemer Wahrheiten die Ächtung der angepassten Mehrheit und das Paria-Dasein als Nörgler und Ausgegrenzte zu ertragen. Die Ausnahmen bestätigen die Regel. Warum sollte es bei den Bildenden Künstlern anders sein?

Eine aufregende Ausstellung mit dem Titel Kassandra im Deutschen Historischen Museum in Berlin widmet sich der positiven Tradition der Bildenden Künstler, die als Visionäre des Negativen unerhört blieben. Darunter auch Männer wie Max Beckmann, der zuerst eine negative Rolle spielte und mit großer Begeisterung und mystischer Heilserwartung in den Ersten Weltkrieg zog und am 11.10.1914 an seine Frau schrieb:

Draußen das wunderbar großartige Geräusch der Schlacht. Ich ging hinaus durch Scharen verwundeter und maroder Soldaten, die vom Schlachtfeld kamen, und hörte diese eigenartige schaurig großartige Musik. Wie wenn die Tore zur Ewigkeit aufgerissen werden ist es, wenn so eine große Salve herüberklingt.

Max Beckmann

Man kann es kaum glauben, was man da liest. Und dennoch scheint es notwendig, die Fantasie zu haben, dass es mal wieder so weit sein könnte. Warum sollten die Menschen heutzutage davor gefeit sein? Im Übrigen, Beckmann war nicht alleine: Auch Thomas Mann ersehnte den Krieg als „Reinigung, Befreiung“ und eine „ungeheure Hoffnung“ neben vielen anderen Künstlern, die mit großem Hurra in die Schlacht des Ersten Weltkriegs gezogen waren wie auch Otto Dix und George Grosz. Allein, sie wie eben auch Beckmann waren zur Umkehr bereit und geißelten, durch ihre schrecklichen Erfahrungen eines anderen belehrt, fortan in ihren Arbeiten Krieg und Militarismus in der Vorahnung, was dann ab 1933 und später ab 1939 kommen sollte.

Aber es gab auch vor dem Ersten Weltkrieg wenige Maler wie Ludwig Meidner oder Arnold Böcklin, die sehr deutlich ihrer Angst vor Krieg und Zerstörung Ausdruck gaben und dafür düstere und überzeugende Motive fanden. Zu einer großen Rezeption jedoch kam es nicht, geschweige denn zu einer Erhörung der Botschaft. Das musste auch George Grosz nach 1954 resigniert feststellen: „Meine Warnung war sozusagen eine Warnung in den Wind gewesen.“

Dennoch kann Kunst ästhetisch überzeugende Bilder liefern und gleichzeitig minoritäre Positionen gegen das Kriegsgeschrei vermitteln, solange sie öffentlich überhaupt gezeigt werden kann. Wie nützlich Kunst für das Nicht-dumm-Werden im Kopf ist, hat Peter Weiss in seiner „Ästhetik des Widerstands“ plastisch gemacht.

Die sehenswerte Ausstellung im DHM und der hervorragende Katalog befragen Werke vorwiegend deutscher Künstler bezüglich ihrer visionären Kraft, ihrer Verkündung des Unheils. Dabei können die Organisatoren auch mit unbekannten Neuentdeckungen aufwarten. Von Hermann Rombach (1890–1970) aus dem süddeutschen Raum sind erstaunlich klarsichtige Werke aus der Zeit vor dem Faschismus zu sehen. Die Ausstellungsmacher haben sich bewusst für Kassandra als der machtlosen Prognostikerin des Unheils entschieden und damit gegen die Verwendung der Apokalypse eines Johannes, die in der christlich-jüdischen Tradition mit einer Heilserwartung verknüpft ist.

Bei dieser brisanten Werkschau sind wichtige Werke von Lea und Hans Grundig sowie Carl Hofer wieder zu sehen, deren konsequent antifaschistische Haltung in anklagenden Bildern des Schreckens und der Vernichtung mündeten, die aber in den 50er-Jahren als antimodern im Westen ausgegrenzt wurden. Die unverfängliche und von Seiten der US-Kulturpolitik in den westlichen Besatzungszonen geförderte Strömung war der Abstrakte Expressionismus.

Die Nachkriegsrezeption der Mahner und Aufklärer bzw. ihre Verhinderung wäre ein weiteres Thema, dem sich die Crew des DHM um Stefanie Heckmann und Marvin Altner in Form einer Ausstellung annehmen sollte. Denn mit ihrer Ausstellung streifen sie bereits das Kapitel der Nachkriegszeit in einem Epilog, indem sie die verschiedenen Formen künstlerischer Resümees in ebenso beeindruckender Weise präsentieren: Karl Rössing, George Grosz, Magnus Zeller und Leo Haas, um nur einige zu nennen, deren Werke hier versammelt sind. Entgegen der Tendenz vieler Deutschen, sich selbst zu belügen und aufgrund der Zerstörung in Selbstmitleid zu versinken, haben diese Künstler die von Deutschen begangenen Verbrechen dargestellt. Damit standen sie schon früh wieder auf einsamem Posten.

Die Nichtbefassung mit der Vernichtung der europäischen Juden, der Unterdrückung und Verwüstung ganz Europas hat Hannah Arendt 1950 mit Bestürzung zum Ausdruck gebracht:

Doch nirgends wird dieser Alptraum von Zerstörung und Schrecken weniger verspürt und nirgendwo weniger darüber gesprochen als in Deutschland.

Hannah Arendt

A. Paul Weber hat dafür das passende Bild gefunden. Es zeigt eine zerstörte Landschaft mit Menschen, die alle ihren Kopf in den Sand stecken. Nichts wahrnehmen, nichts gewusst haben, unschuldig sein. Diese Haltung fand in der Selbstreinwaschung aller Täter, Arisierer, Mitläufer, Claqueure ihren konsequenten Ausdruck. Nicht wir, Adolf Hitler ist es gewesen, lautete die Devise. So einfach war das. In diesem Klima wollte natürlich niemand die Gräuel, die Verwüstung Europas im Zeichen des von der Mehrheit gebilligten Hakenkreuzes als Bild vorgehalten bekommen. Da kam die Abstraktion gerade recht.

Kassandra. Visionen des Unheils 1914–1945. Bis 22.02.2009 im Deutschen Historischen Museum. Katalog, 452 Seiten mit 350 Abbildungen, 30,00 €.