Viva Internetsperren!
Vorbild Frankreich: Der Bundesverband der deutschen Musikindustrie gratuliert den französischen Gesetzgebern zu Hadopi und wünscht sich deutsche Nachahmer
Der Bundesverband der deutschen Musikindustrie freut sich über die positive Entscheidung des französischen Conseil constitutionel, der Hadopi 2, das Gesetz zur Sperre des Internetzugangs bei wiederholtem illegalem Filesharing, abgesegnet hat (Verfassungsrat billigt französisches Internetsperren-Gesetz). Frankreich übernehme damit "die Vorreiterrolle bei der effizienten Bekämpfung von Internetpiraterie", heißt es in der Pressemitteilung des BVMI
Der BVMI-Vorstandsvorsitzende, Dieter Gorny, lobte besonders das pädagogische Element von Hadopi 2:
Zentrales Element des Gesetzes ist der Versand von Warnhinweisen bei Urheberrechtsverletzungen im Internet und eine Sanktion bei deren Nichtbeachtung.
Gorny verweist in diesem Zusammenhang auf nicht näher präzisierte "Umfragen in Frankreich und England", die "gezeigt [hätten], dass 70 bis 80 Prozent der Betroffenen ihre illegalen Downloads einstellen würden, wenn sie solche Warnhinweise erhielten". Die pädagogische Absicht von Hadopi 2 wurde von der französischen Justizministerin Alliot-Marie ("Auch über physische Kastration kann im Parlament debattiert werden") stets betont.
Doch die Begründung des Verfassungsrates zu seiner donnerstäglichen Entscheidung weist auch auf einen möglichen anderen Nutzen hin, der aus dem neuen "Gesetz zum Schutz schöpferischer Werke im Internet" erwächst: Hadopi 2 ist eine Ausweitung des Straftatbestandes "Fälschung". Die dort festgelegten Strafen werden um zusätzliche Sanktionen erweitert (die Internetsperre); die entsprechenden Gerichtsverfahren werden mit dem neuen Gesetz "vereinfacht" und beschleunigt: nur mehr ein Richter, statt (wie sonst vor Strafgerichten üblich) drei und ein Schnellverfahren, das dem Bußgeldverfahren bei Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr entlehnt ist.
Der Richter entscheidet aufgrund des Dossiers, das ihm die Kontrollbehörde Hadopi vorlegt. Deren Unterlagen basieren vorwiegend (wenn nicht sogar ausschließlich) auf Auskünfte jener Personen, die im Dienste der Content-Industrie nach Personen fahnden, die unlizenziert kopieren. Strafen für Urheberrechtsverletzungen können mit weniger Aufwand in größerer Zahl und schneller ausgesprochen werden. Diesem Faktum kann weniger deutlich widersprochen werden als etwa der pädagogischen Ausrichtung des Hadopi-Gesetzes, das letztlich doch mit der Androhung drastischer Strafen operiert(Internetsperre bei fortlaufender Bezahlung des Providers plus ggf. empfindliche Geldstrafen wegen "Fälschung"/"contrefaçon" - bis zu 300.000 Euro; möglich sind auch Freiheitsstrafen).
Ob hier "schuldangemessen" bestraft wird, kann man sehr in Frage stellen. Dem Strafrechtsprofessor Winfried Hassemer zufolge ist die Präventionslogik, die hinter einer drastischen Strafandrohung steckt, heikel und dünnbödig: Recht steht nach Hassemer ("Warum Strafe sein muss") nur dann auf stabilem Boden, wenn die Rechtsordnung mit Einsicht argumentiert, nicht mit dem Knüppel.
Wie die Reaktionen französischer Hadopi-Kritiker - prominente und differenziert argumentierende Protagonisten sind etwa Quadratur du Net und Numerama - schon seit längerer Zeit vorführen, ist in einem vermutlich nicht kleinen Lager von medienkompetenten und gleichzeitig "wenig einsichtigen" Internet-Usern zu rechnen. Sie halten das Internet-Gesetz für ein Zugeständnis an Industrielobbys und das immer vorgetragene Kalkül, wonach unlizenzierte Kopien die Verkäufe von CDs, DVDs, Kinobesuche etc. mindern, als nicht zutreffend. Für sie stehen Freiheitsrechte, insbesondere das Recht auf Kommunikationsfreiheit (siehe Französisches Internet-Sperren-Gesetz nicht verfassungskonform im Vordergrund. Entsprechend wertete Quadratur du Net die jüngste Entscheidung des Verfassungsrats als "Niederlage für den Rechtsstaat". Die Verfassungsrichter hätten nicht den Mut gehabt, den mit ihrer Entscheidung im Juni dieses Jahres eingeschlagenen Weg, der die Freiheitsrechte im Internet schützt, weiter zu beschreiten.
Interessant wird sein, wie die neue deutsche Regierung auf das "französische Vorbild" (Gorny) reagieren wird. Gorny mahnt an, "dass jetzt die Zeit gekommen sei, mit einer neuen Regierung in Deutschland einen vergleichbaren Ansatz zu verfolgen". In der Presseerklärung heißt es:
Wenn die in Frankreich vorgesehene zeitweise Kappung von Internetanschlüssen bei Wiederholungstätern von der deutschen Politik nicht gewollt wäre, seien die Rechteinhaber bereit, auch andere Sanktionsmöglichkeiten zu diskutieren.
Bei FDP und CDU gibt man sich bisher dem "Three-Strikes-Modell" gegenüber zwar noch reserviert - aber möglicherweise ändert sich das. Und die Hintertür, solche Maßnahmen über die EU einzubringen, steht auch noch offen.