"Volkswirtschaftlicher Irrsinn"

IT-Branche kritisiert Gesetz zur Scheinselbständigkeit. Unterschriftenliste im Internet.

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Heute hat die Gesellschaft für Informatik (GI) die Ergebnisse aus einer Blitzumfrage zum Scheinselbständigen-Gesetz veröffentlicht. Demnach spitzt sich das Problem für die Selbständigen im IT-Bereich dramatisch zu. 20 Prozent der 250 befragten Selbständigen in der Informatikbranche haben bereits einen Auftrag verloren. Weiteren 40 Prozent droht das gleich Schicksal. Grund: Unternehmen trennen sich ohne Ansehen der Person von allen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Die Unternehmen gehen auf Nummer sicher. Sie müssen befürchten, die Sozialbeiträge für mehrere Jahre möglicherweise rückwirkend zahlen zu müssen.

Ulrich Bode, Sprecher des GI-Beirats für Selbständige

Nach Auskunft des Bundesverbandes Informationstechnologien (BVIT) hätten bereits mehr als 6.000 der insgesamt 15.000 Selbständigen in der Informationstechnologie die Kündigung ihrer Verträge bekommen. Damit seien 40 Prozent eines gesamten Berufsbildes von den Auswirkungen des Gesetzes betroffen. 99 Prozent der Freien seien allerdings keine Scheinselbständigen. Der Verband wies auf zahlreiche Fälle namhafter Berater wie beispielsweise Klaus Kinkel hin, der seit kurzem die Deutsche Telekom berate. "Handelt es sich hierbei nicht um einen Scheinselbständigen", fragte Verbands-Geschäftsführer Alexander Bojanowsky.

Die GI, der mit rund 21.000 Mitgliedern größte Informatiker-Berufsverband in Deutschland, sieht in dem Gesetz eine Gefährdung der Selbständigen. Das Gesetz untergräbt ihrer Ansicht nach die Strukturen für mehr Risikobereitschaft und mehr Selbständigkeit, die in den letzten Jahren aufgebaut wurden. Auch der BVIT, der rund 150 Mittelständler aus der Softwarebranche vertritt, bezeichnete das Gesetz als "volkswirtschaftlichen Irrsinn". Bojanowsky wies darauf hin, daß allein im Bereich Software- und Informationstechnologien innerhalb von vier Wochen ein volkswirtschaftlicher Schaden von 80 Millionen Mark entstehe, wenn jeder Selbständige täglich nur eine Stunde seiner Arbeitszeit über dieses Problem diskutiere.

Wir brauchen Klarheit von Anfang an. Selbständigkeit ist auf Dauer angelegt. Da kann man sich nicht von der Interpretation einiger Kriterien abhängig machen.

Ulrich Bode

Auch unzweifelhaft Selbständige seien betroffen, weil die Arbeitgeber pauschal keine freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr beauftragen oder zumindest einen Selbständigen-Nachweis verlangen. Unternehmen, die noch Experten zur internen Behebung des Jahr-2000-Problems suchten, bringe das in eine schwierige Situation.

Die GI hat jetzt eine Unterschriftenliste gegen das Gesetz im Internet veröffentlicht. Unter www.gi-ev.de/unterschrift.html können sich Unterstützerinnen und Unterstützer eintragen. Bode forderte die Regierung zu sofortigem Handeln auf und regte gemeinsam mit Bojanowsky die sofortige Aussetzung des Gesetzes an: "Jeder Tag zählt!" Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, sicherte der GI zu, über den IT- und Medienbereich noch einmal nachzudenken, sobald sich "der Pulverdampf verzogen" habe.