Volkszählung in der Schweiz mittels Fragebogen im Internet
Datenschützerische Bedenken werden höchstens von Experten geäussert - Boykott ist kein Thema mehr
Bern - Nach zehn Jahren ist es wieder soweit: In der Schweiz findet zum letzten Mal eine Volkszählung über eine Vollerhebung aller 7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner statt. Europapremiere ist dabei die Möglichkeit, den Fragebogen im Internet ausfüllen zu können. Datenschützerische Bedenken werden höchstens von Experten geäußert - Boykott ist kein Thema mehr.
Mit Stichtag 5. Dezember will das Bundesamt für Statistik so ziemlich alles wissen: In welchem Stockwerk befindet sich Ihre Wohnung. Wo wohnten Sie vor fünf Jahren? In welcher Sprache denken Sie? Obwohl die Befragung mittels Papierformular im Zeitalter des Internet ziemlich altertümlich anmutet, ist diese Art von Datenerhebung laut dem Bundesamt für Statistik aus verschieden Gründen unverzichtbar.
In der Schweiz gibt es zum Beispiel kein zentrales Bevölkerungsregister. Selbst Grunddaten wie Alter, Geburtsdatum, Geschlecht müssen die Statistiker des Bundes bei den Einwohnerkontrollen der rund 3000 Gemeinden der Schweiz erfragen. Es gibt jedoch auch zeitgenössische Aspekte bei der aktuellen Volkszählung: Für 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung besteht die Möglichkeit, den Fragebogen im Internet auszufüllen (www.e-census.ch, aufgeschaltet ab 27. November). Sollten sich nur 5 Prozent der Bevölkerung per Internet an der Datenerhebung beteiligen, wären die Projektkosten von 4,5 Millionen gedeckt, da Kosten wie Versand, Einlesen, bzw. Digitalisieren der Fragebogen wegfallen. Das Projekt "e-census" ist eine Europapremiere. Nur in Singapur und den USA ist das Internet bisher bei Volkszählungen angewendet worden. Allerdings nur für die Erhebung von Stichproben oder als Test. So gesehen ist die integrale Anwendung bei der Schweizer Volkszählung sogar eine Weltneuheit.
Die gesetzliche Grundlage für die Volkszählung 2000 ist das im Juni vor zwei Jahren verabschiedete völlig revidierte Bundesgesetz über die eidgenössische Volkszählung. Kritik gab es damals nur von Rechtsaußen, und zwar wegen den hohen Kosten. Kostenpunkt der aktuellen Datenerhebung sind 108 Millionen Franken, die der Bund übernimmt, sowie weitere 45 Millionen Franken, die von Gemeinden und Kantonen getragen werden. Außerdem forderte die Ratsrechte, auf den Fragebogen zu verzichten. Stichproben würden ausreichen, argumentierten etwa die Schweizer Demokraten.
Die aktuelle Volkszählung soll die letzte in der bekannten Form einer Vollerhebung mittels Fragebogen sein. Damit der Bund aber in Zukunft die gewünschten Daten von den Registern der Gemeinden verwenden kann, müssen die kommunalen Datensammlungen mit Angaben aus der aktuellen Zählung ergänzt werden. Unter anderem auch mit Personendaten, die sonst anonym bleiben würden. Ein solches Vorgehen widerspricht den datenschützerischen Vorgaben. Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat in den einmaligen "Missbrauch" der Volkszählungsdaten zur Aktualisierung der Gemeindedaten eingewilligt - allerdings unter der Bedingung, dass diese Bestimmung rückgängig gemacht wird. Im geltenden Volkszählungsgesetz, in dem diese Zweckentfremdung fest geschrieben ist, steht allerdings nirgendwo etwas über diesen rückgängig zu machenden Eingriff. Der Datenschützer der Eidgenossenschaft, Odilo Guntern, muss sich da alleine mit den Protokollen der nationalrätlichen Kommission und den Zusicherungen aus dem zuständigen Departement des Inneren zufrieden geben.
Datenschützerisch in der Grauzone liegt auch die Verarbeitung der Volkszählungsfragebogen. Im Zeitalter des Outsourcing übernimmt diese Aufgabe das private Unternehmen Data Center Luzern, eine Tochter der Schweizer Post und Bertelsmann. DLC ist unter anderem auch im Bereich des "mail management", also im Adresshandel, tätig ist.
Bedenken werden nur von Experten oder Medien angemeldet. Boykottabsichten wurden keinerlei geäußert. Zog der Volkszählungsboykott vor zehn Jahren, an dem sich rund 40000 Personen beteiligten, noch über tausend Gerichtsverfahren nach sich, so kann in diesem Jahr gar nicht erst bestraft werden, wer die Herausgabe seiner Daten verweigert. Höchstes eine Gebühr für die Umtriebe wird erhoben, die aber 1000 Franken nicht übersteigen darf. Im Zeitalter von Internet, Big Brother und elektronischen Rabattkarten, die primär zum Ziel haben, das Einkaufsverhalten zu erforschen, erstaunt es nicht weiter, wenn auch die Datensammlerei auf keinen Widerspruch mehr stößt. Der entsprechende Anreiz für einen "spielerischen" Umgang mit der Preisgabe der eigenen Daten ist auch geschaffen. Laut Werner Haug, Vizedirektor des Bundesamtes für Statistik, soll die Volkszählung via Internet Spaß machen...