Vom Experimentalfilm zur Medienkunst (und zurück?)
10 Jahre European Media Art Festival Osnabrück
In diesem Jahr fand in Osnabrück vom 7.-11. Mai 1997 zum 10. Mal das European Media Art Festival statt. Keine großen Jubiläumsfeiern, keine Supershow ... stattdessen trafen die Besucher auf ein breit gestreutes Angebot von Filmen und Videos, Installationen, Performances, Vorträgen, Workshops und Netzwerkprojekten. Mut zum Experiment und zur Reibung zwischen den verschiedenen "Medienkünsten", sowie eine angenehme Atmosphäre des Austausches und der Auseinandersetzung prägten das Programm und die Stimmung in Osnabrück. Heiko Idensen wirft einen Blick zurück auf 10 Jahre Medienfestival in Osnabrück, und einen Blick nach vorne auf die Netzdiskurse der nahen Zukunft.
"Mut zur Heterogenität!" und "Keine Globalität ohne spezifische Lokalitäten!" rief dann auch ganz passend Siegfried Zielinski am Ende seiner Eröffnungsrede die Parole aus.
Festival-Geschichte
Das Festival hat sich aus dem "Internationalen Experimentafilm Workshop" Osnabrück entwickelt, war also von Anfang an eher unpopulären, künstlerisch radikalen Experimenten verpflichtet, anstatt affirmative Mainstream-Produktionen zu präsentieren. In den 80er Jahren spielte der Experimentalfilm Workshop insbesonders eine wichtige Rolle als Drehscheibe zu den - damals politisch verfolgten - Untergrund-Film-Produktionen aus Osteuropa, die hier häufig als illlegal ausgeschleuste Kopien ihre europäische Uraufführung fanden.
Medienwechsel
Geert Lovink
Innerhalb der Geschichte des Festivals haben sich einige wichtige Markierungs- und Wendepunkte in der Programmstruktur und der Ausrichtung des Festivals herausgebildet, die jeweils auch im Kontext der Mediengeschichte durch einen sich wandelnden Mediengebrauch gekennzeichnet sind:
Der erste mediale Kampf entwickelte sich mit der anwachsenden Video-Praxis zwischen den klassischen Film-Formaten (35, 16, 8 mm) und dem Medium Video, das einerseits mit der Zeit immer breiter verfügbar wurde - und somit u.a. auch zu den politisch-engagierten Medienwerkstätten führte - und darüber hinaus auch andere Verbreitungsformen suchte.
Einen Ausdruck findet diese Auseinandersetzung etwa im "Osnabrücker Manifest", in dem 1989 gefordert wird:
SENDEZEIT BEI ARD, ZDF UND PRIVATEN SENDEANSTALTEN. NUR SO KANN DEN VIDEOKÜNSTLERN AUCH ZU ANGEMESSENEN GAGEN VERHOLFEN WERDEN: DAS TV PUBLIKUM HAT EIN RECHT AUF BILDER, DIE MEHR SIND ALS GEFÄLLIGE VERZIERUNG. SUBVERSIVE VISIONEN, EINE NEUE UNANSEHNLICHKEIT, DIE MIT CHARMANTER GESCHMACKLOSIGKEIT UNTERHÄLT, DIESE UND ANDERE NEUE WEGE MUß VIDEOKUNST AUFREIßEN. UND FÜR DIESE KUNST FINDET SICH EIN PUBLIKUM.
Osnabrücker Manifest
Das internationale Videomagazin INFERMENTAL ist beispielhaft zu nennen, weil es im Kern schon Kooperationsformen der Digitalkultur antizipiert (wechselnde Herausgeberkollektive, die aus dem weltweit produzierten Material der subversiven künstlerischen "Welt-Video-Bewegung" thematisch organisierte Blöcke zu einem mehrstündigen Programm zusammenstellen, das auf Festivals und Veranstaltungsorten (wiederum) weltweit gezeigt wird ...). Siehe z.B. INFERMENTAL IX - EDITION WIEN EMAF 1989
Ab Herbst dieses Jahres soll das Archiv aller 11 Infermental-Ausgaben in der Videothek des ZKMs in Karlsruhe abrufbar sein.
1988: Ende des Experimental-Films - Anfang der Medienkunst?
Die einschneidende Wende ereignete sich 1988, als sich die Ausrichtung des Festivals - im Zuge einer allgemeinen Medieneuphorie - auf das weite Feld der Medienkunst ausdehnte, um auch den künstlerisch visuellen Experimenten aus dem breiten Spektrum medienintegrativer Produktionsweisen (wie Videoinstallationen, Performances, interaktiven Systemen und Kommunikationsprojekten etc. ) gerecht werden zu können.
Das Zauberwort war Interaktion: Computergesteuerte Hi-8 Videogeschichten, (z.B. Videolabyrinth) bei denen der Zuschauer als Detektiv agieren konnte/sollte, rollende intelligente Computer, die permanent Sprachaufnahmen machten und ein unmögliches Sprachgemisch wieder ausspuckten, eine interaktive Festivalzeitung, die die Festivalbesucher zum mitschreiben, kommentieren und kritisieren aufforderte ...
Besucher, Journalisten, die Beteiligten selbst waren verwirrt, geschockt, aufgewühlt. "Was sollen diese Textverarbeitungen auf einem Filmfestival?" fragte etwa der Filmkritiker der FR Michael Kötz.
Der Hahn ist tot. Er kann nicht mehr schrei'n: ko ko di, ko ko da. Die Preisverleihung der Arbeitsgemeinschaft für Filmjournalisten für den Preis der deutschen Filmkritik in der Sparte Experimentalfilm geriet zu einem ironischem Eklat auf das Schlagwort interaktiv: die Jury gab zu, vor dem neuen multimedialen Umfeld die Augen fest zu verschließen und beanspruchte eben gerade das "Prädikat" interaktiv für den Film "Der Hahn ist tot" von Zoltan Spirandelli:
... einen wunderbar komisch-ernsten Film der Selbstreflexion des Kinoraums, der den Zuschauern so etwas wie ein kollektives Aha-Erlebnis verschafft. Er tritt auf die Bühne und fordert das Publikum zum Singen des gleichnamigen Kanons auf: Ich würde Sie bitten, sich jetzt mal wirklich in drei gleich große Gruppen aufzuteilen! ... Ein bißchen zögern sie, aber dann tun sie es - freudig und mehrstimmig.
Senden oder nicht senden, das ist hier die Frage...
Ein ganz anderes Ansinnen verfolgte Ponton-TV 1988 auf dem Festival: hier war auch die Zeit der Experimente, der Performances, der Konzept-Art und vor allem der "simulierten" Radio- und Fernsehstationen vorbei - es sollte ernst werden und das hieß damals schlicht: auf Sendung zu gehen.
Was sich heutzutage in Pontons Geschichte so einfach liest als, " Artist's Channel - erste, einwöchige Fernsehstation auf dem EMAF Osnabrück 1988", war damals höchst dramatisch: keine Sendeerlaubnis, Druck von offizieller Seite aus Hannover mit der Androhung einer totalen Streichung sämtlicher Mittel. Die Lösung war schließlich die Abspaltung einer Art Medienguerilla, die - unter dem strengsten 'Protest' von Festivalleitung und Ponton selbst - schließlich pro Tag eine Stunde Piratenfernsehen sendeten. Das Monopol war gebrochen - alle waren zufrieden ...
Ponton auf dem EMAF 1988
Ponton Home
Van Gogh TV Home
... doch ein Begriff muß bei dem Worte sein ...
Ein verstärkter Erklärungs- und Diskussionbedarf dieser neuen medialen Praktiken führte gleichzeitig zu einer Ausweitung von Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen - die Kataloge wurde dicker und dicker mit wichtigen Texten, Manifesten und Entwürfen zur Medientheorie. (So betrat das "Urtier" einer neueren Theorie digitaler Medien - Villem Flusser - gerade auch noch in diesem Jahr die internationale Bühne der Theorieshows - ein Jahr bevor er auf der derzeit tonangebenden Ars Electronica in Linz auftrat ...).
1994. Einschalten, Hochladen, Abfahren ...
Der nächste Paradigmenwechsel war dann schon im Jahre 1994 fällig: Parallel zu den (inzwischen) klassischen Installationen etabliert sich das Elektronische Café mit künstlerischen CD-ROM Präsentationen, Workshops und Internet-Projekten - das Festival selbst erweitert seine eigenen Darstellungs- und Archiv-Medien: nebem dem Katalog erscheint die CD-ROM "1000 add one Frame", die konsequent Material aus den eingereichten Experimentalvideos nach verschiedenen Mustern kompiliert und vernetzt, so daß der Benutzer (schon wieder!) dazu angeregt werden soll, selbst weiter zu komponieren ...
1995: www.emaf.de ...
1995 geht das Festivals selbst online... im Rahmen einer kollaborativen Netzwerk-CD-ROM im folgenden Jahr (off the w.w.web. Netzkultur-Kulturnetzwerke) werden ausgewählte Bilder und Texte zu einem Online-Archiv ausgebaut, das aber immer noch fragmentarisch ist, so daß sich auf jedenfall ein Parallel-Gebrauch von Katalog, CD-ROMs und Online-Archiv empfielt.
Die (inzwischen historische) Hotlist von 1995.
"telepolis newsroom" (1996) spielt gegen Pontons alte "Eloquenz im öffentlichen Raum" (1988)
Im Netz können jetzt auch Konzepte wie Festivalzeitung, offener Arbeits- und Diskursraum wieder aufgenommen werden: Der TELEPOLIS-Newsroom installiert eine kollaborative Arbeitssituatiuon, in der die neuen Formen des Online-Journalismus vor Ort auf dem Medienfestival in direkter Auseinandersetzung mit Besuchern, Künstlern und Kritikern gesucht werden. Auffällige Unterschiede zu den alten Zeiten von Ponton, PooL-Processing und anderen frühen Tele-Kommunikationsprojekten ist jetzt freilich die Professionalisierung und die Konzentration auf das 'Produkt' (in diesem Falle eine Art telepolis-Repräsentation wichtiger Ausschnitte des Festivals) und die Entwicklung spezifischer Online-Formate.
Krasser Gegenschnitt zu Ponton 1988: wilder Aktionismus, Inszenierungen von Situationen, Konfrontationen zwischen Medien, Alltagsleben und Gruppenprozessen: so werden etwa die Medientheoretiker durch intensive 'Vorbereitungen' mit entsprechendem Alkoholverzehr auf ganz besondere Art und Weise auf ihren Auftitt im Ponton-TV eingestimmt ... bekannte Sendeformen - gerade auch die engen Zeitformate - werden extrem in Frage gestellt.
Die Gegenwart: Theoretiker, Künstler, Online-Aktivisten - eine Kampffront?
Bei dem breiten 'Angebot' an Netz-Projekten und dem international weit gefächerten Spektrum von Kongressen und Festivals, die ihren spezifischen Fokus auf die Netzkultur richten, fällt es nicht unbedingt leicht, im (vergleichsweise) kleinen Rahmen von Osnabrück ein Profil zu entwickeln. Konzipiert wurde eine Mischung: intensive Vorstellung einzelner Netzprojekte und spezifischer künstlerischer Arbeitsweisen, Lokalisierungen (Neue Slowenische Kunst, Hong Kong) und Ausschnitte aus den aktuellen Netz-Werk-Diskursen (Netzkritik, push-pull Debatte). Alle Vorträge auf einen Blick
Netzkritik
Daß somit auch die jeweiligen Debatten und Projekte erst einmal ihren 'Kontext' erzeugen müssen - (und dann möglicherweise auch in einem anderen Licht erscheinen) sei an einem schönen Ausschnitt aus dem begleitenden Forum-Programm demonstriert: Zunächst hatte Geert Lovink es nicht leicht, den Ansatz einer Netzkritik anhand des weitgehend vorgelesenen Textes "Von der spekulativen Medientheorie zur Netzkritik" deutlich und greifbar zu machen.
Was war die Position der deutschen Medientheoretiker, die er kritisiert, was kann es heißen eine Kritik "von innerhalb des Netzes" vorzunehmen, die "Qualität des Cyberdiskurses anzuheben" und "wirklich utopisch arbeitsfähige Modelle zu entwickeln"?
Klickgewitter
Herbert Meyer
All denen, die nicht an die nettime-mailing-list angeschlossen sind, wurde dann ein möglicher Diskurs-Stil im Netz anhand des von Herbert A. Meyers geplanten Klickgewitters (als 'Diashow' nachzuvollziehen unter:141.51.92.13/~ham/emaf97/) deutlich: immer galant am Rande der Netz-Performance visualisierte und gestaltete der Redner seinen Vortrag "Von der Couch Potato zur Screen Potato" eben auch visuell - mit den Mitteln und 'Argumenten' der Netzkultur ...Das war den erfahrenen Netz-Surfern im Publikum dann doch schon wieder zu plakativ und pädagogisch!
Meyers Vortrag als lineare HTML-Version
Virtueller Schmetterling Abgerundet wurde diese Session mit einer sehr persönlichen künstlerischen Transformation von "Netz-Emotionen" und "virtuellen Liebesprojektionen", die Merel Mirage unter dem Titel "Notes from a Virtual Butterfly" aus Email und Chat-Konversationen herausdestilliert hat ...
Push oder Pull- don't panic!
Hartmut Winkler
Beim Thema Push-Media schlugen die Wellen dann schon wieder höher. Während Hartmut Winkler in seinen diskursökonomischen Überlegungen "Nun also push" die ganze Debatte von der Umstellung des Internets von Pull auf Push als eine 'Anbieterphantasie' entlarvte, eine Palette von Differenzierungen zwischen Auswahlakten der User und den zeitbasierten Medienströmen von Video- und Audioströmen anbot und die Frage nach den Kompetenz- und Machtgrenzen zwischen Anbietern und Nutzern hin zuspitzte ... ... projektierte die Gruppe Knowbotic Research eben gerade einen handlungsbezogenen Zugang zu den Datenräumen, eine Aufweichung und Thematisierung von Schnittstellen, sozialen Räumen ... (hier wurde die geforderte radikale Rolle der Medienkunst in Abhängigkeit von Kooperationen mit der Industrie stark diskutiert und problematisiert ...)
Works in Progress
Einige in Osnabrück gestartete oder vorgestellte Projekte gehen weiter und warten (schon wieder!) geduldig auf Inputs und Interventionen: Das Team vom New Agora- Projekt etwa entwickelt ein Kooperationsprojekt zwischen dem EMAF Osnabrück und dem film+arc Festival in Graz, das die immer wieder beschworenen 'radikaldemokratischen' Utopien des Cyberspaces ausloten soll:
Es sind materielle oder immaterielle, geplante oder von selbst entstehende Handlungs- und Ereignisräume innerhalb des heutigen urbanen Lebens- und Arbeitsalltags, in denen einander wiederstreitende Positionen, Ordnungen, Stimmen sich zu provisorischen Utopien verknoten, in denen Differenz und Andersheit nicht aufgehoben sondern in ihrer Beziehung zueinander stets neu ausgehandelt werden. Es stellt sich die Frage, ob in dieser weitgehend vernetzten Welt, in der Daten, Bilder, Informationen individuell abgerufen werden, Orte eines Dialoges in den Netzen entstehen koennen.
film + arc
Viewing Distance rekonstruiert mittels Momentaufnahmen, die als Screenshots über das Internet gesammtelt wurden, den 24-Stunden-Tag vor dem Bildschirm ...
Und aktiv suchen muß man nach der Adresse von FPORT- dem abstrakten, interaktiven Internet-Kunstraum innerhalb des virtuellen Hafens von Hong Kong - sie wird momentan noch 'geheimgehalten' und erst zur konkreten 'Eröffnung' des Projekts bekanntgegeben: das Projekt soll mit dem internettypischen 'nicht zensiertem Blick' die prekäre Lage Hong Kongs zwischen dem 30.6. und dem 1.7. 1997 (zu welchem Zeitpunkt Hong Kong vertragsgemäß zur Volksrepublik China gehören wird) in einen internationalen Rahmen stellen, in dem unterschiedliche kulturelle und politische Plattformen kommunizieren sollen ... Eine Anlaufstelle wäre www.goethe.de/os/hon/enpausst.htm#V3 oder aber die Initiatorin Carvien Shiu.
WEB-TV?
Wer sich aber lieber zurücklehnen möchte und einem phantastischen Dialog zwischen Himmel (Olia Lialina in Moskau) und Hölle (Michael Samyn in Belgien) folgen möchte, der klicke sich schleunigst ein in "Himmel und Hölle".
Was Olia Lialina in ihren bisherigen Netz-Arbeiten im Spiel mit Frames, Suchmaschinen-Dialogen, und den reduzierten spartanischen Kunstgriffen von HTML-Tricks erarbeitet hat, wird hier in witzigen Auseinandersetzungen, Repliken, Parodien, Entwendungen der mit Sounds, Java-Scripts und Shockwave-Animationen aufgemotzten Halbseiten von Michael Samyn zu einer 'wirklichen' Zusammen-Arbeit im Netz:
michael: I don't think this language is any colder than other languages. It all depends on who speaks it. But I am also very interested in emotional messages, on the verge of being sentimental. And it does still seem weird to see someone with tears in his eyes in front of a computer screen (unless they have a really bad monitor...).
olia: its not the medium. ... Net communication is a good way to escape, to lie and pretend, i dont. At the same time i prefer not to use net as a place where all truth about me is stored. ... on your sites one can find a lot of documents of your life...I like to look at it because your life is interesting for me, but i'd never put on the net my daughters photos. again not because i want to separete my life to real and virtual, but because of a sort of allergy i have to this well developed system of self representation on the net. That's why i use all these invented characters who acts free in the space which totally belongs to them. (nettime mailinglist 19 May 1997 12:24:33; From: olia lialina ; Subject: \ CROSS INTERVIEW olia - michael)
... oder eben doch noch mal eben im Electronic Café des EMAF 1997 vorbeischauen?
... oder man wartet darauf, daß endlich einmal alle Daten des Festivals online gebracht werden (wie das Internationale Kurzfilmfestival Oberhausen - es z.B. mit kompletten Vortrags-Videos im Netz vorexerziert hat
... oder man geht zum nächsten Festval/Kongress, z.B. zum 6. HyperKult Workshop an der Universität Lüneburg (14. bis 16. Juli 1997):
www.uni-lueneburg.de/hyperkult/, oder zu config.media.art: Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, 4. - 7. September 1997 in Kassel:
www.uni-kassel.de/wz2/config.media.art/