Vom Volksgeist der Germanen in Zeiten unsicherer Renten
Das "Vierte Reich" aus dem braunen Kaffeesatz der Geschichte
Für den konvertierten "Gemeingermanen" Horst Mahler geht der Kampf mal wieder weiter. Diesmal muss er sich wegen des Verdachts der Volksverhetzung vor der Strafkammer des Landgerichts Berlin verantworten. Stein des Anstoßes in Mahlers an Verstößen nicht gerade armen Karriere ist die "Ausrufung des Aufstandes der Anständigen" vom 15. Oktober 2000. Dieses Pamphlet enthält die übliche trübe Melange aus antisemitischen, antikapitalistischen und antiglobalistischen Ausfällen.
Vom Burschenschaftler zum APO-Anwalt, vom Mitbegründer der RAF, Mandant der Rechtsanwälte Otto Schily und Gerhard Schröder bis hin zum NPD-Mitglied und deren Anwalt - Horst Mahler hat in seinem Leben jede Gelegenheit wahrgenommen, rechts und links zu verwechseln, wenn es der einsinnigen Wahrheit des Extremismus dient. Politische Optionen sind wohl doch nicht viel mehr als eine Frage des Temperaments. Für erregungsbedürftige Figuren wie Mahler sind die Gründe jedenfalls wohlfeil. Zwischen sozialistischer Weltrevolution und "Viertem Reich" gibt es für "chamäleoneske" Politextremisten wie Mahler keinen echten Unterschied.
Wirre Attacken gegen alles "Undeutsche"
Neben Mahler sind zwei weitere "souveräne Reichsdeutsche", der politisch ebenfalls äußerst wandlungsfähige Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen angeklagt, die sich mit Mahler zum Deutschen Kolleg zusammengeschlossen haben. Das feiert sich als eine "virtuelle Vereinigung notorischer Revolutionäre", die sich als intellektuelle Kaderschmiede des volkstrunkenen Nationalismus verstehen.
Das "Deutsche Kolleg" präsentiert sich dogmatisch rechthaberisch, volkstümelnd bis unfreiwillig satirisch als "Denkorgan des Deutschen Reiches" - und das sagt eigentlich auch schon alles bzw. gar nichts. Immerhin gelingen dem rechten Männerbündnis Sätze mit einem gewissen Unterhaltungswert: "Der Deutsche Volksgeist hat seine Wurzeln nicht im Gallischen Aufkläricht, auch nicht im Angelsächsischen Nützlichkeitsdenken, sondern im Deutschen Idealismus. Dieser ist berufen, die Gespenster des Verstandes endlich auch in der Welt der Politik zur Vernunft zu bringen..."
Mit dieser wundersamen Vermischung kantischer und marxistischer Kategorien und im Schulterschluss mit der hegelianisch inspirierten "Volksgemeinschaft" als "daseiende Negation des jüdischen Prinzips und des Schachers als seiner weltlichen Gestalt" reiten Mahler und seine braunen Ordensbrüder intellektuell wirre Attacken gegen alles "Undeutsche".
Von der "fremdvölkischen Zivilokkupation" Deutschlands und der Todesstrafe für die Abgeordneten
Mahler verfolgt diese Ideen - genauer: diese Ideen verfolgen ihn - bereits seit 1998, als er die nationale Bürgerbewegung "Für Unser Land" begründete. Vom "Einstellungsverbot für ausländische und volksfremde Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt" bis hin zum aggressivsten Antisemitismus wird jedes Ressentiment aus dem übel sprudelnden Retro-Füllhorn bedient. Die "Protokolle der Weisen von Zion" bis zum Leugnen des Holocaust, die ewig alten Tiraden und ihre perverse Logik versucht Mahler nun während des Prozesses so weiter unter das Volk zu bringen: Hätte das Deutsche Reich - was es nicht getan hat - versucht, die europäischen Juden Europas zu vernichten, so hätten Hitler und die Seinen in höherem Auftrag gehandelt. Wäre es so gewesen, stünde dem deutschen Reich eine Vergütung für diese Tätigkeit zu (Prozessbericht). Und der Prozessgegenstand, die Volksverhetzung, stellt sich für Mahler, dem Mann der Extreme und des nuancenlosen Übergangs von Schwarz und Weiß, selbstverständlich genau umgekehrt dar:
Das deutsche Volk ist verhetzt, "gemeingermanisch" formuliert geht es um die: "Wehrlosmachung des Deutschen Volkes gegen das schwere Kriegsverbrechen der fremdvölkischen Zivilokkupation seines Restlandes". Das ist nicht besonders auslegungsbedürftig, weil das lediglich die übliche Kampfansage begründet, diesen unwürdigen Zustand diesmal mit intellektueller Hilfe des "Deutschen Kollegs" zu beenden.
Mahlers Richter haben bei diesem geschichtsrevisionistischen Großreinemachen noch einmal Schwein gehabt. Mahler lässt Gnade vor Recht ergehen, weil es - wie immer in Berlin Tiergarten - der Wahrheitsfindung dient. Denn da die Richter selbst verblendete "Opfer der judäo-amerikanischen Fremdherrschaft über Deutschland sind", wird ihnen das Denkorgan des Deutschen Reiches die juristischen Zusammenhänge "geduldig" erklären.
Selten, dass ein Angeklagter so viel Mitgefühl mit seinen Richtern hat, aber Richter sind eben auch nur fehlsame Menschen und müssen daher wohl einige Prozesstage extra für Mahlers Monologe in Kauf nehmen. Etwas weniger Mitgefühl hat Mahler allerdings mit den Abgeordneten des deutschen Bundestags, denen er die "Todesstrafe" in Aussicht gestellt hat. Als "Kollaborateure der Feindmächte" hätten sie sich "eines schweren Kriegsverbrechens gegen das Deutsche Volk schuldig gemacht". Nach dem in Mahlers Universum fortgeltenden Reichsrecht steht darauf die Todesstrafe, weil allein Mahler weiß, was das Volk wollen würde, wenn es nur so könnte, wie es Mahler will.
Heim ins "Vierte Reich"
"Das Deutsche Volk entbehrt seit dem 23. Mai 1945 der Staatlichkeit und ist deshalb unfrei. Überfremdung, Staatsbankrott, Kulturverfall, Ausverkauf der Deutschen Industrie, Arbeitslosigkeit usw. sind Ausdruck dieser Unfreiheit."
Unsere gegenwärtigen Leiden sind also auf die fehlende Staatlichkeit zurückzuführen. Während wir also dachten, es gäbe einen Reformstau, die Sozis wären vielleicht doch nicht wirtschaftstauglich, wir wären armselige Opfer des Turbokapitalismus oder Schröder schlicht müde, leiden wir stattdessen an der "Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft ... Wir leben in der "OMF-BRD".
Die völkerrechtliche Auffassung, die sich hinter diesen schwarz- bis braun-mahlerischen Ausführungen verbirgt, heizt eine ebenso alte wie fruchtlose Verfassungsdiskussion an, die bereits nach dem Ende des Weltkriegs über die Frage der Fortexistenz bzw. des Untergangs des Deutschen Reichs geführt wurde und zum permanenten Einlasstor rechter Ideologien wurde.
Die deutsche Elite ist "in das Todesprogramm der Globalisten eingebunden und für die nationale Befreiung scheinbar verloren", wenn da eben nicht das "Denkorgan des Deutschen Reiches" wäre. Denn das will dem "Zeitgeist der atomistischen Ära" nun die Grenze aufzeigen. Seitdem die Renten nicht mehr sicher sind, also wie immer wenn die Zeiten instabil werden, vertrauen Extremisten jeglicher Couleur auf die Gunst der Stunde, das "Volksvernichtungsregime BRD" zu liquidieren.
Solche Parolen haben neue Ermittlungsverfahren gegen den unbotmäßigen Angeklagten ausgelöst, nachdem bereits der Prozessauftakt gegen Mahler tumultartige Züge annahm. So soll aus dem "Schauprozess" gegen Mahler ein von Mahler umfunktionierter Schauprozess gegen die deutsche Justiz werden. Die Instrumente zur fröhlichen Justizverwirrung hat Mahler während seiner APO-Jahre gut kennen gelernt. Doch während weiland die Justiz auf Fritz Teufel, Rainer Langhans und viele Prozessprovokateure unvorbereitet bis hilflos reagierte, diese "Teufeleien" auch viel berechtigte Prozesskritik beinhalteten, dürften Mahlers spätAPOkalyptische Ausfälle, diesmal von rechts, gegen das gute alte "Schweinesystem" wohl erheblich weniger Effekt machen.
Immerhin ist Mahler inzwischen 68 Jahre alt und den "Schauprozess" will er - was die beiden ersten Verhandlungstage belegen - nun wohl zu einem gloriosen anti-bundesrepublikanischen Schlussfurioso seiner nationalen Revolution führen. Das "Vierte Reich" besitzt für diesen völkischen Auftrag ohne Auftraggeber auch bereits die passenden Nationalsymbole.
Dabei rekurrieren die drei Musketiere des "Vierten Reichs" ausgerechnet auf einen Nationalflaggen-Entwurf des Widerstandskämpfers Josef Wirmer. Der sei zwar zu Recht hingerichtet worden, aber der Entwerfer des letzten Symbols, das einem neuen Reich in die Wiege gelegt werden könnte. Dabei hätten wir doch gedacht, dass Mahlers Geschichtsinterpretation allein das Hakenkreuz als legitimes Symbol seines "Vierten Reichs" erscheinen könnte. Die alte Unwahrhaftigkeit der Ultrarechten, doch zumindest öffentlich ein eigenes Profil zu prätendieren, beherrscht auch Mahler. Denn immerhin wird das "Vierte Reich" expressis verbis "ohne Hitler" geschaffen. Bei so viel faschistischer Wiederauferstehungsfreude, bei solchen rechtsrabulistischen Ausfällen aus der Gruft der Geschichte darf das geradezu als kleines Wunder der braunen Mythenbrüter gelten.
Abschließend noch einmal Mahler: "Der Deutsche Geist ist der Garant für den Sieg im Befreiungskampf der Deutschen." Solange das "Denkorgan des Deutschen Reiches" der Repräsentant dieses Geistes ist, sollte man gleichwohl gut über eine Bestrafung wegen Volksverhetzung nachdenken. Denn wenn man Horst Mahler weiter reden lässt, besteht doch nicht wenig Hoffnung, dass sich das "Volk" durch seine aufgeblasene, wichtigtuerische Schwurbel-Rhetorik im durchschaubarsten "Gemeingermanisch" erst gar nicht verhetzen lässt, sondern den Muff des tausendjährigen Reichs in dem Palaver riecht.