Von Atemschutzmasken und Kulturen
Warum lieben die Asiaten Gesichtsmasken, während wir sie zwar aus Angst vor der Coronaviruspandemie kaufen, aber nicht tragen?
Noch wird in Europa trotz Epidemie bedingtem Ausnahmezustand das Tragen von Atemschutzmasken weder empfohlen noch angeordnet. In asiatischen Ländern wie China, Japan oder Südkorea sind Atemschutzmasken auch vor der Coronapandemie häufig getragen worden, spätestens seit der SARS-Epidemie gehören sie zum Outfit und werden nicht nur in der Grippesaison, bei Krankheit, bei Demonstrationen in Hongkong zur Verhinderung der Identifizierung oder bei Luftverschmutzung (smog couture) angezogen, sondern einfach auch so schon mal als Vorsichtsmaßnahme, wenn man sich in Menschenmengen bewegt, als Wärmeschutz oder auch als modisches Accessoire. Seit der Coronapandemie wurde das Tragen von Masken in asiatischen Ländern entweder angeordnet oder wieder massenhaft freiwillig ausgeführt.
Auch Politiker wie der chinesische Präsident Xi oder der südkoreanische Präsident Moon Jae-in zeigten sich demonstrativ mit Masken. Bislang sind europäische Politiker auch bei Sitzungen oder bei öffentlichen Auftritten meines Wissens noch nicht mit Atemschutzmasken aufgetreten. US-Präsident Donald Trump auch dann nicht, als bekannt wurde, dass er mehreren Infizierten begegnet ist, nur zögerlich ließ er sich angeblich testen. Der brasilianische Präsident Bolsonaro zeigt sich immerhin mal mit einer Maske, nachdem ein Mitglied seiner Delegation, mit der er Trump besuchte, Träger des Cononavirus war. Ganz offensichtlich gibt es einen Kulturbruch zwischen Asien und dem Westen. Die westlichen Menschen vermeiden bislang das Tragen von Masken auch während einer Pandemie, während Asiaten, auch im Ausland, ganz selbstverständlich diese tragen.
Westliche Gesundheitsbehörden und Experten erklären, dass die normalen Atemschutzmasken nicht vor einer Infektion schützen und bestenfalls bei Infizierten die Übertragung von Viren vermindern. So werden sie zwar auch in Europa massenhaft eingekauft, vielleicht unter dem Einruck der massenhaft Masken tragenden Asiaten, aber in aller Regel nicht benutzt.
Warnung vor dem Tragen von Masken
Atemschutzmasken des Typs N-95 filtern die ausgeatmete Luft offenbar nicht oder kaum besser als chirurgische Gesichtsmasken. Weder die mehrschichtigen chirurgischen Gesichtsmasken noch N-95-Masken schützen den Träger wirksam vor den Coronaviren, da diese mit 0,12 Mikron zu klein sind. Nur Schutzmasken des Typs FFP2 und FFP3, ausgestattet mit einem Atemventil, bieten Schutz und werden daher von Ärzten und Pflegepersonal benötigt.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) sieht die Einhaltung von Husten- und Niesregeln, einer guten Händehygiene und das Abstandhalten als ausreichend für die Bevölkerung an. Es wird vielmehr mit Verweis auf die WHO gewarnt, dass "das Tragen einer Maske in Situationen, in denen dies nicht empfohlen ist, ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugt. Das kann dazu führen, dass zentrale Hygienemaßnamen wie eine gute Händehygiene vernachlässigt werden." Getragen werden soll sie von Infizierten, um die Mitmenschen vor Ansteckung zu schützen. Die WHO empfiehlt Gesunden das Tragen einer Maske, wenn man einer Person mit einer 2019-nCoV-Infektion hilft, aber weist auf einen gewissenhaften Umgang hin.
In China war während der scharfen Quarantäne im Februar das Tragen von Atemschutzmasken im öffentlichen Raum von größeren Städten hingegen angeordnet worden, um die Virenverbreitung zu verlangsamen. Die Masken können eine Ansteckung nicht verhindern, sondern können nur beim Husten oder Niesen von Infizierten das Ansteckungsrisiko für die anderen etwas senken. Die chinesische Regierung empfiehlt hingegen auch jetzt weiter das Tragen von Masken: "Das Tragen von Masken ist eine der wirksamsten Möglichkeiten, sich vor einer Infektion zu schützen." Vom Tragen chirurgischer Masken wird jedoch abgeraten, weil sie zu Atemproblemen führen können, wenn man sie länger verwendet.
Masken als Ausdruck der Verantwortung
Wie gesagt, das Tragen von Atemschutzmasken unterscheidet die Kulturen. Im Westen ist man zwar gewohnt, dass mitunter Chinesen, Japaner oder Südkoreaner Masken auch in den Zeiten vor der Coronapandemie im öffentlichen Raum tragen. Das wird akzeptiert oder auch belustigt zur Kenntnis genommen, selbst würde man sich aber lächerlich vorkommen und sich schämen, ohne triftigen medizinischen Grund als Gesunder eine Atemschutzmaske zu tragen.
Während asiatische Experten raten oder anordnen, Masken zu tragen, um sich sozial verantwortlich zu verhalten, empfehlen westliche Experten ebenfalls mit moralischer Inbrunst, keine zu kaufen und zu tragen, weil sonst das medizinische Personal, das sie unbedingt im Gegensatz zu den normalen Menschen benötigt, in Probleme geraten könnte, sich nicht ausreichend schützen zu können. Exemplarisch dafür ist ein Tweet des Surgeon General of the United States (Sanitätsinspekteur der Vereinigten Staaten) Jerome Adams mit Verweis auf die Empfehlungen der US-Gesundheitsbehörde CDC:
Seriously people - STOP BUYING MASKS!
Jerome Adams
They are NOT effective in preventing general public from catching #Coronavirus, but if healthcare providers can’t get them to care for sick patients, it puts them and our communities at risk!
Gleichwohl könnte das Tragen von Atemschutzmasken, wenn sie richtig und mit den entsprechenden Vorkehrungen aufgesetzt werden, auch dann die Verbreitung von Coronaviren verhindern, auch wenn sie keine effektive Blockade bewirken. Träger vermindern das Infektionsrisiko für andere, gerade auch dann, wenn sie noch gar nicht wissen, infiziert zu sein, Gesunde reduzieren das Risiko, infiziert zu werden. Daraus könnte man eine höhere soziale Verantwortung und Solidarität ableiten. Auch wenn nicht erwiesen ist, dass Masken wirklich schützen, benutzt man sie als Vorsichtsmaßnahme, weil es unverantwortlich wäre, dies nicht zu machen.
Solidarität war in China allerdings mit der Weltgemeinschaft zunächst beschränkt. In China wurde vor Corona die Hälfte aller Masken weltweit hergestellt. Aber als die Coronavirus-Pandemie in China grassierte und scharfe Maßnahmen eingeführt wurden, wurde der Export von Masken blockiert, während man sie im Ausland aufkaufte. China hat die Produktion von Masken extrem hochgefahren und liefert diese, seitdem die Pandemie durch die scharfen Maßnahmen im Land zurückgeht und unter Kontrolle zu sein scheint, an andere Länder wie Italien, Südkorea, Iran oder den Philippinen. Die Pandemie hat noch einmal eindrücklich vor Augen geführt, dass Outsourcing zwar die Kosten verringern, aber das Risiko vergrößern kann.
Von Antlitz zu Antlitz
Aber jenseits aller Gründe, warum Masken vor Krankheiten, Luftverschmutzung oder Kälte schützen, scheint es in der westlichen Kultur eine Aversion zu geben, das Gesicht zu verbergen. Das ist letztlich für den Karneval oder für Proteste bzw. Sicherheitskräfte reserviert, um die Identität zu verbergen, ansonsten muss man offen mit unbedecktem Gesicht auftreten und sich direkt in die Augen schauen können, was in asiatischen Kulturen eher vermieden wird.
Natürlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten, das nackte Antlitz hinter Bärten, Schminke, Brillen oder chirurgischen Eingriffen zu verbergen, aber eine Maske oder gar eine Burka zu tragen, ist verpönt. Man will oder muss authentisch sein und von Angesicht zu Angesicht auftreten. Das dürfte auch eine Folge des Aufstiegs des Bürgertum sein, das sich von den Konventionen, Maskeraden, Spielereien und Zeremoniellen des Feudalismus absetzte und das Authentische als Zwang etablierte.
Möglicherweise wird während der Coronaviruspandemie das Tragen von Masken auch im Westen etabliert und zu einer Norm. Wie man an den Protesten in Hongkong gesehen hat, sind Masken nicht nur gegen Viren gerichtet, sondern auch gegen Überwachung, weil der öffentliche Raum keine Anonymität mehr gewährt, eine der wesentlichen Eigenschaften der urbanen Kultur. Vielleicht kommen wir zurück auf die antike griechische Kultur der Person. Schauspieler trugen eine Maske im Theater, die als persona galt. Das sollte die Gefühle besser zum Ausdruck bringen, aber die stereotype Maske heute dient der Verbergung der Individualität und schützt die Anonymität, die droht, verloren zu gehen - und mit ihr die Kreativität und Innovationskraft der urbanen Kultur.