Von CO2- zu Ökostrom-Zertifikaten

Kohlekraftwerk Jänschwalde. Foto: Brake

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom Handel mit Ökostrom-Zertifikaten, um politische Klimaziele zu erreichen, und von einem EE-Kombikraftwerk, das zeigt, dass eine Vollversorgung mit Ökostrom möglich ist

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Wochenlang war die Ökostrom-Branche in heller Aufregung ob die angekündigte EU-Richtline mit den neuen, handelbaren Herkunftsnachweisen das Ende des Ökostrom-Booms und die Aufweichung aller ökologischen Standards bedeutet. Während in Brüssel noch bis zur Vorstellung der Klimaschutzvorschläge um Länderquoten und Instrumente zu ihrer Erfüllung verhandelt wurde, zeigte die Präsentation des Modellprojekts „Kombikraftwerk“, dass die politischen Ziele ohnehin viel zu niedrig gehängt sind und eine Vollversorgung mit Ökostrom durch Vernetzung und bedarfsorientierte Steuerung von Erneuerbare-Energien-Kraftwerken praxisreif ist.

Kohlekraftwerk Jänschwalde. Foto: Brake

Kommissions-Präsident Barroso fasste die Ziele so zusammen: "20/20/20 bis 2020“ soll heißen bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen der Mitgliedsstaaten um 20% sinken, 20% ihres Energieverbrauchs aus Erneuerbaren Energieträgern stammen und die Energieeffizienz um 20% steigen.

Aber nicht neue Quotenziele waren Grund für die Aufregung im Vorfeld der am Mittwoch vorgestellten EU-Richtlinie, sondern die Einführung eines europäischen Zertifikatesystems handelbarer Herkunftsnachweise für Ökostrom. Die Alarmglocken schrillten, denn erstens sind noch die Meldungen der letzten Wochen in Erinnerung, wonach Zertifikate des bisherigen europäischen RECS-Systems zu einer wundersamen Vermehrung von Ökostrom führten. RECS-Nachweise sollen für ein und dieselbe Stromcharge aus Wasserkraft einmal als handelbare Ökostrom-Zertifikate lokalen Atom- und Kohlestrom als „Öko“ geadelt haben und gleichzeitig sei der reale Strom ab Turbine ebenfalls als Ökostrom verkauft worden. Möglich ist das, weil das System der Zertifikate in der Praxis noch nicht funktioniert, von den großen Stromkonzernen selbst getragen wird, anstatt von unabhängigen Institutionen, und weil jedes Land die Regelungen und Lücken des Systems anders umsetzen lässt.

Leatherman der Klimapolitik

Neu ist, dass die Kommission, wie schon beim geplanten CO2-Zertifikatehandel, jetzt auch beim EE-Strom ein System frei handelbarer Herkunftsnachweise einführen will. Diese Zertifikate sollen es richten, sozusagen als universeller „Leatherman“ der Klimapolitik. Während beim CO2 der Zertifikate-Handel eine Reduktion (von Treibhausgasen) bringen soll, soll das neue Ökostromzertifikat jetzt zu einer Steigerung (der Ökostromproduktion) führen. Die diffuse Idee vom „freien Markt“ wird hier als Universallösung propagiert. Die Regelungen sehen vor, dass sich Produzenten von Strom pro MWh ein Zertifikat als Herkunftsnachweis ausstellen und dieses zusammen mit oder getrennt vom physischen Strom verkaufen können. Gelten soll die Regelung für Kraftwerke die ab Inkrafttreten der Richtline in Betrieb gehen, zumindest hier findet sich also ein gewisser Zubauanreiz.

Stromproduzenten sollen aber, wenn sie einmal eine nationale Einspeisevergütung bezogen oder einmal ihre Zertifikate in ein Land verkauft haben, endgültig an dieses Land gebunden sein und die Ökostromproduktion des betreffenden Kraftwerks also definitiv für das nationale Quotenziele angerechnet werden können. Hier wird die vorher propagierte Idee vom freien Handel wieder fallengelassen und die eigentliche Intention der Richtlinie wird klar: Es geht nicht um Zubau von Ökostrom, sondern um ein Hilfsmittel, mit dem auch Staaten, die ihre Zielverpflichtungen nicht aus eigener Kraft erfüllen, sich ihre Klimaschutzziele erkaufen können. Die EU-Vorschläge werden helfen, die selbstgesteckten Quoten zu erfüllen, wenn es sein muss mit nominellen Ökoenergie-Zukäufen aus dem außereuropäischen Ausland.

Beim bestehenden Zertifikatesystem RECS werden die von „unabhängigen Gutachtern“ ausgestellten Herkunftsnachweise zwar akribisch in einer Datenbank zentral eingetragen, verwaltet und bei Verkauf an Endkunden gelöscht, doch was davor oder danach passiert, ist relativ unkontrolliert und wird in jedem Mitgliedsland unterschiedlich gehandhabt. Theoretisch können sich EE-Kraftwerke ihren Strom gleich mehrfach als ökologisch zertifizieren lassen und diese Eigenschaft getrennt vom Strom verkaufen. Auch wenn sie sich „korrekt“ verhalten, erlaubt das System, dass sie ihren, der Ökoeigenschaft entkleideten Strom dann wahlweise als „Strom unbekannter Herkunft“ oder als „europäischen Durchschnittsmix“ deklarieren. Ein Rechentrick der in vielen Mitgliedsstaaten mit geringem Anteil von Strom aus EE bereits eine Erhöhung des Ökostromanteils bedeutet.

(Grafik größer ) In Ländern mit geringem Ökostromanteil kann die Deklarierung des Stroms unbekannter Herkunft als „europäischen Durchschnittsmix“ den nationalen Ökostromanteil erhöhen – ohne den Zubau eines einzigen EE-Kraftwerks. Grafik: UCTE

Viele stößt die Vorstellung ab, dass Herkunftsnachweise getrennt vom physischen Strom handelbar sein sollen. Doch entspricht das System eigentlich der Realität, wie sie schon bei herkömmlichen Stromverträgen stattfindet. Denn auch Stromhändler die direkte Lieferverträge mit einem weit entfernten EE-Kraftwerk abschließen, erhalten nicht wirklich physischen Strom von ihrem Handelspartner. So eine direkte Lieferung wäre einerseits nur möglich, wenn es eine eigene Leitung nur für diesen Strom gäbe - und auch dann wären die Leitungsverluste unwirtschaftlich hoch, im deutschen Leitungsnetz sollen sie pro 100km durchschnittlich 4,3% betragen. Für einen Stromhändler in Hamburg, der seinen Strom nominell von einem Wasserkraftwerk in Norwegen, Österreich oder am Rhein bezieht, wäre eine physische Lieferung gleichbedeutend mit unwirtschaftlichen Leitungswegen und hohen Netzverlusten.

Die Mängel des Zertifikatesystems könnten verringert werden, wenn die Vorgaben des RECS Nachfolgers European Energy Certificate System (EECS) von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt würden. Damit würde eine Zertifizierung nicht nur von Ökostrom, sondern aller Arten von Stromerzeugung stattfinden, so dass alle gehandelten Strommengen lückenlos nachvollziehbar wären. Zudem müssten nicht nur die ausgestellten Zertifikate, sondern auch alle Zertifizierungsvorgänge dokumentiert werden, um eine doppelte Ausstellung zu verhindern. Strom, dessen Zertifikat verkauft worden ist, müsste mit der Stromeigenschaft eines anderen real erzeugten Strom versehen werden, um eine virtuelle Ökostromvermehrung auf dem Papier zu verhindern.

Trotz der Faszination, die marktwirtschaftliche Instrumente auf Brüsseler Politiker auszuüben scheint, wird das System in der Realität wohl nie manipulationssicher umsetzbar sein. Eine Studie des Fraunhofer Instituts ISI ermittelte zudem, dass zentrale „harmonisierte Förderinstrumente“ pro kWh des erzeugten Ökostroms immer teurer sind als einzelstaatliche, regional angepasste Förderprogramme. Zertifikatesysteme werden vielleicht den Handel fördern, wahrscheinlich aber nicht den Ausbau der Energieerzeugung auf Basis erneuerbarer Energieträger. Dagegen setzen Instrumente wie das Erneuerbare Energien Gesetz und seine Nachfolger in anderen Ländern eine eigene Dynamik zum Ausbau regenerativer Energiequellen frei, wenn die garantierte Einspeisemöglichkeit und Vergütung auch den Einsatz neuer, noch in der Entwicklung befindlicher Technologien von Anfang an wirtschaftlich machen.

Das Recht auf Stromeinspeisung und vor allem die Einspeisevergütung des Erneuerbaren Energien Gesetzes bringen Dynamik in die Entwicklung nachhaltiger Energiesysteme. Grafik: Brake, Daten

Veit Bürger vom Öko-Institut sieht Herkunftsnachweise nicht als ein entscheidendes Argument für den Bezug von Ökostrom „Entscheidend für die Bewertung von Ökostrom-Angeboten ist, ob sie den Anteil an Strom aus Erneuerbarer Energien und umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung tatsächlich erhöhen.“

Auch mit Herkunftsnachweisen brauchen Energieverbraucher deshalb Zusatzinformationen darüber, ob und wie ein Stromlieferant den Zubau der Energieversorgung auf Basis Erneuerbarer Energieträger fördert. Und, ökologisch motivierte Stromverbraucher sollten ihre Verantwortung nicht mit dem Kauf von Ökostrom abgeben, sondern auch den eigenen Stromverbrauch reduzieren: durch Anschaffung stromsparender Haushaltsgeräte und durch deren bewusste Nutzung, z.B. durch Vermeidung von Stand-By-Verlusten. Erst dann ist es wirklich sinnvoll den verbleibenden Strombedarf mit Ökostrom zu decken.

Bedarf gedeckt

Gegen das Leitbild einer energetischen Vollversorgung bringen Kritiker immer wieder vor, Wind und Sonne seien als Basis einer zukünftigen Energieversorgung zu unzuverlässig. Die Deutsche Gesellschaft für Solarenergie kürte jetzt ein Modellprojekt zur „Solaranlage des Monats“, die wegweisend ist. Im „Kombikraftwerk“ werden nicht nur verschiedenste EE-Kraftwerke miteinander vernetzt, sondern auch so gesteuert, dass sie im Verbund genau die Menge Strom liefern, die im Verlauf der täglichen Lastkurve nachgefragt wird. „Das Kombikraftwerk zeigt so im Kleinen, was auch im Großen möglich ist: eine Vollversorgung durch Erneuerbare Energien", beschreibt Frank H. Asbeck, Vorstandsvorsitzender der SolarWorld das Projekt.

Das Kombikraftwerk verknüpft und steuert 36 verteilte Wind-, Solar-, Biomasse- und Wasserkraftanlagen. Es besteht aus drei Windparks (12,6 MW), 20 Solarstromanlagen (5,5 MW), 4 Biogasanlagen (4,0 MW) und dem Pumpspeicher Goldisthal (Leistung: 1.060 MW; Speicher: 80 Stunden bzw. 8480 MWh). Die Wind- und Solargeneratoren erzeugen Strom nach Verfügbarkeit von Wind und Sonne. Biogas- und Wasserkraft sorgen im Verbund, neben der reinen Erzeugung auch für die Anpassung der erzeugten Stromgesamtmenge an den aktuellen Bedarf. Sie sind zeitnah regelbar und können als Speicher eingesetzt werden.

Lastverlauf und Steuerung Kombikraftwerk. Der DWD liefert die Prognosen für zu erwartende Wind und Sonnenverhältnisse. Zusammen mit der Strombedarfsprognose dienen die Daten der Steuerung der Biogasanlagen und Pumpspeicher. Aktuelle Messwerte werden für die Feinabstimmung herangezogen. Bild: solarserver.de

Wetterprognosen des Deutschen Wetterdienstes zu Wind und Sonne sowie Prognosen des voraussichtlichen Tagesgangs des Lastverlaufs dienen als Ausgangsdaten für die Steuerung der Anlagen. Im Betrieb erfolgt dann die Anpassung je nach tatsächlicher Stromerzeugung und tatsächlichem Bedarf. Weil Wind- und Solarenergie alleine nicht exakt dem Strombedarf entsprechen können, gleichen Pumpspeicherwerk und Biogasanlagen die Bedarfsspitzen und zeitweise Überproduktion aus. Dieser Ansatz von Vernetzung und bedarfsorientierter Steuerung von EE-Kraftwerken aus mehreren Regionen demonstriert, dass ein Verbund von Wind-, Solar- und Biogasanlagen genauso flexibel gesteuert werden kann wie ein modernes Gaskraftwerk und dabei ohne fossile Energieträger auskommt.