Von der Leyen schiebt "Industrie" Verantwortung für Impfprobleme zu

Grafik: TP

Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalmacronisten und Grüne verteidigen die "gemeinsame Beschaffung"

Für heute Vormittag hatte die Pressestelle des EU-Parlaments eine "Debatte" der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Europaabgeordneten angekündigt, bei der es um die "EU-Impfstrategie" gehen sollte. Eine "Diskussion" war das, was im EU-Parlament in den Stunden nach neun Uhr geschah, jedoch nicht. Tatsächlich hielt von der Leyen lediglich eine Rede und verließ den Plenarsaal danach für längere Zeit.

Von der Leyen will sich "gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn man das anders gemacht hätte"

Vor ihrer eigenen Ansprache ließ sich die EU-Kommissionspräsidentin etwa eine Viertelstunde lang von der portugiesischen Europaministerin Ana Paula Zacarias loben. Für die war das bisherige Vorgehen der EU-Kommission "ein Beispiel der Einheit und der Solidarität". Man habe "sehr viel erreicht", aber der Kampf gegen die Pandemie sei halt "länger und komplizierter, als wir ihn uns vorstellen konnten".

Nach diesem wahrscheinlich ungewollten Anklang an eine Rede aus noch dunkleren Zeiten erzählte von der Leyen lächelnd, es sei "wichtig und richtig" gewesen, dass man "gemeinsam bestellt" habe und meinte, sie möge sich "gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn man das anders gemacht hätte". Ihren Worten nach haben die "Erfolge an Fahrt aufgenommen". Als Beispiel für diese Erfolge führte sie das sonst von Brüssel eher geschmähte Polen an.

Weber will, dass ein Verbot des Exports von in EU-Mitgliedsländern hergestelltem Impfstoff in das UK "auf dem Tisch bleibt"

Dass die Genehmigung von Impfstoffen in der EU länger dauert als in anderen Teilen der Welt, bezeichnete die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin als "wichtige Investition in das Vertrauen". Außerdem hätten "wir" in Rekordzeit Impfstoffe entwickelt. Dass sie nicht zur Verfügung stehen, liege daran, dass "die Industrie der Wissenschaft hinterherhinke". Lediglich bezüglich der angedachten Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland und Nordirland gestand die CDU-Politikerin ein, dass "Fehler gemacht wurden" - aber ohne sich oder die Kommission als handelnden Akteur zu nennen. Stattdessen meinte sie: "Wir alle geben unser Bestes, das sollten wir uns gegenseitig nicht absprechen."

Der ihr folgende EVP-Fraktionschef Manfred Weber meinte sogar, ein Verbot des Exports von in EU-Mitgliedsländern hergestelltem Impfstoff in das UK müsse "auf dem Tisch bleiben". Er hält die "Hauptentscheidungen" der Kommission für "richtig", auch wenn er "im Kontakt mit den Bürgern Enttäuschung erlebt". Verbesserungen kann es seiner Ansicht nach nur in Richtung von mehr Kompetenzen für die EU geben, die sich unter anderem um gemeinsame Einreisebestimmungen und einen Impfpass kümmern könne. Außerdem soll seiner Meinung nach "nicht diskutiert, sondern angepackt" werden.

Linke fordert Untersuchungsausschuss

Iratxe García Pérez, die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, äußerte sich ähnlich, machte aber im Gegensatz zu Weber nicht den Eindruck, gegen den Friseurlockdown verstoßen zu haben. Ihrer Meinung nach muss man nun "loyal gegenüber den Institutionen sein". Auch sie forderte mehr Kompetenzen für Brüssel - und schuld an der Impfstoffknappheit ist ihren Worten nach AstraZeneca.

Auch Redner der Liberalmacronisten und der Grünen verteidigten die "gemeinsame Beschaffung" von Impfstoff. Kritisiert wurde das bisherige Vorgehen vor allem von Vertretern der Linksfraktion GUE/NGL, der konservativen EKR und der Souveränisten von Identität und Demokratie (ID). Für die Linken bemängelte Manon Aubry von der Partei La France Insoumise, dass es immer noch keine Transparenz gebe: Es seien bislang lediglich drei Verträge veröffentlicht worden - und in denen seien große Teile geschwärzt. Deshalb müsse nun ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden.

Beata Szydło von der in der EKR dominanten polnischen PiS gab von der Leyen zwar bezüglich der polnischen Erfolge Recht, meinte aber, die polnische Regierung könne noch viel mehr impfen, wenn mehr Impfstoff zur Verfügung stünde.

Für Marco Zanni von der in der ID führenden Lega (die sich in Italien gerade anschickt, eine Koalition mit den Sozialdemokraten einzugehen) war von der Leyens Auftritt ein Beispiel für den "größten Fehler der Union": Die Unfähigkeit "eigene Fehler anzuerkennen und dann einen neuen Weg einzuschlagen." Die von der Kommissionspräsidentin versprochene Impfung von 70 Prozent der Erwachsenen bis Ende September hält Zanni für nicht realistisch. Ein anderer Sprecher der ID-Fraktion kritisierte unter anderem die "Absurdität" von EU-Außenkommissar Josep Borells Forderungen nach neuen Russlandsanktionen, wenn die EU vielleicht bald auf das russische Serum Sputnik V angewiesen sein wird.

Die zahlreichen weiteren Abgeordneten, die eine oder zwei Minuten lang sprachen, paraphrasierten zum einen Teil im Grunde nur Medienberichte der letzten Wochen. Der andere Teil der Redner mühte sich, "mehr Europa" als Lösung der Probleme anzupreisen, wobei man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren konnte, dass Argumentgewicht und Lautstärke umgekehrt proportional zueinander standen. Insofern konnte man sogar Verständnis dafür entwickeln, dass sich von der Leyen das nicht alles anhören wollte.

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