Vor neuer Rüstungsspirale in Europa?
Die Kommandozentrale des US-Raketenabwehrsystems soll im Luftwaffenstützpunkt Ramstein eingerichtet werden
Der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein war in den 1980er Jahren ein zentraler Fokus der Proteste der deutschen Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen. Zahlreiche Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams haben damals rund um das Gelände stattgefunden. Dann war es still geworden um Ramstein und viele anderen Protestorte der damaligen Zeit. Die Meldung, dass die US-Militär die nuklearen Sprengköpfe aus Ramstein entfernt hätten, interessierte nur wenige.
Doch seit einigen Tagen ist Ramstein wieder in den Medien aufgetaucht. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte Ende letzter Woche, dass die Kommandozentrale für das europäische Raketenschild in Ramstein eingerichtet werden soll. Darauf hätten sich die USA und die Nato bereits geeinigt. Zudem sollen die auf den Stützpunkt Ramstein gelagerten Patriot-Raketen Teil des Nato-Raketenschilds werden soll, das bis 2020 aufgebaut werden soll.
Die Reaktionen der Oppositionspolitiker waren sehr unterschiedlich. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold bezeichnete das Raketenschild in einem Interview mit dem Deutschlandfunk als richtige und sinnvolle Einrichtung.
Für die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen Agnieszka Brugger kam diese Entscheidung überraschend. Sie war bisher davon ausgegangen, dass sich Deutschland nicht mit Hardware an dem Raketenschild beteiligt und warnt vor unübersehbaren politischen und finanziellen Folgen. Vor allem aber befürchtet Brugger, dass damit mögliche Abrüstungsziele konterkariert werden. Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Linken Paul Schäfer sieht mit der Entscheidung für den Raketenschild in Ramstein das "Pulverfass geöffnet".
Gegen wen soll das Raketenschild schützen?
Die Warnungen der Kritiker, dass das Raketenschild auch international die Spannungen eher erhöhen dürfte, haben sich bei der Nato-Sicherheitskonferenz in München bestätigt. Während die Nato-Politiker bekräftigen, dass das Raketenabwehrsystem vor den Angriffen unberechenbarer Staaten wie dem Iran schützen soll, haben russische Politiker noch einmal ihre ablehnende Haltung bekräftigt. Sie befürchten, dass das System gegen die eigenen Raketen gerichtet werden könnte. Dieses Misstrauen erhält dadurch neue Nahrung, dass die Nato russische Forderungen nach einer Mitentscheidung beim Einsatz des Raketenschildes ablehnt.
Auch der auf Rüstungsfragen spezialisierte Publizist Jerry Sommer hat in einer für die Linkspartei erarbeiteten Studie nachgewiesen, dass die USA das Raketenschild nicht nur als Schutz gegen den Iran aufbauen. Vielmehr arbeite die US-Regierung an einer Ausweitung der "Bedrohungsperzeption", nach der die Raketen von bis zu 30 Staaten als Bedrohung angesehen werden, schreibt Sommer in der Studie. Er hat schon 2010 in einem NDR-Beitrag in der Reihe "Streitkräfte und Strategien" die jahrelange Diskussion um das Raketenschild nachgezeichnet. Nato-Generalsekretär Rasmussen hatte bereits 2010 erklärt: "Die Zeit ist gekommen, mit der Raketenabwehr voranzuschreiten. Wir müssen beim Nato-Gipfel im November beschließen, dass Raketenabwehr für unsere Bevölkerung und unser Territorium eine Aufgabe der Allianz ist."
Sommer weist auf die erheblichen Zweifel vieler Wissenschaftler hin, dass das Raketensystem tatsächlich den versprochenen Schutz bietet. So kommt der US-Physiker Theodore Postol vom Massachusetts Institute of Technology nach der Analyse von vom Pentagon veröffentlichten Videoaufnahmen zu einem ernüchternden Fazit:
Wir haben die Aufnahmen von den auf den Abfangraketen montierten Infrarotkameras analysiert. Wir stellten fest, dass niemals der Sprengkopf, sondern immer nur der Raketenkörper dahinter getroffen wurde. Aber jeder weiß, dass man den Sprengkopf treffen muss.
Auch der Physiker Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hält einen absoluten Raketenschutz weder für die USA noch für Europa technisch für möglich. Daher sei es auch unwahrscheinlich, dass sich die Nato-Politiker auf den Raketenschild verlassen würden. Sollte ein Angriff akut sein, würde man wie bisher eher versuchen, die gegnerischen Raketen am Boden zu zerstören. Dann bräuchte man aber auch kein teures Raketenschild, das die Spannungen noch erhöht, ist auch die Meinung von Sommer. Schließlich könnte auch die Gefahr darin bestehen, dass der Raketenschild eine Sicherheit suggeriert, die es nicht gibt, womit sich auch die Spannungen erhöhen könnten. Daher würde sich wahrscheinlich Israel, das anders als Deutschland von möglichen iranischen Raketen bedroht wäre, nicht allein durch den Aufbau eines Raketenschilds im eigenen Land beruhigen lassen.
Die Diskussionen zeigen zumindest, dass der sicherste Schutz vor Raketen eine globale Abrüstung ist. Auch diese Erkenntnis, die in den 80er Jahren immerhin durch die Friedensbewegung zentral in die Öffentlichkeit diskutiert wurde, könnte damit verloren gehen Ob die Pläne zum Aufbau einer Raketenabwehr durch die zentrale Rolle von Ramstein auch in der deutschen Innenpolitik wieder kritischer diskutiert werden, könnte sich schon an der Resonanz bei den diesjährigen Ostermärschen (http://www.dfg-vk-mainz.de/aktuell/ ) zeigen . Ob die Organisatoren so flexibel sind, die Aufwertung von Ramstein mit in der Protestagenda zu berücksichtigen ist keinesfalls sicher. Dabei dürften sich manche der Organisatoren noch an die Protestaktionen in den 80er Jahren in Ramstein erinnern.
Allerdings könnte sich bis 2020 auch europaweit noch eine größere Bewegung gegen den Raketenschild entwickeln. In Polen und der Tschechischen Republik, wo das Raketenabwehrschild zunächst errichtet werden sollte, kam es zu Protesten, so dass diese unter Bush gefassten Pläne schließlich nicht weiter verfolgt wurden (Katzenjammer in Warschau und Prag).