WTO-Gentechnikurteil könnte EU-Länder stärken
Das EU-Zulassungs-Moratorium sei nicht rechtens gewesen, eigenständige Risikoprüfungen und nationale Importverbote wären aber generell zulässig
Die Welthandelsorganisation (WTO) veröffentlichte kürzlich den Abschlussbericht im Streit um das fünfjährige De-facto-Moratorium für gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Das Verfahren gegen die EU war 2003 von den USA, Kanada und Argentinien angestrengt worden. In der Frage des EU-Zulassungsstopps erhielten die Kläger Recht. Doch entgegen den Erwartungen werden einige grundsätzliche Positionen der EU durch das WTO-Urteil außer Streit gestellt. Selbst Importverbote einzelner EU-Mitgliedsländer sind danach generell zulässig, soweit sie ausreichend wissenschaftlich begründet werden.
Zwischen 1999 und 2004 ließ die EU keine neuen GVOs zu. Dieses De-facto-Moratorium war Hauptgegenstand des Verfahrens vor der Welthandelsorganisation. Es würde sich um eine wissenschaftlich unbegründete protektionistische Maßnahme handeln, argumentierten die USA, unterstützt durch Kanada und Argentinien. Darüber hinaus wandten sich die Kläger auch gegen Importverbote der Gentech-Maissorten Bt176, T25 und MON 810 sowie diverse andere GVOs, die einzelne EU-Mitgliedsstaaten verhängt hatten. Bereits Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass die WTO in der Frage des Moratoriums zugunsten der Kläger entscheiden werde. Dieses Urteil hat allerdings eher historischen Wert, zumal die EU seit 2004 wieder GVOs zulässt.
Der kürzlich veröffentlichte Endbericht des WTO-Panels ist in etlichen anderen zukunftsrelevanten Punkten dennoch bemerkenswert. Das mehr als tausend Seiten umfassende Urteil fiel aus Sicht der EU beziehungsweise der EU-Mitgliedsstaaten wesentlich positiver aus, als ursprünglich erwartet. Die im Vergleich zu den USA strengeren EU-Regeln für die Zulassung verstoßen demnach nicht gegen das WTO-Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS-Abkommen). Begründet wird das mit dem Verweis darauf, dass zwar viele vermutete Gefahren unwahrscheinlich seien, es aber auch dokumentierte Risiken gebe, etwa die Resistenzproblematik.
The Panel notes, however, that both the evidence provided by the European Communities and the advice provided to the Panel by the experts advising it indicate that many of the identified concerns are highly unlikely to occur in practice (e.g., the transfer of antibiotic resistance from marker genes used in the production of some biotech plants to bacteria in the human gut). On the other hand, other identified concerns, such as those relating to the development of pesticide-resistance in target insects through exposure to pesticides (including those incorporated into biotech plants) have indeed been documented to occur, including with respect to non-biotech crops.
Sehr interessant ist die WTO-Einschätzung von nationalen Importverboten. Diese könnten nach SPS-Recht, aber auch nach geltendem EU-Recht selbst dann verhängt werden, wenn es sich um GVOs handle, die von den EU-Behörden zugelassen sind. Gerade in dieser Frage macht die EU-Kommission immer wieder Druck auf die Mitgliedsstaaten. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die WTO die nationalen Rechte der EU-Länder in dem Urteil hervorhebt. Solche Importverbote müssten allerdings durch eine fundierte Risikoabschätzung begründet sein.
In den von den Klägern reklamierten Fällen von Importverboten in Österreich, Belgien, Frankreich, Italien und Luxemburg wären die Begründungen jedoch nicht ausreichend gewesen, so die WTO. Die Welthandelsorganisation empfiehlt deshalb, die nationalen Beschränkungen „in Einklang mit dem SPS-Abkommen zu bringen“. Die EU-Kommission wird nun wohl auf die kritischen Mitgliedsstaaten einwirken, ihre Verbote besser zu begründen, oder - wie jüngst am Beispiel des „störrischen“ Österreichs wieder einmal gesehen - die in Brüssel unbeliebten nationalen Alleingänge noch stärker torpedieren. Anfang Oktober blies die Kommission nämlich wieder einmal zum Angriff auf den österreichischen Bann der Gentech-Maissorten Mon 810 und T 25. Die EU-Kommission hält die landwirtschaftlichen Produkte unter Berufung auf die European Food Safety Agency (EFSA) für unbedenklich. Sie sollen deshalb auch in der Alpenrepublik zugelassen werden.
In Österreich gibt man sich indes gelassen. Dr. Michael Haas, hochrangiger Beamter des österreichischen Gesundheitsministerium, hält die Zweifel an der Risiko-Beurteilung, wie sie insbesondere bei früher zugelassenen GVOs von der EFSA betrieben wurde, für gerechtfertigt. Im Telepolis-Gespräch hält er fest:
Österreich hat immer wieder darauf verwiesen, dass die Risiko-Abschätzung der EFSA in wesentlichen Punkten nicht ausreichend ist. Das Ministerium hat unter anderem in einer 2004 veröffentlichten Studie die EFSA-Praxis bezüglich der Abschätzung von potentiellen toxischen Eigenschaften und möglichen Allergierisiken bestimmter GVOs aufgrund der Volltextdossiers untersucht. Die Experten kamen zu dem Schluss, dass eine abschließende Beurteilung aufgrund der vorgelegten Daten bei den untersuchten GVOs nicht gemacht werden kann. Zu den GV-Mais-Linien MON 810 und T25 haben wir nun nochmals eine Evaluierung der jüngsten wissenschaftlichen Ergebnisse in Auftrag gegeben.
In der angesprochenen Studie (2004) wurden vor allem die unsystematische Vorgangsweise und methodische Unzulänglichkeiten der Risikobeurteilung durch die EFSA bemängelt. Haas betont gegenüber Telepolis allerdings auch, dass die EFSA inzwischen an einer Verbesserung der Standards arbeiten würde. Die neuen Beurteilungskriterien sollten aber unbedingt auf früher zugelassene GV-Linien angewandt werden. Denn auch auf Grund der neuen Studie, die demnächst veröffentlicht werden soll, erscheint eine die Aufrechterhaltung des Verbots gerechtfertigt, solange die in dieser Studie aufgezeigten Unsicherheiten und offenen Fragen zur Risikobewertung nicht geklärt worden sind, gibt man sich in Österreich überzeugt.
Bei gravierenden Bedenken, so der Gentechnik-Experte Haas, stütze sich Österreich auf die EU-Richtlinien selbst sowie auf den Artikel 5 Absatz 7 des SPS-Abkommens, der das Vorsorgeprinzip absichert. Danach können Einzelstaaten Handelsbeschränkungen erlassen, wenn die Methoden der Risikobewertung als nicht ausreichend erkannt werden.
In cases where relevant scientific evidence is insufficient, a Member may provisionally adopt sanitary or phytosanitary measures on the basis of available pertinent information, including that from the relevant international organizations as well as from sanitary or phytosanitary measures applied by other Members. In such circumstances, Members shall seek to obtain the additional information necessary for a more objective assessment of risk and review the sanitary or phytosanitary measure accordingly within a reasonable period of time.
SPS-Abkommen
Ob die EU-Kommission der österreichischen Einschätzung nun doch einmal folgen wird, muss sich erst weisen. Auf der WTO-Streitfront haben nun sowohl die EU als auch die klagenden Parteien einige Wochen Zeit, um gegen das Urteil Widerspruch einzulegen. „Die Frage ist, ob die Klägerstaaten Strafzahlungen aufgrund des Urteils beanspruchen“, meint Dr. Haas vom österreichischen Gesundheitsministerium.
Eines ist nach dem Spruch zumindest klar geworden: Die EU-Mitgliedsländer sind nicht ganz so rechtlos, wie es oft in der Praxis den Anschein hat. Und in der Frage der grünen Gentechnik wird es auch spannend werden, ob die EU-Kommission den eigenen, gegenüber der WTO vorgebrachten Einwendungen vertiefte Beachtung schenkt. Diese waren, was die Risikofragen betrifft, nämlich äußerst kritisch. Die geplante Neu-Ausrichtung der EFSA daran wäre wünschenswert.