Wagenknecht: "Die Linke kann dieses Land aufmischen"
Welche linken Positionen sind in Deutschland so relevant, dass sie Wähler mobilisieren?
Es gibt Debatten über vertiginös kodierte Probleme (siehe Eine afrikanische Sklavenhändlerin als Namensgeberin einer Berliner Straße), von denen man annehmen kann, dass damit schwerlich eine Vielzahl von Wähler für eine linke Mehrheit zu gewinnen wären. Das Versprechen auf ein besseres Leben mit einer linksausgerichteten Regierung müsste solche Provinzdebatten weniger Raum geben und mehr aufs Ganze gehen.
Solche Einwände waren nach dem Rätselraten auf avancierter linker Seite (etwa bei Judith Butler) über Wahlsieg Trumps herauszulesen. Auf dem Parteitag der Linken in Hannover scheint es ganz so, als ob sich die Partei mit Bestimmtheit den wunden Punkten zuwendet, die auch an Biergartentischen besprochen werden.
"Ausplünderung der Leistungsträger"
Die propagierte "Gerechtigkeitswende" mit konkreten, für den Mitte- Konsens provokanten Vorschlägen einer Mindestsicherung (siehe: Linke: Hartz-IV abschaffen, Mindestsicherung von 1.050 Euro einführen, hat der Linken Gehör verschafft - und, wie erwartet, scharfe Reaktionen. Das sei eine "Ausplünderung der Leistungsträger", schallt es aus der Welt.
Die Vision der Linkspartei sei "nur eins: zutiefst ungerecht", ist der Konter überschrieben. In einem Video, das dem Artikel beigegeben ist, rechnet Marcel Fratzscher vom DIW Berlin vor, dass die Pläne der Linken dem Staat jährlich einen "sehr hohen zweistelligen bis dreistelligen Milliardenbeitrag" kosten würden. Dazu gibt es handfeste Rechenbeispiel, die das bekannte Gegenargument unterlegen: "Manch einer würde dann überhaupt nicht mehr arbeiten gehen wollen."
Veranschaulicht wird das beispielsweise an einer Familie mit zwei Kindern, die nach "Plänen der Linken" auf 3.246 Euro käme, wozu normalerweise ein "Bruttoverdienst des Familienvaters" von 4.500 Euro nötig wäre. Eine alleinstehende Mutter mit einem Kleinkind käme auf 1.673 Euro, wird im Video vorgerechnet, als Bruttolohn müsste sie dafür 2.250 Euro verdienen.
Man sieht daran, dass die Linken mit ihrer Position zur wirtschaftspolitischen Gerechtigkeit eine Debatte eröffnet haben, die ihnen erstmal Aufmerksamkeit verschafft und neuen Elan. Wie viele sich mit diesem Vorhaben anfreunden können, wie viel Anhänger sie dafür finden können, ist die Frage.
Leider hat man nicht viel über Lohnerhöhungsforderungen, außer beim Mindestlohn, gehört, was vermutlich noch einige mehr in der Bevölkerung aufhorchen ließe. Es entstand Irritation darüber, wie die Soziale-Gerechtigkeits-Ansagen einzuschätzen sind. Will sich die Linke vor allem profilieren, eine deutlich von anderen unterscheidbare Position einnehmen? Wie sehr geht es ihr um tatsächliche Mitgestaltung?
"Wenn uns dieses Drittel auch wählen würde ..."
Die Parteitags-Rede von Sahra Wagenknecht und ein Interview deuten darauf, dass es erstmal um eine starke Positionierung der Partei geht und erst in zweiter Linie um Mitregieren. Im Interview sagt sie:
Ich will die Politik in diesem Land verändern. Das kann man in einer Regierung, wenn man Partner hat. Wir wollen den Sozialstaat wiederherstellen, wir wollen die Soldaten aus den Auslandseinsätzen zurückholen. Wenn das von anderen Parteien mitgetragen wird, dann wäre das hervorragend, dann will ich auch regieren. Aber ich möchte nicht eine von diesen vielen Koalitionen, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, die im Grunde genau das Gegenteil getan haben.
Sahra Wagenknecht
Als ihr der Interviewer von n-tv eine YouGov-Umfrage vorhält, wonach die Hälfte der Deutschen eine Regierung mit Beteiligung der Linken als "schlecht" bis "sehr schlecht" bewertet, hält sie ihm entgegen, dass ein Drittel in der Umfrage fände, dass die Linken "sehr wohl gut in eine Regierung passen würden." Ihr Schluss daraus: "Wenn uns dieses Drittel auch wählen würde, hätten wir natürlich eine deutlich stärkere Position."
Im Blick ist demnach zuerst das eigene Wahlergebnis, das im mit konturierten Positionen in der Debatte mitmischen will. Die Linke müsse so stark werden, dass niemand mehr an ihr vorbeikomme, wird Wagenknecht vom Tagesspiegel zitiert. Ihre Linie heißt demnach: "Die Linke kann dieses Land aufmischen."
Der Wahlkampf wird damit interessanter. Etwa wenn es um den so oft zitierten Niedriglohnsektor geht. Dazu rekurriert Wagenknecht auf Zahlen des oben genannten DIW Berlin:
Unter Verweis auf eine DIW-Untersuchung sagte Wagenknecht, 40 Prozent der Deutschen hätten heute weniger Geld zur Verfügung als Ende der 1990er Jahre. "Und da stellt sich Frau Merkel allen Ernstes hin und sagt: Deutschland geht es so gut wie nie zuvor." Dies lasse nur zwei Schlüsse zu: Entweder gehöre eine Hälfte der Bevölkerung aus Merkels Sicht nicht zu Deutschland "oder diese Frau weiß schlicht nicht, wie die Lebensrealität der Menschen in diesem Land ist".n-tv
Kritisch gegenüber Bundeswehr-Einsätzen
Nun darf man gespannt sein, wie kritisch, in mehrfachem Sinn, die Masse der Deutschen ist, denen diese Situation zu schaffen macht. Die Linken haben sich nun als Anlaufstation für deren Interessen präsentiert. Sehr viel deutlicher als die SPD mit ihrem Kandidaten Schulz, den Wagenknecht in ihrer Rede neben Merkel attackierte: "Wer an Niedriglöhnen, Rentenkürzungen und Hartz IV nichts ändern will, der soll dann bitte auch aufhören, von sozialer Gerechtigkeit zu reden."
Gespannt sein kann man auch darauf, wie viel Rückhalt sie für ihre außenpolitischen Positionen bekommt, die ein anderes Verhältnis zu Russland nahelegen und gegen den Trend in der Medienöffentlichkeit sehr kritisch gegenüber der Parole von "Mehr Verantwortung für die Bundeswehr" eingestellt sind.
Es geht um die Einsätze, bei denen die Bundeswehr daran beteiligt ist, dass Krieg geführt wird, und das sind die meisten Einsätze. Es geht um Afghanistan, es geht um Syrien - es geht um Einsätze, bei denen wir dazu beitragen, ganze Länder zu destabilisieren, und wo wir letztlich den islamistischen Terror nicht schwächer, sondern sogar stärker machen, weil es so viele zivile Opfer gibt. Solche Einsätze sind für niemanden wichtig, sie bringen keinen Frieden und keine Sicherheit, sie destabilisieren diese Welt. Und ich finde es wirklich über alle Maßen schäbig, dass das immer noch weiter fortgesetzt wird.
Sahra Wagenknecht